„Jetzt oder nie!“: Konferenz der studentischen Gewerkschafts-bewegung TVStud

Unter dem Motto „Jetzt oder nie!“ trafen sich alle bundesweiten TVStud-Initiativen zu einer Konferenz in Göttingen. Foto: Kay Herschelmann

Unbezahlte Überstunden, Kettenverträge und fehlender Urlaub – so sieht der Arbeitsalltag vieler studentisch Beschäftigter an deutschen Hochschulen aus. Das eröffnen die Ergebnisse einer bundesweiten Befragung, durchgeführt vom Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen (iaw) in Kooperation mit ver.di, GEW und der bundesweiten TVStud-Initiativen. Unter dem Motto „Jetzt oder nie!“ trafen sich Gewerkschaftler:innen und Unterstützer:innen am vergangenen Wochenende in Göttingen zur TVStud-Konferenz. Ihr Ziel: Die Vorbereitung einer bundesweiten Streikbewegung zur Durchsetzung eines Tarifvertrags für studentisch Beschäftigte (TVStud).

„Wir müssen jetzt in den Arbeitskampf gehen“, resümiert Marvin Hopp in seiner Rede am Samstag, den 25. Februar auf der TVStud-Konferenz in Göttingen und nimmt anschließend das Motto des Treffens auf: „Jetzt oder nie!“. Hopp ist Mitgründer der Initiative TVStud Hamburg – eine Bewegung, deren Forderung bereits im Namen vertreten ist: Sie kämpfen für einen tariflich regulierten Arbeitsvertrag für studentisch Beschäftigte (TVStud). Auf der Konferenz, die vom 24. bis 26. Februar an der Universität Göttingen stattfand, besprachen sich die mittlerweile bundesweit vertretenen TVStud-Initiativen, größtenteils bestehend aus Gewerkschaftsmitgliedern von ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissen (GEW), um über Vernetzungsstrategien zu sprechen und eine bundesweite Streikbewegung studentisch Beschäftigter vorzubereiten.

Dass dafür höchste Zeit ist, zeigt die Studie „Jung, Akademisch, Prekär“, die Hopp gemeinsam mit einem Team aus studentischen Gewerkschaftler:innen und Wissenschaftler:innen der Universität Bremen Anfang dieses Jahres veröffentlichte. Die Studie ist eine ernüchternde Bestandsaufnahme der prekären Arbeitsverhältnisse studentischer Beschäftigter an deutschen Hochschulen. Für Lukas Leslie, selbst jahrelang Tutor an der Uni Hamburg gewesen und nun Teil des Forschungsteams der Studie, waren diese Ergebnisse nicht überraschend, gibt er zu. Ihn schockierte dennoch, „es so auf dem Papier zu sehen, dass Leute überhaupt nicht gut über ihre Arbeitnehmer:innenrechte informiert sind.“ So nehme etwa über ein Drittel ihren Urlaubsanspruch nicht wahr; viele wüssten gar nicht, dass sie welchen haben. 20 Prozent arbeiten darüber hinaus Krankheitstage nach und auch Überstunden seien kein seltenes Phänomen, heißt es in der Studie.

Das Problem sieht Leslie insbesondere in der Unerfahrenheit der Studierenden: „Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass das für viele auch der erste Job ist. Und wenn vom Arbeitgeber [sic] keine Informationen kommen, dann gewöhnt man sich ganz schnell an so schlechte Arbeitsbedingungen.“ Doch auch die hohe Machtasymmetrie zwischen den Studierenden und ihren Vorgesetzten trägt laut der Studie zu den prekären Verhältnissen bei. So seien die Studierenden sowohl mit Blick auf ihre Noten als auch auf eine eventuelle wissenschaftliche Karriere in „besonderer Form […] von ihren Vorgesetzten abhängig“. Hinzu kommt, dass studentisch Beschäftigte laut Umfrage meistens nur sehr kurze Vertragslaufzeiten, von durchschnittlich einem halben Jahr haben. Für Marvin Hopp liegt hier die Problematik darin, „dass man permanent in einer Art Probezeit arbeitet, weil ja alle fünf bis sechs Monate jemand darüber entscheiden kann, ob man weiter verlängert wird oder nicht“.

Alle fünf bis sechs Monate entscheidet jemand darüber, ob man weiter verlängert wird oder nicht.“

Marvin Hopp, Initiator von TVStud Hamburg und Co-Autor der Studie „Jung, Akademisch, Prekär“ über Kettenverträge von studentischen Beschäftigten.

Doch warum ein Tarifvertrag? Mit dieser Frage beschäftigten sich Isabella Rogner von ver.di und Stefani Sonntag von der GEW in einem von fünf Workshops, die ebenfalls Teil der Konferenz waren. Die grobe Antwort liefert Rogner direkt zu Beginn: „Ein Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen.“ Das bedeutet, dass in einem solchen Vertrag für eine gesamte Gruppe, etwa Mitarbeitende im Öffentlichen Dienst oder bei einem Unternehmen wie Volkswagen, grundlegende Dinge wie Gehalt, Vertragslaufzeit oder Urlaubszeiten festgehalten werden. So ließen sich etwa die oben genannten Kettenverträge von fünf oder sechs Monaten verhindern und auch ein höheres Gehalt verhandeln.

Dass es einen TVStud bislang in fast keinem Bundesland gibt, liegt zum größten Teil an der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Diese verweigert die tarifliche Absicherung studentischer Mitarbeiter seit mehr als 40 Jahren. Laut der Konferenzveranstalter:innen gibt es dafür einen simplen Grund: „Der Staat verschafft sich auf diesen Wegen […] einen exklusiven Zugriff auf unsere Arbeitskraft und macht […] Studierende als billige und flexibel einsetzbare Masse an Arbeitskräften zunutze […]“, schreiben sie auf ihrer Webseite. Einzig allein TVStud Berlin ist es bereits in den 80er-Jahren gelungen, einen Tarifvertrag auszuhandeln. 2018 wurde dieser zuletzt aktualisiert (TVStud III).

Marvin Hopp und Lukas Leslie auf der TVStud-Konferenz in Göttingen. Foto: Kay Herschelmann

Die Rahmenbedingungen für Veränderungen waren nie besser

Doch die dieses Jahr veröffentlichte Studie ist ein großer Schritt in Richtung eines bundesweiten TVStud. Nachdem im Rahmen der „Tarifrunde der Länder“ 2021 vonseiten der Gewerkschaften ver.di und GEW sowie zahlreichen bundesweiten Streiks von Tutor:innen und universitären Hilfskräften hoher Druck aufgebaut wurde, stimmte die TdL einer Aufnahme von Gesprächen zur Tarifierung der studentischen Beschäftigten zu, sofern es vorher eine Bestandsaufnahme über deren Arbeitsbedingungen gebe. Mit der Studie liegt diese Bestandsaufnahme nun vor und die Ergebnisse sind eindeutig; es muss sich etwas ändern.

„Die Rahmenbedingungen waren nie besser!“, sagt Marvin Hopp optimistisch. Denn TVStud Hamburg kann sich noch einige weitere Meilensteine zugute schreiben. Als Folge des bundesweiten und in Hamburg erstmaligen Streiks 2021 entstanden Gespräche mit Entscheidungsträger:innen. „Anfang des Jahres hat die Hansestadt Hamburg schließlich beschlossen, Mindestvertragslaufzeiten für studentisch Beschäftigte auf 12 Monate einzuführen“, berichtet Hopp stolz. In Berlin sind es 24 Monate. „Hamburg hat sich das nicht getraut, das ist schade, deswegen machen wir da weiter Druck“, fügt er hinzu.

Wie geht es jetzt weiter? „Zunächst einmal, die Veranstaltung über die Bühne zu bringen“, lacht Leslie. Auf der Konferenz geht es neben dem Vernetzen auch in erster Linie darum, sich zu organisieren. „Einen Tarifvertrag können nur Gewerkschaften durchsetzen“, erzählt Isabella Rogner. Die Mehrheit der knapp 250 Teilnehmenden der Konferenz sind bereits Mitglieder in Gewerkschaften. Sie sollen nun darauf vorbereitet werden, wie sie möglichst viele neue Mitglieder gewinnen können. Als nächstes stünde dann im Herbst die diesjährige Tarifrunde der Länder des öffentlichen Dienstes an – „zu der wir nicht gehören, wo wir aber reinwollen“, betont Hopp.

TVStud: „Ein wichtiger Baustein in einem gerechten Bildungssystem.“

Isabella Rogner, zuständig für Studierende im Fachbereich Gesundheit, soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft bei ver.di.

Aus 2021 haben sie gelernt: Streiks können etwas bewirken. Deshalb ist der zweite Schwerpunkt der Konferenz, diese konkret vorzubereiten. So klärt etwa ein Rechtsanwalt über die Rechte von Streikenden auf und verschiedene Leute, unter anderem ein ehemaliges TVStud-Mitglied, das in den 80ern in Berlin aktiv war, berichten von früheren Streiks.

Mit Blick auf die Tarifverhandlungen sagt Hopp: „Ich bin ziemlich optimistisch, dass wir das gewinnen.“

Am Ende ginge es bei dem Arbeitskampf auch nicht nur um studentische Hilfskräfte an Hochschulen. Bessere Arbeitsverhältnisse dort würden den Wettkampf mit anderen Werkstudierendenjobs vergrößern und langfristig auch Auswirkungen auf die Bedingungen außeruniversitärer Beschäftigungsstellen haben, erklärt Hopp. Denn viele Studierende arbeiten aufgrund der vorgeschriebenen maximalen Anzahl von 20 Arbeitsstunden pro Woche in sogenannten Minijobs. Diese stehen jedoch auch hoch in der Kritik, da sie neben der schlechten Bezahlung keine soziale Absicherung für die Arbeitnehmer:innen bieten, wie unter anderen die Süddeutsche Zeitung berichtet. Der TVStud dürfte daher im Interesse aller oder zumindest vieler arbeitenden Studierenden liegen. Oder, wie Isabella Rogner es formuliert: „Er ist ein wichtiger Baustein in einem gerechten Bildungssystem, für das wir kämpfen.“