Ob Australien, Mexiko oder Deutschland, Klimaaktivist:innen werden weltweit kriminalisiert. Wenn sie auf Demonstrationen oder direkten Aktionen von der Polizei in Gewahrsam genommen werden, drohen ihnen unverhältnismäßig harte Strafen. Dabei kämpfen sie für uns alle: Für Menschen im globalen Süden, die bereits heute ihre Lebensgrundlage verlieren, für die nachkommenden Generationen und für eine bewohnbare Erde. Für unsere Autorin Tabea ist klar: Klimaschutz ist kein Verbrechen!
An der Universität Guadalajara (UdeG), Mexiko, gab es Anfang dieses Jahres große Aufregung. Drei Studenten wurden vom Gericht zu einer präventiven Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem sie im August auf Befehl des in Jalisco regierenden Landespräsidenten, Enrique Alfaro, von der Polizei festgenommen wurden. Ihr Verbrechen: Sie protestierten in einem Park gegen die bevorstehende Bebauung durch ein großes Immobilienunternehmen.
Der Parque Huentitán ist ein öffentlicher Nationalpark in Guadalajara, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Jalisco. Dennoch verkaufte die Landesregierung Jaliscos im Jahr 2008 mehr als 13,5 Hektar an eine ausländische Immobilienfirma, die dort Luxuswohnungen bauen will. Zwischendurch gab es immer wieder neue Verträge und bis heute wurde auf dem verkauften Gelände nichts gebaut. 2021 begannen daher Anwohnende und Studierende der UdeG, den Park wieder aufzubauen. Sie besetzten das Gebiet unter dem Namen „Parque de Resistencia Huentitán“ („Park des Widerstands Huentitán“), pflanzten Bäume und organisierten Aktivitäten für Kinder. Im März 2022 gesellten sich zu ihnen Francisco Javier Armenta, Iván Cisneros und José Alexis Rojas – die drei verurteilten Studenten.
Von der Universität Guadalajara sowie vom Widerstandskollektiv gab es großen Protest und Appelle an den regierenden Präsidenten Mexikos, Andrés Manuel López Obrador. Das Parkgebiet sei laut des Protestkollektivs bis heute nicht offiziell bezahlt worden und gehöre daher den Bürger:innen. Unter dem Hashtag #SonEstudiantesNoCriminales verbreitete sich der Protest auch online. Unterstützer:innen waren neben Studierenden auch Professor:innen, der Vorstand der Universität sowie viele Journalist:innen. Am 10. Januar wurden die drei Studenten nach 6 Tagen Haft vorläufig wieder freigelassen. Der Prozess läuft jedoch weiter.
Klimaschützer:innen riskieren ihr Leben
14.000 Kilometer entfernt in Australien wurde jüngst die Klimaaktivistin Deanna ‚Violet‘ Coco zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt, weil sie sich auf eine Straße klebte. Mindestens ein Dutzend weitere Klimaschützer:innen haben den Gerichtstermin noch vor sich. Bürgerrechtsbewegungen melden laut der taz einen „explosionsartigen Anstieg der Verabschiedung von Gesetzen, die gezielt friedliche Proteste für mehr und sofortigen Klimaschutz unter Strafe stellen“. Zwar wurde auch Coco nach zwei Wochen vorläufig wieder freigelassen, doch auch ihr Prozess läuft weiter; ein Berufungsverfahren im März wird endgültig über ihre Strafe entscheiden.
Und erst vor knapp zwei Wochen endete ein Protest in Atlanta, USA für einen Umweltaktivisten tödlich. Der 26-Jahre junge Manuel Esteban Paez Terán protestierte seit über einem Jahr im South River Forest, südöstlich von Atlanta, gegen die bevorstehende Rodung und Konstruktion eines Übungsplatzes für Polizei und Feuerwehr, sowie eines Filmstudios („Cop City“). Am 18. Januar kam es zu einer Schießerei mit der Polizei, wobei Paez Terán lebensgefährlich verletzt wurde. Dieser Vorfall erschütterte nicht nur seine Freunde und Familie, sondern die gesamte Umwelt- und Soziale Gerechtigkeitsbewegung der USA.
Harte Strafen für Klimaschutz – auch vor unserer Haustür
Das ist ja alles weit weg, könnte man jetzt denken. Aber schauen wir doch mal nach Deutschland. Auch hier werden Menschen kriminalisiert und sehen sich Freiheitsstrafen ausgesetzt, weil sie für die Umwelt, oder größer gedacht, für Klimagerechtigkeit protestieren. Im November letzten Jahres wurden in Bayern mehrere junge Aktivist:innen der Umweltschutzbewegung „Aufstand der letzten Generation“ in Päventivhaft gesetzt – eine umstrittene Maßnahme, die es erlaubt, Verdächtige ohne Strafprozess für bis zu drei Monate in Haft zu nehmen. Diese Strafe ist eigentlich dafür gedacht, potenzielle Gefährder wegzusperren – also Menschen unter Mord- oder Terrorverdacht. Unter dem Hashtag #KlimaschutzistkeinVerbrechen solidarisierten sich daraufhin mehr als 2000 Verbündete aus der Kunst- und Kulturszene mit den jungen Umweltschützer:innen.
Dennoch, die Aktionen der „Letzten Generation“ sorgten in Deutschland vergangenes Jahr immer wieder für große Aufregung. Im Zeichen des Klimaschutzes klebten sich regelmäßig auf Straßen, Autobahnen sowie zuletzt auch auf Start- und Landebahnen an Flughäfen. Rufe nach härteren Strafen vermehrten sich insbesondere, nachdem in Berlin im Zuge eines Staus, der durch einen Streik der „Letzten Generation“ verursacht wurde, eine junge Radfahrerin verstorben war. Sie wurde von einem Betonmischer überrollt und das Bergungsfahrzeug, zum Anheben des Betonmischers gerufen wurde, kam aufgrund des Staus nicht rechtzeitig zu ihr durch. Hier ist allerdings umstritten bis zu welchem Grad die Stauverursachenden eine Schuld an ihrem Tod tragen. Nach Angaben der Notärztin, die vor Ort war, beeinflusste der Stau die Rettung der Frau nicht. Das Bergungsfahrzeug sei gar nicht nötig gewesen, heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Vielmehr ist dieser Fall eine Gelegenheit, über die (Un)Sicherheit für Fahrradfahrer:innen im Verkehr zu diskutieren. Hinzu kommt, dass die in Präventivhaft gesetzten Aktivist:innen nicht an dieser besagten Blockade in Berlin beteiligt waren.
„Kriminalisierung einer klimabewegten Zivilgesellschaft“
Luisa Neubauer
Doch auch bei – größtenteils friedlichen – Protesten, die sich gegen einen einzigen Konzern richten, werden Klimaschützer:innen kriminalisiert. Anfang Januar wurde etwa ein Bus von den Fridays for Future Hamburg über Stunden von der Polizei festgehalten und durchsucht, die Insassen gefilmt und ihre Personalien aufgenommen. Der Bus war mit jungen und alten Menschen auf dem Weg zu einer Mahnwache in dem Dorf Lützerath, das bald vom Energieriesen RWE abgerissen werden soll (Kopfzeile berichtete). Aufgrund dieser von vielen Seiten scharf kritisierten Aktion schafften sie es nicht rechtzeitig nach Lützerath und verpassten die Mahnwache. Deutschlands wohl bekannteste Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die ebenfalls in dem Bus saß, nannte die Durchsuchung später eine „Kriminalisierung einer klimabewegten Zivilgesellschaft“.
Kohlestop statt Klimaflop
Eine Woche später, am 14. Januar 2021, gab es schließlich eine Großdemonstration in Lützerath. Laut der Veranstalter:innen kamen bis zu 35.000 Menschen. Unter ihnen auch die Gründerin der Fridays for Future: Greta Thunberg. Konfrontiert sahen sie sich mit einem großen Aufgebot von mehr als tausend Polizist:innen aus 14 Bundesländern. Während die Polizei von „massiven Angriffen“ seitens einiger Aktivist:innengruppen spricht, kritisieren die Protestierenden die unverhältnismäßige Polizeigewalt. Doch neben all den Schuldzuweisungen kann man eine Sache leicht vergessen, die das Online-Faktencheckmagazin Volksverpetzer auf den Punkt bringt: „Tausende Polizeibeamt:innen im Einsatz für einen Konzern. Die Rechnung zahlt der Steuerzahler, die Klimarechnung die kommenden Generationen. Die Gewinne bleiben bei RWE.“ Denn trotz der Energiekrise braucht es die Kohle unter Lützerath nicht, um Deutschland mit ausreichend Strom zu versorgen. Das belegte eine wissenschaftliche Studie, die von Wissenschaftler:innen des DIW, der TU Berlin und der Europa-Universität Flensburg durchgeführt wurde.
Und während sich die Diskussion schließlich nur noch um verärgerte Autofahrer :innen, beschmutzte Gemälde, und ein paar gewaltbereite Aktivist:innen dreht, wird das Große Ganze vergessen: der Grund. Warum besetzen junge Menschen ein längst verlassenes Dorf? Warum lassen sie sich immer wieder von wütenden Autofahrer:innen beschimpfen, bespucken und bedrohen? Und warum legen sich Studenten in Mexiko mit mächtigen Konzernen an, wohlwissend, dass solche Aktionen in ihrem Land lebensgefährlich sind? Um noch das letzte Stück Natur vor der Zubetonierung zu schützen. Um aufzuzeigen, dass durch eine weitere Förderung von Kohle – der mit Abstand klimaschädlichsten Energiequelle – die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Begrenzung eines globalen Temperaturanstiegs um maximal 1,5 Grad nicht eingehalten werden kann. Und schließlich: Um ihre eigene Zukunft und die der nachkommenden Generationen vor einer Klimakatastrophe zu beschützen.
Die menschengemachte Klimakrise ist längst nicht mehr nur eine Gefahr der Zukunft. Menschen überall auf der Welt und insbesondere im Globalen Süden sehen sich bereits heute mit Klimakatastrophen konfrontiert. Extremwetterereignisse nehmen rasant zu – 2022 wurden in Pakistan und Indien Rekordtemperaturen von 50 Grad im Schatten gemessen; in Australien sank die Temperatur innerhalb weniger Stunden von 43 auf minus 7 Grad. Und auch mitten in Deutschland ist der Klimawandel bereits angekommen. Während extreme Trockenheit und Hitze unzählige Waldbrände verursachten, trockneten die Flüsse Rhein und Weser fast vollständig aus. Der Klimawandel ist kein Zukunftsphänomen; der Klimawandel findet bereits statt.
Warum Klimaaktivismus nicht kriminalisiert werden darf
Aktivismus, Demonstrationen und insbesondere friedliche Proteste haben sich schon in der Vergangenheit als eine wirksame Maßnahme herausgestellt, um Veränderungen durchzusetzen. Sei es Rosa Parks, die sich in den 50er-Jahren im Bus auf einen Platz setzte, der für die „weiße“ Bevölkerung reserviert war, und damit die Bürgerrechtsbewegung in den USA ins Rollen brachte. Seien es die Montagsdemonstrationen der 80er- und 90er-Jahre, die das Ende des SED-Regimes und der DDR einläuteten, oder jüngst die Proteste der „Black Lifes Matter“-Bewegung, die nach dem Mord an dem Afroamerikaner George Floyd durch einen Polizisten weltweit eine Diskussion über strukturellen Rassismus und Polizeigewalt entfachten. Die Kriminalisierung von Klimaprotesten könnte also am Ende dazu führen, dass wichtige Veränderungen gebremst werden, die nötig sind, um die Klimakrise aufzuhalten.
Politiker:innen werden den Klimawandel nicht freiwillig aufhalten. Dafür haben unter anderem Fossil-Industrien, die für den Großteil der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind, zu viel Macht. Der britische Klimawissenschaftler Oscar Berglund bestätigte dem Guardian bereits vor knapp zwei Jahren, dass es im Interesse dieser Industrien liegt, Klimaschutzbewegungen stumm zu schalten. Er ist Initiator eines offenen Briefes an die Regierungen aus aller Welt, der die zunehmende Kriminalisierung von Klimaprotesten anprangert. „Es ist überdeutlich geworden, dass Regierungen nicht ohne den Druck der Zivilgesellschaft gegen das Klima vorgehen: Aktivisten zu bedrohen und zum Schweigen zu bringen, scheint daher eine neue Form der antidemokratischen Verweigerung des Klimaschutzes zu sein“, erklärt der Brief. Unterschrieben wurde er von 429 Wissenschaftler:innen aus 32 Ländern.
Auch wenn einige Aktionen von Klimaschützer:innen, insbesondere auch der Letzten Generation, in meinen Augen durchaus kontrovers zu betrachten sind und sich die Frage stellt, ob sie nicht eher eine Polarisierung provozieren, sind die Bestrafungen dafür unverhältnismäßig. Wenn ein Mensch, der im Zeichen des Klimaschutzes eine Straße blockiert, dieselbe Strafe befürchten muss, wie jemand, der einen Mord begangen oder unter Terrorverdacht steht, dann läuft etwas gewaltig schief. Denn Klimaschutz ist kein Verbrechen, Klimaschutz ist der einzige Weg, um eine Katastrophe zu verhindern.