Jung, kreischend, kurios – K-Pop Fans begegnen diesem Klischee ständig. Doch dem Stereotyp der naiven Teenie-Hysteriker:innen entsprachen die Fans der südkoreanischen Popmusik eigentlich noch nie. Wie viel Engagement und Einsatz hinter dem K-Pop Fansein steckt, erfährt KOPFZEILE beim Berliner Konzert der Gruppe ATEEZ.
Tosender Jubel schallt durch die Mercedes-Benz Arena in Berlin. Unaufhaltsame Fanmengen strömen zu ihren Sitzplätzen, der Stehbereich ist schon gerappelt voll. Noch ist der Innenraum hell erleuchtet, aus den Lautsprechern erklingt eine gedämpfte Hintergrundmusik. Und trotz der völlig abdunkelnden Verdeckung sind alle Augen auf die hervorstehende Bühne gerichtet.
Bis zum Konzertbeginn sind es noch 45 Minuten. Doch für eine Arena voller Fans, die seit drei Jahren auf die Rückkehr ihrer acht südkoreanischen Lieblingsperformer ATEEZ gewartet haben, ist das nichts. 17.000 treue Anhänger:innen, die genau wissen, wie man sich die Zeit vertreiben und nebenbei so richtig die Stimmung anheizen kann:
Unter ihnen ist auch Freya, die die achtköpfige Gruppe schon seit vier Jahren als leidenschaftlicher Fan begleitet. Für das Berliner Konzert ist sie extra aus ihrer Heimatstadt Manchester angereist. Das gemeinsame Singen auch vor Showbeginn sei eine Tradition bei K-Pop Konzerten, erzählt die 21-jährige Engländerin begeistert. Es stecke aber noch weitaus mehr hinter der Fankultur, die sich vor allem in dem sozialen Netzwerk Twitter abspiele.
„Meine besten Freunde habe ich dank K-Pop“
„Das bedeutsamste am K-Pop Fansein sind für mich die Freundschaften – mehr als alles andere“, betont Freya. Fast alle habe sie online über die Fan-Community auf Twitter geschlossen, die meisten sogar international. Die räumliche Distanz sei keine Hürde – im Gegenteil: „Dadurch, dass wir uns nur selten sehen, ist unsere Verbindung umso stärker. Und das Reisen macht natürlich auch total Spaß.“ Zusammen mit ihrer besten Freundin Lotti aus Deutschland wartet sie nun in der vordersten Reihe gespannt auf den Beginn der Show.
Aus der gedämpften Hintergrundmusik werden mit einem Mal tiefe Posaunenklänge. Ein gewaltiger Bass läutet den imposanten Auftritt der acht Performer ein. Die Fans stimmen sofort mit ein. „ATEEZ present!“, rufen sie als gemeinsame Antwort, auch „Fanchant“ genannt, auf das Intro des Gruppenleaders Hongjoong.

ATEEZ – Die Piraten des K-Pop Mit ihren acht Mitgliedern (v. l. n. r. Mingi, San, Yeosang, Hongjoong, Jongho, Yunho, Seonghwa, Wooyoung) ist die K-Pop Gruppe ATEEZ seit 2018 aktiv. Ihr im selben Jahr veröffentlichtes Debütalbum „TREASURE EP. 1: All To Zero” belegte kurz nach Release Platz 12 der weltweiten Billboard Albencharts und verhalf ihnen sofort zu internationalem Erfolg. Die Band-Mitglieder sind Mitte Zwanzig und vor allem bekannt für ihr konzeptionelles Gesamtpaket: In ihrer Musik und den dazugehörigen Videos erzählen sie die mysteriöse und zugleich dramatische Geschichte von acht Piraten auf See. Zunächst grotesk anmutend gewinnt ihre Geschichte mit ausgeklügelten Choreographien, Bühnenshows und symbolischen Konflikten zwischen den acht Schatzsuchenden und ihren dunklen Alter Egos an bedeutungsvoller metaphorischer Tiefe. |
Von Fans für Fans
Gemeinsam aktiv zu werden bedeutet in der K-Pop Fankultur aber noch viel mehr als nur das gemeinsame, an den Fußball erinnernde Singen und Rufen von Fanchants. Vor allem die Organisation von eigenen Projekten macht einen bedeutenden Teil der Fankultur aus.
Auch für das ATEEZ Konzert in Berlin haben besonders engagierte Fans im Vorhinein ein eigenes Projekt, einen sogenannten „Banner Ocean“, organisiert. Mit selbst designten und produzierten Papierbannern, die vor der Arena umsonst an alle Fans verteilt werden, soll während des Konzerts ein riesiges Bannermeer entstehen, erklärt Aysegül, 24, eine der Organisatorinnen aus Aschaffenburg.

Wir möchten den Fans und den Idols eine
Aysegül, 24, Organisatorin des Bannerprojekts für das Berliner ATEEZ Konzert
gemeinsame Erinnerung schenken.
K-Pop Fans planen Bannerprojekte wie das von Aysegül, um den auftretenden Künstler:innen (im Fanjargon auch „Idols“ genannt) Unterstützung und Wertschätzung zu vermitteln. „Wir möchten den Fans und den Idols eine gemeinsame Erinnerung schenken“, erzählt die studierte Grafikdesignerin, die bereits seit drei Jahren Fanprojekte für verschiedene K-Pop Gruppen organisiert.
Finanziert werden die Projekte überwiegend aus Spenden der Fan-Community. Bei Bannerprojekten sei die Bereitschaft meist hoch genug, um ausreichend Exemplare für ein Konzert produzieren zu können. Bleibt etwas von dem gesammelten Geld über, wird dies typischerweise gespendet.
Ohne Expertise und Professionalität läuft nichts
Dass die Organisation und Koordination eines solchen Fanprojekts sowohl Expertise als auch Professionalität erfordern, bestätigt Doreen, langjährige Hauptorganisatorin der BTS-Fangruppe Bangtan Germany. Wie Aysegül ist auch sie beruflich als Grafikdesignerin tätig. „So etwas kann kein 13-Jähriger organisieren“, erzählt die erfahrene Initiatorin.
Beide sind sich einig: Der Aufwand sei extrem groß. „Von Design über Promotion, Produktion, finanzielle Koordination bis hin zum Verteilen vor Ort – da muss man sehr viel Zeit und Arbeit reinstecken“, erklärt Aysegül. Bei großen Arena-Konzerten wie dem von ATEEZ sei zusätzlich eine offizielle Absprache mit den Veranstalter:innen erforderlich. Auch diese Kommunikation sei ein wichtiger Teil der Organisation, unterstreicht Doreen. Geld verdienen sie an ihren Projekten allerdings nicht. Ihre Tätigkeit verstehen sie als Hobby, als Ehrenamt.
Neben ausgesprochener Muße ist obendrein ein dickes Fell gefragt – besonders bei Bannerprojekten. Läuft bei der Produktion oder am Tag des Konzerts etwas schief, ist die einmalige Chance auf einen gemeinsamen Moment mit den Idols vertan: „Man organisiert stellvertretend für tausende Fans, die dann auf einen schauen. Da macht man sich schon Druck“, erzählt Doreen.
Kollektive Aktionskultur als Marketingstrategie?
Dass K-Pop Fans mit ihrer kollektiven Aktionskultur eine unentbehrliche Rolle für die Verbreitung der südkoreanischen Popmusik und -kultur spielen, findet auch in der Wissenschaft Anklang. Die Selbstorganisation der Fans sei intrinsisch motiviert und ein klares Alleinstellungsmerkmal der K-Pop Fankultur, so Sung Un Gang, Kulturwissenschaftler und Dozent für koreanische Geschichte an der Universität Bonn, gegenüber Deutschlandfunk Nova.
Dennoch sei den südkoreanischen Plattenfirmen natürlich bewusst, dass sie besonders mit ihren Boybands eine überwiegend jüngere, weibliche Zielgruppe ansprechen. Dass diese im Netz besonders aktiv sei, sei für die strategische Vermarktung der Musik ausgesprochen günstig, so Kulturwissenschaftler Gang.
Der aktive Unternehmergeist der Fans, auch „Fan Entrepreneurship“ genannt, kombiniert mit ihrem inneren Antrieb mache sie zu ernstzunehmenden Vermittler:innen der südkoreanischen Unterhaltungskultur, hält eine israelische Fallstudie fest. Insbesondere die internationale Organisation von Fanprojekten bringe die ferne Kultur in lokale Umgebungen und mache sie so greifbarer für ein globales Publikum.
Eine unvergessliche Erinnerung
Wortwörtlich greifbar wurde sie beim Berliner ATEEZ Konzert allemal. Das Bannerprojekt war ein Erfolg, findet Organisatorin Aysegül. „Dass so viele Fans unsere Banner annahmen und wie geplant zur selben Zeit hochhielten, war die ganze Mühe wert“, erzählt sie nach dem Konzert.
Auch Freya, die vor dem Berliner Konzert schon zwei Shows derselben Tour in London besucht hatte, erzählt begeistert von dem Bannerprojekt: „Für mich war das Berliner Konzert das beste von allen dreien.“ Der Moment, in dem alle Fans ihre Banner hochhielten und die acht Sänger sich in ihren Abschiedsreden sichtlich gerührt für das Projekt bedankten, habe die Engländerin emotional besonders bewegt. Bei den Londoner Konzerten habe es ein solches Projekt nicht gegeben.
K-Pop ist gekommen, um zu bleiben
Die Aussichten für K-Pop stehen gut – sowohl aus Fan- als auch aus Produzent:innenperspektive. Seine Ära als kurzlebiges Internetphänomen ist längst Geschichte, das gemeinsame Ziel der nachhaltigen Etablierung im globalen Musikmarkt erreicht. Ob die besondere Fankultur weiterhin bestehen wird oder aber im Mainstream ihren gemeinschaftlichen Charakter verliert, liegt nun in den Händen der Fans. Für Aysegül zumindest ist klar: Wenn auch nicht mehr in der Fan-Community, ihre berufliche Zukunft wird im globalen K-Pop Marketing liegen.