Ob nachmittags im Park, in der Vorlesung oder in der Straßenbahn – Schach wird vor allem bei jungen Menschen immer beliebter. Und spätestens seit dem Erfolg der Netflix Serie „The Queens Gambit“ erfreut sich Schach wieder medialer Aufmerksamkeit. Josefine Heinemann ist Großmeisterin der Frauen und veröffentlicht Videos auf ihrem YouTube Kanal, in denen sie Partien analysiert. KOPFZEILE hat mit ihr über die Leidenschaft für das strategische Brettspiel gesprochen.
KOPFZEILE: Hallo Josefine! Wie bist du zum Schachspielen gekommen?
Josefine Heinemann: Es gab eine Schach-AG bei mir in der Grundschule. Niemand ist sich mehr ganz sicher, ob ich vorher schon zuhause etwas gelernt habe, aber das Training hat mir von Anfang an gut gefallen. Fast alle in dieser AG waren dann sehr schnell auch im Schachverein und haben dort in der U10 Mannschaft gespielt. Dann bin ich drangeblieben.
„Es gibt unendlich viele Möglichkeiten.“
KOPFZEILE: Was hat dich so begeistert?
Josefine Heinemann: Schach ist einfach super interessant. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, jede Partie ist etwas neues. Jede Partie in sich selbst ist spannend, auch wenn man ähnliche Positionen schon gesehen hat. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken, egal wieviel man schon darüber gelernt hat.
Bei offiziellen Turnieren erhalten Schachspieler:innen eine Wertungszahl, auch Elo genannt, die aus Gewinnen, Niederlagen und der jeweiligen Spielstärke der Gegner:innen berechnet wird.
Es gibt sowohl die internationale Wertungszahl FIDE (= Fédération Internationale des Échecs), als auch nationale Wertungszahlen, wie die DWZ (= Deutsche Wertungszahl).
Die aktuell höchste FIDE- Wertung hat Magnus Carlsen mit 2853.
Für den Titel der Großmeisterin der Frauen ist eine FIDE-Wertung von 2300 nötig.
KOPFZEILE: Du hast ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftsmathematik. Wie kommt es dazu, dass du jetzt als Trainerin arbeitest?
Josefine Heinemann: Über die Jahre habe ich festgestellt, dass Schach das ist, was mir im Leben am meisten Spaß macht. Deswegen habe ich nach einem Weg gesucht, mit Schach meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mit Spielen ist das nicht nur schwierig, das ist mit meiner Spielstärke in Deutschland unmöglich. Frauen können zwar ungefähr ab dem WIM Titel Geld verdienen, zum Beispiel mit Bundesligaspielen, aber das reicht nicht um davon zu leben. Bei den Männern sieht das ein bisschen anders aus: Sie müssen stärker sein, um einen Titel zu erhalten, aber sie verdienen dann auch mehr Geld. Training geben ist eine ganz gute Einnahmequelle. Und es macht mir Spaß, meine Leidenschaft mit anderen Leuten zu teilen und sowohl Kindern als auch Erwachsenen das Spiel ein bisschen näher zu bringen.
KOPFZEILE: Was machst du, wenn du gerade nicht Schach spielst?
Josefine Heinemann: Ich gehe mehr oder weniger regelmäßig laufen und mache inzwischen auch Workouts. Die sind eigentlich nicht so mein Ding, aber es kann bestimmt nicht schaden, ein paar Muskeln aufzubauen. Ich glaube schon, dass körperliche Fitness für Schach hilfreich ist, aber es ist auch allgemein wichtig, auf seinen Körper zu achten. Außerdem spiele ich gern Fußball und Basketball.

KOPFZEILE: Auf deinem Blog sprichst du über deine Turnierpartien, wie auch bei der Schach Europameisterschaft der Frauen im März. Wie bereitest du dich auf diese Turniere vor?
Josefine Heinemann: Das ist immer unterschiedlich. Dieses Mal habe ich etwas Neues ausprobiert: Ich habe vor dem Turnier meine Eröffnungen wiederholt. Das mache ich sonst nicht, weil ich selbst sehr regelmäßig spiele. Dafür habe ich meine Dateien auf dem Computer gespeichert, mit allen Zügen, die ich kennen sollte, die kann man dann durchklicken und gucken, ob man sich erinnert oder nicht. Welche Eröffnung ich spielen will entscheide ich meistens erst beim Turnier. Ansonsten löse ich regelmäßig viele Taktikaufgaben. Endspiele wiederhole ich immer, wenn ich denke, jetzt wärs vielleicht mal wieder Zeit.
KOPFZEILE: Und während der Partie? Was geht dir durch den Kopf?
Josefine Heinemann: Psychologie ist auf jeden Fall ein wichtiger Faktor im Schach. Das kann schon damit losgehen, gegen wen man spielt. Wir spielen zum Beispiel regelmäßig das German Masters, eine deutsche Meisterschaft und da lernt man sich natürlich kennen und weiß auch, gegen wen man schonmal gewonnen und gegen wen man verloren hat. Mir persönlich fällt es am leichtesten, wenn ich die Gegner nicht kenne. Und ich spiele lieber ruhige, positionelle Partien. Wenn es zu wild auf dem Brett ist, werde ich schnell nervös und das ist beim Schach meistens auch nicht gut. Auch wenn es drumherum laut ist, kann das stören. Da ist es wichtig, das so gut wie möglich auszublenden und sich vor allem nicht darüber aufzuregen. Auf manche Dinge hat man keinen Einfluss, und je mehr Gedanken man sich während der Partie darüber macht, desto hinderlicher ist es. Wenn ich merke, dass ich unkonzentriert werde, trinke ich einen Schluck Wasser oder mache mir einen Tee.
Mein Schachbrett gucke ich bestimmt zehn Stunden am Tag an.
KOPFZEILE: Wieviele Stunden verbringst du täglich mit Schach spielen?
Josefine Heinemann: Schwierige Frage… Wenn es nur um Spielen geht, dann ist es gar nicht so viel. Aber mein Schachbrett gucke ich bestimmt zehn Stunden am Tag an. Davon ist aber nicht alles eigenes Training. Ich unterrichte, gucke mir Partien und Videos an, oder nehme selbst Videos für meinen YouTube Kanal auf. Das ist also eine ganz bunte Mischung. Manchmal, wenn ich deprimiert bin, spiele ich eine Runde Bullet.*
* Ein Spielmodus, bei dem beide Spieler:innen jeweils eine Minute Zeit haben.
KOPFZEILE: In einem deiner Videos sprichst du dich für eine Abschaffung von Remis-Angeboten aus. Spieler:innen sollen sich also nicht mehr auf ein „unentschieden“ einigen können. Warum?
Josefine Heinemann: Mich stört nicht das Ergebnis Remis an sich, sondern dass man es in beliebiger Stellung anbieten kann. Mir gefällt nicht, dass man damit die Schachpartie ihres logischen Ausgangs beraubt. Oft wird das in sehr komplizierten Stellungen gemacht, in denen im Prinzip alles passieren kann. Das ist für mich einfach nicht logisch, dass man den Kampf abbricht und sich den Punkt teilt. Natürlich kann eine Partie unentschieden ausgehen, wenn keine Seite mehr Matt setzen oder Fortschritte erzielen kann. Das ist etwas völlig anderes, aber dafür haben wir auch andere Regeln. Deswegen finde ich, dass Remis Angebote nicht existieren sollten. In vielen Turnieren, insbesondere im Spitzenschach, sind die bis zu einer bestimmten Zugzahl bereits verboten, auch weil es so spannender für die Zuschauer:innen ist.
Eröffnung nennt man die ersten Züge einer Schach Partie. Die Spieler:innen bringen ihre Figuren in die gewünschte Position, bevor eine Seite beginnt, anzugreifen. Über viele Eröffnungen gibt es lange Theorien, in denen die jeweils besten Züge berechnet wurden, schon bevor es dafür Computerprogramme gab. Spitzenspieler:innen kennen die meisten Hauptvarianten der klassischen Eröffnungen auswendig.


Weiß stellt einen Bauern ins Zentrum.

Weiß greift den schwarzen Zentrumsbauern mit dem Springer an.








KOPFZEILE: Welche Eröffnungen spielst du am liebsten? Und was ist deine Meinung zum London System?
Josefine Heinemann: Ich spiele sehr gern Spanisch mit Weiß. Mit Schwarz spiele ich am liebsten Najdorf. Von London habe ich inzwischen eine deutlich höhere Meinung als früher, aber man sollte sich da sehr genau mit den Zugfolgen beschäftigen, um wirklich gute Ergebnisse damit zu erzielen. Dann kann man auch positionelle Vorteile herausspielen. Wenn man einfach nur stumpf die Züge macht, die man machen will, ohne auf die Reihenfolge zu achten, ist das keine besonders gute Eröffnung.
KOPFZEILE: Was gibst du Menschen mit, die überlegen, mit dem Schachspielen anzufangen?
Josefine Heinemann: Aus meiner Sicht muss man sich einfach mal trauen hinzugehen. Schaut es euch an und vielleicht gefällt es euch. Es muss nicht immer die gleiche Aktivität sein, die die beste Freundin macht, manchmal kann auch etwas anderes spannend sein. In meiner Familie können auch nicht alle etwas mit Schach anfangen, aber ich habe sehr viele gute Freunde über das Spielen kennengelernt.
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Und hier die Lösung zur Taktikaufgabe:
1. Rb8+: Der weiße Turm bewegt sich auf b8 und setzt den schwarzen König Schach.
Rxb8: Schwarz hat keine andere Möglichkeit, sich aus dem Schach zu befreien, als den weißen Turm zu schlagen.
2. Rxb8# : Weiß kann wiederum nun den schwarzen Turm schlagen. Da Schwarz weder den König aus dem Schach bewegen kann, noch etwas zwischen Turm und König setzen oder den Turm schlagen kann, ist das Schachmatt. Weiß gewinnt die Partie.