Die Rückkehr traditioneller Männlichkeit in 7 vs. Wild

7 vs the wild, Männlichkeit in 7 vs the wild, 7 vs the wild frauenhass, 7 vs the wild kritik, toxische Männlichkeit, Knossi, fritz meinecke, Lasse von Feder, Kopfzeile, Unsplash, Chris Abney Im Dschungel von San Jose zählt für die Teilnehmer:innen von 7 vs. Wild nur eines: Es alleine zu schaffen (Bild: Unsplash/ Chris Abney)

Die Survival-Show 7 vs. Wild auf YouTube war das Medienereignis des letzten Jahres. Aber immer mehr Stimmen werden laut, die dem Format die Glorifizierung traditioneller Männlichkeit vorwerfen. So einfach ist es allerdings nicht, denn die Sendung zeigt: Beim gesellschaftlich akzeptierten Bild von Männlichkeit gibt es klare Fortschritte. Genau diese Fortschritte werden in 7 vs. Wild aber immer wieder attackiert.

Am 28. Dezember wurde die 16. Folge Survival-Formats 7 vs. Wild: Panama auf dem YouTube-Kanal von Fritz Meineke veröffentlicht. Damit ist nun bereits die zweite Staffel der erfolgreichen Youtube-Serie abgeschlossen. Das Konzept ist denkbar einfach: Sieben Teilnehmer:innen werden mit jeweils sieben Gegenständen für sieben Tage in der Wildnis ausgesetzt. Mit wackeligen Go-Pro-Aufnahmen filmen sie sich selber. Ein Redaktionsteam, das wie üblich den Verlauf der Sendung zielsicher in Richtung Katastrophe steuert, gibt es nicht.

Die zweite Staffel soll frischen Wind in das Format bringen

Die erste Staffel, in der die Teilnehmer in der Wildnis Schwedens ausgesetzt wurden, avancierte zum Überraschungshit. Allerdings wurde sie dafür kritisiert, dass nur Männer teilnahmen. Das soll sich jetzt ändern. Neben fünf Männern sind dieses Mal auch zwei Frauen dabei.

Außerdem sind die Teilnehmer:innen bis auf wenige Ausnahmen Influencer:innen. Darunter Social-Media-Profis wie der selbsternannte König des Internets „Knossi“ oder die Streamerin Starlet Nova.

In der aktuellen Staffel wurden die Sieben auf der tropischen Insel San Jose in der Nähe von Panama ausgesetzt. Auch der Nachfolger, 7 vs. Wild: Panama ist bereits ein Riesenerfolg. Im Durchschnitt wurden die Folgen der zweiten Staffel 7 Millionen-Mal geklickt. Für YouTube-Verhältnisse eine gigantische Zahl (Stand 04.01.2023).

Glorifiziert 7 vs. Wild Männlichkeit?

Da ist es auch kein Wunder, dass es eine Menge Kritik am Projekt des Survival-YouTubers Fritz Meineke gibt. Dass dieser im Juli letzten Jahres noch mit einem Sexismus-Skandal zu kämpfen hatte, ist in diesem Zusammenhang auch nicht sonderlich förderlich.

Matthias Schwarzer vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zum Beispiel glaubt es bei 7 vs. Wild mit der „Huldigung purer Männlichkeit“ zu tun zu haben. Erkennen will er es daran, dass die männlichen Teilnehmer betont oft ihre Macheten in die Kamera strecken und das Gesicht mit Tarnfarben bemalen.

Ein bisschen kriegerisches Gehabe reicht für eine Männlichkeitsdefinition aber nicht aus. Im Ukraine-Krieg verweigern zum Beispiel immer mehr Männer den Kriegsdienst, sodass die ukrainische Regierung sich gezwungen sah, die Ausreise von Männern im „wehrfähigen“ Alter zu erschweren.  Trotzdem scheint es auch in westlichen Gesellschaften eine Rückbesinnung zu den Werten traditioneller Männlichkeit zu geben.

Dem frauenfeindlichen Männerbotschafter Andrew Tate folgen alleine auf der Streaming-Plattform Twitch 2 Millionen Menschen. Vorrangig Männer, so viel lässt sich vermuten. Er ist nur ein Beispiel für den großen Pool an Pick-Up-Artists oder Männer-Coaches, die weltweit Millionen von Männern bei der Wiederentdeckung ihrer Männlichkeit helfen wollen.

7vs. Wild – Gründer und Gewinner der ersten Staffel Fritz Meineke:

Wann ist ein Mann ein Mann?

Was ist überhaupt Männlichkeit? Eine Liste der WirtschaftsWoche mit dem Titel „25 Dinge, die ein echter Mann können muss“, gibt einen guten Einblick in die Welt der Ideen von Männlichkeit.

Mit einem Augenzwinkern wird hier erklärt, dass „wahre Männer“ IKEA-Möbel ohne Anleitung aufbauen können oder eine Bierflasche bloß mit den eigenen Zähnen öffnen sollen. Auch wenn solche Tipps nicht allzu ernst gemeint sind, enthalten sie aber alle den Kern traditioneller Männlichkeit: Autonomie.

Das Männlichkeitskonzept nach Lothar Böhnisch führt die Vorstellung davon, „es alleine zu schaffen“ als zentrales Prinzip von Männlichkeit auf.

Man vs. Wild

Männer sollen also möglichst ohne Hilfe alles alleine hinkriegen, könnte man sagen. Sei es das eigene Auto zu reparieren, eine Krawatte zu binden oder eben sieben Tage auf einer Pazifik-Insel wie der Isla San Jose zu überleben. Überdeutlich fördert 7 vs. Wild mit einer solchen Versuchsanordnung männlich konnotierte Verhaltensweisen.

Neu im Unterhaltungsfernsehen ist dieses „Lonesome Cowboy-Prinzip“ aber nicht. Schon in der Survival-Produktion „Man vs. Wild“ konnte man dem Protagonisten Bear Grylls dabei zusehen, wie er sich auf jedem erdenklichen Erdteil durch die dortige Wildnis schlug.  

Wie der Titel unschwer erkennen lässt, handelt es sich bei „Man vs. Wild“ um den großen Bruder von Fritz Meinekes Survival-Show. Der Titel ist dem von Meinekes Produktion nicht nur zum Verwechseln ähnlich, sondern liefert auch gleich eine wichtige Erkenntnis zutage: Survival wird gemeinhin als typische Männer-Aufgabe wahrgenommen.

Abenteurer und Survival-Profi Bear Grylls:

Survival als Königsdisziplin Männlichkeit?

Meineke gibt sich allerdings Mühe, dieses Klischee zu durchbrechen, indem er auch zwei Frauen auf die Insel einlädt.

Es bleibt aber bei der Grundvoraussetzung der männlich konnotierten Autonomie. Wer die Isla San Jose nicht vorzeitig verlassen möchte, muss sich alleine und (fast) ohne Hilfsmittel durchschlagen.

Erfrischend wäre es, dem etablierten Bild des einsamen Kämpfers gegen die Wildnis eine neue Seite hinzuzufügen. Kooperation der Teilnehmer:innen beim Überlebenskampf könnte belohnt werden und Konflikt- und Unterhaltungspotential gäbe es dabei auch in rauen Mengen.

Das Drama ist ohne die anderen

7 vs. Wild wirkt zunächst wie ein klassisches Reality-Format, ist es aber nicht. Eines hat das Survival-Format mit den großen Sendungen des Reality-Genres zunächst gemein: Die Zuschauer:innen wollen Drama und Tränen sehen und davon möglichst viel in kurzer Zeit.

Insbesondere die Tränen lassen auch nicht lange auf sich warten, denn die Isolation macht allen Teilnehmer:innen zu schaffen. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich die Serie jedoch von anderen Reality-Sendungen der deutschen Privatsender.

Während die D- und E-Promis des Dschungelcamps die geschmacklosen Challenges zusammen meistern müssen, sind die Teilnehmenden von 7 vs. Wild völlig auf sich alleine gestellt und sehen eine Woche lang keine anderen Menschen. Kooperation oder die Arbeit im Team sind hier nicht von Nutzen. Denn Man(n) muss „hart sein“, wie Teilnehmer „Knossi“ fast täglich in seine Kamera schreit.

Eine Frage der Mentalität

Aber was bedeutet es eigentlich „hart“ zu sein? Knossi, der mit bürgerlichem Namen Jens Knossalla heißt, meint damit die mentale Stärke oder eben das „Mindset“. Das ist auch deshalb interessant, weil für ihn das Ideal körperlicher Stärke keine große Rolle spielt.

Fritz Meineke und ein anderer Teilnehmer, der sich Otto „Bulletproof“ nennt, betonen beide mantra-artig, dass es hier (beim Überlebenskampf) um das richtige Mindset gehe. Wenn du nur fest daran glaubst zu überleben, dann schaffst du es auch, so die Erzählung.

Narrative vom kühl kalkulierenden Mann deuten auf eine Weiterentwicklung, ein Update der traditionellen Konzeption von Männlichkeit hin. Lange Zeit war das Zeigen körperlicher Kraft entscheidend für die Zuschreibung von Männlichkeit. Mentale Stärke lässt sich aber mühelos mit anderen männlich zugeschriebenen Merkmalen kombinieren, obwohl sie kein ursprünglicher Bestandteil traditioneller Männlichkeit ist. Das richtige Mindset zu haben bedeutet nämlich nichts anderes als die eigenen Emotionen zu unterdrücken und sich voll auf die Außenwahrnehmung zu konzentrieren.

Böhnisch bestätigt, dass das Zurückhalten von Gefühlen ein wichtiger Bestandteil männlicher „Lebensbewältigung“ ist.

Männlichkeit im Wandel

Allerdings hält keiner der Teilnehmer:innen den Kampf gegen die Folgen der Einsamkeit lange aus. Die Streamerin Starlet Nova leidet sogar so stark unter der Isolation, dass ihr an Tag zwei die Tränen kommen, weil sie Freunde und Familie vermisst. Erstaunlicherweise spricht aber auch Survival-Veteran Fritz Meineke, zwar etwas hölzern, über seine emotionalen „Downs“ auf der Insel.

Eine besondere Rolle beim Thema Männlichkeit kommt Knossi zu. Er beschreibt sich selbst als Durchschnitts-Typen, „wie 95% der Leute“ wie er meint. Offen spricht er über seine Ängste und Probleme auf der Insel und erklärt ausschweifend, wie sehr er seine Frau vermisst.

Damit vereint er in sich sowohl die männliche Erzählung vom unnachgiebigen Willen, dem Mindset als auch das Bedürfnis zur emotionalen Öffnung. Das ist zunächst verwirrend, weil sich ein betont sachliches Mindset und das Zulassen von Gefühlen tendenziell ausschließen. Allerdings ist Männlichkeit ein ambivalentes und manchmal auch recht schizophrenes Konzept. An Knossi lässt sich sehr gut der Wandel der traditionellen Männlichkeit hin zu einer anderen Variante ebendieser nachvollziehen.

Männlichkeit als soziales Konstrukt

Auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit wird die Definition von Männlichkeit als starres, unveränderliches Gebilde mittlerweile abgelehnt. Die beiden Sozialwissenschaftler Christian Paulick und Sven Werner sind sich einig, dass Männlichkeit „sowohl historisch und kulturell veränderlich als auch biografisch im Wandel“ ist.

Zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Menschheitsgeschichte gab es völlig andere Vorstellungen von Männlichkeit. Früher war es körperliche Stärke, heute bildet vielleicht das richtige „Mindset“ den Kern gemeinhin akzeptierter Männlichkeit. Auch im Laufe des Lebens hat ein Mann unterschiedliche Ideen von der „sozialen Rolle“ als Mann. Ein pubertierender Junge eine andere Vorstellung von Männlichkeit als ein alternder Mann, der bereits eine Familie hat.

Paulick und Werner sehen in dieser Wandelbarkeit männlicher Geschlechterrollen einen gesellschaftlichen Fortschritt. So bekommt selbst das harte Survival-Urgestein Fritz Meineke die Möglichkeit vor der Kamera seine „weiche Schale“ zu zeigen, ohne, dass ihm dies als „unmännlich“ und damit als Schwäche ausgelegt wird. Das traditionelle Bild des unnahbaren, harten Kerls wird bei 7 vs. Wild also zumindest ein bisschen aufgebrochen.

Empathie wird auf der Insel bestraft

Eine offensichtliche Feier traditioneller Männlichkeit ist 7 vs. Wild nicht. Dafür sind die dargebotenen Männlichkeitsbilder zu vielschichtig.

Aber: Das Verankern traditioneller Männlichkeitsideale passiert bei 7 vs. Wild vielmehr im Hintergrund und ist damit weniger offensichtlich. Belohnt werden auf der Isla San Jose nämlich Autonomie-Denken und das Verdrängen der eigenen Emotionen, während soziales und empathisches Verhalten, wie das von Nova oder Knossi tendenziell eher bestraft werden.

Die Abgeschiedenheit von San Jose erzeugt bei ihnen das Gefühl der Isolation und Erschöpfung.

Legitimation traditioneller Männlichkeit

Das gesunde Interesse für andere Menschen führt auf einer menschenleeren Insel zu Einsamkeit und behindert damit den Überlebenskampf eher. Das weiß auch der Teilnehmer Otto Bulletproof, seines Zeichens Ex-Soldat und Unternehmer.

Er spricht betont sachlich über seine starken Schmerzen im Rücken und gibt sich Mühe, den Zuschauer:innen nichts über sein gedankliches Innenleben zu verraten. Eine erfolgreiche Strategie. Otto verlässt die Insel schließlich als Sieger. Damit gibt ihm das Format in seiner Proklamation traditioneller Männlichkeit, ob gewollt oder nicht, recht.

Traditionelle Männlichkeit und die Abwertung von Frauen

Die subtile Legitimation traditioneller Männlichkeitsideen bleibt im 7 vs. Wild – Mikrokosmos nicht ohne Folge. Das betrifft vor allem das Verhalten der Zuschauer:innen.

Schon vor Beginn der zweiten Staffel wurde die Streamerin Nova von männlichen Fans des Formats immer wieder als „Schminktussi“ oder als „völlig ungeeignet“ bezeichnet. Als sie bereits an Tag vier ausschied, ließen die Hater nicht lange auf sich warten und feindeten sie für ihre „übertriebene Emotionalität“ auf der Insel an. Es ist nur eines vielen Beispielen, das illustriert, wie Ideale traditioneller Männlichkeit auch immer zur Ausgrenzung und gezielten Abwertung von Frauen führen.

Die Rückkehr traditioneller Männlichkeit

Auf der einen Seite zeigt die Serie, dass sich vormals starre Vorstellungen von Männlichkeit nun im Wandel befinden. Auch ein Fritz Meineke kann sich diesem gesellschaftlichen Fortschritt nicht entziehen.

Allerdings trägt 7 vs. Wild, wenn auch wohlmöglich ungewollt, dazu bei, traditionelle Männlichkeitsideale zu legitimieren und zumindest in Teilen wieder salonfähig zu machen. Damit macht das YouTube-Format einen gefährlichen Rückschritt, der sich gegen die gesellschaftliche Öffnung sozialer Geschlechterrollen richtet.

Die Abwertung von Frauen ist dabei die gefährliche Folge. Daher muss eine solche Entwicklung kritisch begutachtet werden.