Die Bundesregierung hat im Zuge der Energiekrise ein Gesetz über eine Einmalzahlung von 200 € an Studierende beschlossen. Diese Hilfe kommt allerdings viel zu spät und wird nicht ausreichen. Es ist also höchste Zeit, darüber zu sprechen, dass Studierende wieder die Verlierenden der Krise sind und warum das niemanden interessiert.
Ein Kommentar von Lara und Lasse
Oft bekommen Studierende oder Menschen, die sich in einer Ausbildung befinden, zu hören, dass “Lehrjahre keine Herrenjahre” sind. Während der Ausbildung sei es schließlich normal, wenig Geld zu haben und unter prekären Umständen zu arbeiten.
Spätestens nach der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 16. November muss diese Redewendung vielen Studierenden nun äußerst zynisch vorkommen.
Aus der Pressemitteilung geht hervor, dass 37,9% aller Studierenden in Deutschland armutsgefährdet sind. Bei den Studierenden, die allein oder in WGs leben, waren es sogar 76,1%. Als armutsgefährdet gilt eine Person, wenn sie weniger als 60% des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat. Dieses mittlere Einkommen betrug im Jahr 2021 1.251 Euro im Monat.
Wenn einen diese Zahlen nicht beunruhigen, dann vielleicht, dass die Daten aus dem Jahr 2021 stammen. Zu dieser Zeit betrug die Inflationsrate im Durchschnitt “nur” 3,1% und erreichte im Dezember ihren Höchstwert von 5,3%. Mit Inflation ist hier gemeint, dass alle Preise einer Volkswirtschaft ansteigen. Die größten Preissteigerungen waren bei Energie (10,4%) und Nahrungsmitteln (3,2%) zu beobachten. Beides sind Produkte, auf die jeder Mensch im alltäglichen Leben angewiesen ist.
2022 sah das Ganze dann schon viel bedrohlicher aus, denn die Inflationsraten waren bis auf wenige Ausnahmen wesentlich höher als die des vergangenen Jahres und erreichten im Oktober ihren bisherigen Höchstwert von 10,4%. Die Studierenden, von denen viele schon im letzten Jahr armutsgefährdet waren, trifft die Verschärfung der Inflationskrise besonders hart.
Entlastungen für Studierende kommen zu spät
Die Bundesregierung reagierte auf die prekäre Situation der angehenden Akademiker:innen mit einer Entlastung, die sich vor dem Hintergrund der eben genannten Zahlen wie ein schlechter Scherz liest: Studierende und Fachschüler:innen sollen mit der Energiepreispauschale für Studierende eine Einmalzahlung von 200 Euro bekommen, um die gestiegenen Heizkosten zu kompensieren.
Problematisch ist zunächst die mangelnde Planbarkeit. Wann die Auszahlung der Energiepauschale genau kommt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt werden. Die Tagesschau berichtete am 09. Dezember 2022 über Probleme bei der Umsetzung des Vorhabens, die Pauschale auszuzahlen und dass sich die Auszahlung voraussichtlich verzögern wird. Seitdem gibt es keine neuen Meldungen darüber, ob für dieses Problem eine Lösung gefunden wurde (Stand 04.01.2023).
Dabei ist gerade jetzt Eile angesagt: Studierende kämpfen jetzt bereits mit Mieterhöhungen und Nebenkostenabrechnungen und können die 200 Euro nicht fest einplanen. Dieser Schwebezustand führt zu immenser Verunsicherung. Auch in der Corona-Pandemie wurde den Studierenden keine verlässliche Hilfe angeboten, obwohl viele ihre Jobs im gastronomischen Bereich oder im Einzelhandel nicht weiter ausführen konnten und Ihnen damit Einnahmen einfach wegbrechen.
Was noch hinzukommt: Die Pauschale muss in einigen Fällen sogar versteuert werden. Wenn man mehr als 10.347 Euro im Jahr verdient, ist der Betrag steuerpflichtig.
Maßnahmen werden nicht ausreichen
Das Problem mit der Energiepreispauschale geht aber über die mangelnde Planbarkeit hinaus.
Es sind wirklich keine mathematischen Fachkenntnisse nötig, um zu erkennen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden. Weder die gestiegenen Heizkosten, noch die in die Höhe schießenden Mietpreise lassen sich so ausgleichen.
Was es braucht, ist eine grundlegende Verbesserung der Lebensverhältnisse von Studierenden. In diesem Zug forderte der Generalsekretär des deutschen Studierendenwerks in einem NDR-Interview eine schnelle und vor allem dauerhafte Verbesserung der finanziellen Situation von Studierenden: „Das studentische Budget ist in der Regel auf Kante genäht und die Naht droht jetzt zu reißen, […] deshalb braucht es eine sofortige Anhebung des BAföG-Satzes“.
Psychische Gesundheit von Studierenden in Gefahr
Es wird klar, wohin die unverschuldete Verarmung vieler Studierender führt: Möglichkeiten, am sozialen Leben teilzunehmen, verschwinden zunehmend und es kommt zu einer starken Marginalisierung der Gruppe der Studierenden.
Wer das für übertrieben hält, muss nur zurück ins Jahr 2020 schauen. In der Hochphase der Pandemie waren Hilfszahlungen an Studierende verschwindend klein. Viele erhielten sie erst gar nicht. Junge Menschen litten außerdem überproportional an der Isolation während der Lockdowns.
Auch in diesem Jahr werden die Interessen von Studierenden wieder grundsätzlich mit Füßen getreten, wie der Fall der Uni Trier zeigt. Diese schickte die Studis schon zwei Wochen vor Beginn der Weihnachtsferien in die digitale Lehre, um Energie zu sparen. Die Studierenden waren daraufhin gezwungen, sogar ganztägig die eigenen vier Wände zu heizen.
Armut hat nicht zuletzt auch vor allem Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Menschen. Jede Art der sozialen Teilhabe fördert die Lebensqualität und beugt Isolation vor. Kino, einen Kaffee trinken gehen oder Sportkurse besuchen, sind die ersten Dinge, die für von Armut betroffene Studierende wegfallen und zu einer Vereinsamung führen können.
Zu wenig Hilfe für Studierende in der Corona-Pandemie
Studierende fühlen sich übersehen und nicht ernst genommen mit ihren Sorgen. Das Gefühl, nicht richtig wahrgenommen zu werden, insbesondere von Politiker:innen, wird in einer Online-Befragung des Forschungsverbundes „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ der Universität Hildesheim bestätigt. 60 % der befragten jungen Menschen haben das Gefühl, dass ihre Situation und die eigenen Sorgen in der Politik wenig wahrgenommen werden.
Das typische Campus-Leben ist bereits während der Pandemie weggefallen und die Studierenden haben sich vergessen gefühlt: denn, während es bei Schulen so gut wie möglich versucht wurde, diese offen zu halten, war dies an den Hochschulen nie Priorität. Viele Erstsemester haben dadurch kaum Anschluss gefunden oder sind bei ihren Eltern wohnen geblieben. Die gestiegenen Energiepreise machen einen Umzug für viele derweil kaum möglich.
Bereits im Jahr 2020 hat die Zeit berichtet, dass Studierende aufgrund unzureichender Hilfszahlungen oder dem Wegfall des Nebenjobs ihr Studium abbrechen oder Schulden aufnehmen mussten. Dadurch verschärft sich der Trend weiter: Studieren wird zum Privileg, wer kein Geld hat und durch das Raster beim BAföG fällt, kann sich ein Studium kaum noch leisten.
Denn obwohl immer Menschen studieren, bleibt die Anzahl der Bafög-Beziehenden seit 1971 fast gleichbleibend, berichtet die Tagesschau. Nur 11 % der Studierenden beziehen heute BAföG. 1973 waren es noch ganze 47 %. Dies liegt zum einen an der Angst vor einer Verschuldung oder einem zu “hohen” Einkommen der Eltern. Dieses strukturelle Problem führt dazu, dass immer wieder die gleichen Menschen in akademische Berufe kommen.
Armut ist kein Naturzustand, sondern eine politische Entscheidung!
Armut, auch während des Studiums, darf nicht normalisiert werden. Dieses Thema sorgt auch auf Social Media für Aufsehen. Ausgelöst durch einen Post des Content-Netzwerks Funk, kam vor ein paar Tagen eine Debatte auf Instagram auf.
Funk veröffentlichte am 17. Dezember einen Beitrag, der als Hilfestellung für Menschen mit von Armut betroffenen Freund:innen dienen sollte. In diesem heißt es, dass „[Armut] normal“ sei „und niemand was dafür [kann]“. Solche Aussagen sind problematisch, da Armut kein Naturzustand ist und durch politische Entscheidungen beeinflusst werden kann. Außerdem ist Armut, gerade unter Studierenden, zumeist nicht selbstverschuldet. Ein Umstand, der in der heutigen Diskussion über Armut oft ausgeblendet wird.
Was wirklich helfen würde: Ausreichend finanzielle Unterstützung und Entlastung durch den Staat. Den gesamten BAföG-Satz als Zuschuss für Studierende anzubieten, wäre zum Beispiel ein längst überfälliger Schritt. Studierende müssten dann keinen einzigen Cent des BAföGs zurückzahlen und könnten ihr Studium ohne Angst vor späterer Verschuldung absolvieren.
Genauso wichtig wäre es, die Studierendenwerke aus staatlicher Hand besser zu finanzieren, damit sie die gestiegenen Einkaufspreise nicht in Form von erhöhten Mensapreisen oder Mietkosten für Studierendenwohnheime weitergeben müssen. Dass es noch längst nicht dazu gekommen ist, zeigt wiederholt, dass insbesondere junge Menschen sträflich von der Politik vernachlässigt werden und somit wieder zu Verlierer:innen der Krise werden.
Auf dem Campus der Universität Hamburg versucht eine Gruppe Studierender auf diese Situation aufmerksam zu machen, indem sie wiederholt Essen aus der Blattwerk-Mensa stahl. KOPFZEILE berichtete bereits Anfang des Monats über die Beweggründe hinter diesen Plünderungen und die Antworten überraschen kaum: die immer weiter zunehmende Armut unter Studierenden. Selbst in der Mensa können sich viele ein Gericht kaum noch leisten. Hinzu kommt das vorherrschende Gefühl, von der Politik übersehen zu werden.
Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, mag sein, aber eine Verarmung und soziale Ausgrenzung durch Armut dieser Gruppe ist nicht hinzunehmen und ein Studium sollte nicht bedeuten, am Existenzminimum leben zu müssen. Die Politik muss es sich zur Aufgabe machen, allen Studierenden einen Einstieg oder Fortführen ihres Studiums ohne finanzielle Nöte zu ermöglichen.