Zwischen Pflicht und Freiheit – Ein Studium in Uniform

In Reih und Glied bei der Leutnantsbeförderung, die Studierenden der HSU.

Sie liegt versteckt hinter Mauern und Schranken und wird von Sicherheitspersonal bewacht: Die Bundeswehr-Universität in Hamburgs Osten. Die Studierenden dort: angehende Offiziere, verpflichtet zu einer 13-jährigen militärischen Dienstzeit. Wie sieht das Studierendenleben unter solchen Bedingungen aus?

Von Paulina Backensfeld

Tonaufnahme Marschmusik

Marschmusik, Bratwurststände und Tarnfarben, soweit das Auge reicht. Die Deutschlandfahne weht im Wind. An zahlreichen Ständen kann, wer möchte mal eine militärische Ausrüstung anprobieren. Die Bundeswehr stellt sich vor, wirbt um Nachwuchs und für die Kinder gibt es Ponyreiten. Für jemanden der in seinem Alltag keine Berührung mit Uniformen und Bundeswehr hat, ist es ein Ausflug in eine andere Welt. Eine Welt, in der Hierarchie und Ordnung alles bestimmen. Eine Welt, die zugleich aber auch Zusammenhalt, Zugehörigkeit und für viele junge Menschen ein Zuhause bietet.

Bei strahlendem Sonnenschein versammeln sich Anfang Juni 2022 über 2.500 Studierende inklusive Angehöriger, um die sogenannte Leutnantsbeförderung zu feiern – „den wichtigsten Tag in der Laufbahn eines Offiziers“, so beschreibt es Leon*, 21 Jahre. Er studiert seit einem Jahr Psychologie an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr (HSU) in Hamburg. Im kommenden Jahr wird er selbst zum Leutnant befördert und erreicht somit sein Ziel, Offizier der Bundeswehr zu werden. Doch nebenbei muss er auch noch sein Studium abschließen, welches für ihn als angehende Führungskraft des Militärs Pflicht ist. Wie es ihm damit geht, alles unter einen Hut zu bekommen und wie genau ein Studium bei der Bundeswehr aussieht, das hat Leon KOPFZEILE verraten.

Tonaufnahme Rede Lambrecht

Sogar Verteidungsministerin Christine Lambrecht ist eigens für die Leutnantsbeförderung, Hamburgs jährlich größter militärischer Veranstaltung, angereist. In ihrer Rede appelliert die Ministerin an die große Verantwortung der Studierenden, die zivile Bevölkerung in letzter Konsequenz mit Waffengewalt zu schützen. So wird den Anwesenden plötzlich doch der Ernst der Situation und das Schicksal der Soldat:innen bewusst.

Leutnant? Offizier? Was ist das eigentlich?
Die Student:innen der HSU absolvieren, so wie jeder:jede andere Soldat:in eine militärische Laufbahn. Studieren kann man aber nur in der Offizierslaufbahn, die im Regelfall 13 Jahre dauert. Dabei durchlaufen sie verschiedene Karrierestufen – sogenannte Dienstgrade, wie “Leutnant“ oder “Hauptmann“ – natürlich können auch Frauen diese Positionen erreichen, allerdings gibt es bei der Bundewehr keine weiblichen Formen der Dienstgradbezeichnung, es wird dann die Formulierung  „Frau Hauptmann“ verwendet. Einhergehend mit einer Beförderung zu einem höheren Dienstgrad ist ein höheres Gehalt, aber auch mehr Verantwortung. Bei einem Großereignis wie der Leutnantsbeförderung werden allein in Hamburg jährlich um die 400 Studierenden zum Leutnant ernannt und erreichen somit den Status eines Offiziers.

Studium – Verpflichtend!

Der Uni-Alltag der HSU scheint abgesehen von diesen Großveranstaltungen jedoch auf den ersten Blick nicht so stark militärisch geprägt, wie man es vielleicht vermuten könnte. Es handele sich bei der HSU um eine sich selbstverwaltende, eigenständige wissenschaftliche Einrichtung, beschreibt Arnd-Michael Nohl, Professor für Erziehungswissenschaften an der HSU. Die Kleidung ist den Studierenden freigestellt, kaum eine:r trage in der Vorlesung Uniform. Auf dem ganzen Campus gäbe es nicht eine Waffe.

Es kommt darauf an, hier eine zivile Universität innerhalb der Bundeswehr zu haben. Nicht eine militärische Universität.

Prof. Arnd-Michael Nohl, Professor für Erziehungswissenschaft an der HSU

Auch die Motivation für ein Studium ist bei vielen der Studierenden dieselbe wie bei zivilen Studierenden. Sie wollen sich in einer bestimmten Fachrichtung weiterbilden und für die Zukunft abgesichert sein.

Doch da gibt es noch eine andere Seite. „Der Unterschied ist, dass unsere Studierenden, wenn sie hierher kommen, schon einen Beruf haben.“ So beschreibt es Dietmar Strey, Pressesprecher der HSU. „Die Studierenden der HSU sind allen voran Soldat:innen. Nach 15 Monaten militärischer Ausbildung geht es für sie an die Universität“. Und auch Nohl merkt an, „bei unseren Studierenden ist der Unterschied, dass ein Teil der Studierenden […], vielleicht so 20 Prozent gar nicht studieren wollen.“ Darunter leidet oftmals die Motivation. Zumal die Bundeswehr die Studiengänge zuteilt und man somit nicht unbedingt einen Platz in dem Studienfach bekommt, das man gerne möchte.

Als Außenstehendem drängt sich die Frage auf, warum sich so viele dann für diese Laufbahn entscheiden. Ist es die Aussicht auf eine Karriere beim Militär? Der sichere Arbeitsplatz und das großzügige Gehalt? Leon meint, dass viele dieses verpflichtende Studium in Kauf nehmen, da es die einzige Möglichkeit ist, bei der Bundeswehr als Offizier und somit in einer Führungsposition tätig zu sein.

Natürlich ist das eine völlig andere Ausgangssituation für ein Studium. Studieren, nur weil es der Arbeitgeber so vorsieht. Selbstverständlich fehlt manchen da die Motivation, wenn man sich doch eigentlich wünscht endlich den gewählten Beruf Soldat:in auszuüben. Genau deswegen kann sich ein gewisser Teil der Studierenden nicht mit dem Studium identifizieren. Strey beobachtet, dass dieser Teil in den letzten Jahren immer größer wurde. Er begründet dies allerdings damit, dass die Studierenden heutzutage die konkrete Realität eines Einsatzes stärker vor Augen haben. „So hat sich auch ein stückweit das Selbstverständnis der Menschen gewandelt, die jetzt bei uns studieren“.

Freiheit gegen Traumstudium?

Doch das Studium „war und ist Bestandteil der Berufsausbildung“, so Strey und es hat auch seine Vorteile: Bachelor und Masterabschluss innerhalb von 4 Jahren, keine NC-Werte und ein festes Gehalt von bis zu 2500 Euro Netto pro Monat während des Studiums. Allerdings mit anschließendem 10-jährigen Militärdienst. Für viele ist dieser Weg auch eine Möglichkeit an ihr Traumstudium zu kommen. Sie genießen die selbstbestimmte Zeit und fühlen sich als richtige Student:innen. Zudem bereitet das Studium auch auf die Zeit nach einem Leben als Soldat:in vor und gibt Perspektive.

So ist es auch bei Leon. Er konnte sich mit einem Studium an der HSU seinen Wunsch vom Psychologiestudium erfüllen, was aufgrund seiner Abiturnote an einer anderen Uni nicht möglich gewesen wäre. Für ihn liegt darin seine Hauptmotivation, über die Bundeswehr zu studieren. Allerdings hatte er auch früher schon Interesse daran zur Polizei zu gehen. In seiner späteren Tätigkeit bei der Militärpolizei kann er beides verbinden. Für ihn ist die Vereinbarung beider Rollen kein Problem, doch auch er beschreibt; „Es gibt immer wieder auch Stimmen, die sagen, sie haben kein Bock aufs Studium.“ Auf Nachfrage, was denn eigentlich die Aufgabe eines Offiziers ist und somit seine spätere Tätigkeit, meint er:

Offiziere sind die Leute, die am Ende planen und entscheiden was passiert und die Entscheidungen können am Ende über Leben und Tod entscheiden. Genau deswegen sollten es sehr gut durchdachte Entscheidungen sein.

Leon, 21, angehender Offizier des Heeres und Student an der HSU
Studieren als Soldat, wieso überhaupt?
Wer es in Deutschland beim Militär weit bringen möchte, der muss studiert haben. Wieso? – Seit 1973 gibt es die Helmut-Schmidt-Universität, gegründet auf Initiative des damaligen Verteidigungsministers Helmut Schmidt. Seine Idee: militärischen Führungskräften der Bundeswehr eine wissenschaftliche Ausbildung ermöglichen. Die Motivation für diese Entscheidung ist historisch begründet. So sollen Offiziere nicht blind einem Vorgesetzten gehorchen und Befehle ausführen, sondern abwägend und reflektiert handeln. Durch ein Studium wird ihnen diese nötige Handlungskompetenz verliehen und es entsteht ein akademischer Beruf.

Zwei Identitäten

Hauptsächlich Student:in? Hauptsächlich Soldat:in? Oder beides gleichzeitig? – Genau darin, alles unter einen Hut zu bekommen, liegt für einige der Studierenden die Schwierigkeit. Gleichzeitig ist hier auch viel Konfliktpotenzial vorhanden: So gilt es innerhalb der HSU kulturelle Unterschiede zwischen Militär und Wissenschaft auszugeichen und sich gegenseitig verstehen zu lernen.

Gegensätzliche Ansprüche und Erwartungen wirken somit von allen Seiten auf die Studierenden ein. Dazu äußerte sich auch der Universitätspräsident während seiner Rede zur Leutnantsbeförderung:

Der wissenschaftlich gebildete Offizier muss kämpfen können und kämpfen wollen!

Universitätspräsident Prof. Dr. Klaus Beckmann

Militärisch-hierarchische Prägung und gleichzeitig akademisch-wissenschaftliche Freiheit. Hier prallen ideologische Gegensätze aufeinander. Der sogenannte Studierendenbereich der Uni oder auch die militärische Struktur hat zwar keinen Einfluss auf das Studium, sorgt aber trotzdem dafür, dass die soldatischen Fähigkeiten nicht zu kurz kommen. Bestimmte Grundfertigkeiten wie Schießen oder Marschieren müssen jährlich unter Beweis gestellt werden. Dafür ist der Donnerstagnachmittag an der Uni dem Militär vorbehalten. An dem die Studierenden diese Fähigkeiten trainieren.

Hierarchien und Regeln – auch im Alltag    

Die Studierenden der HSU absolvieren ein klassisches Bachelor- und Masterstudium. Von Maschinenbau über Betriebswirtschaft bis zu Geschichte, all das und noch viel mehr kann auch über die Bundeswehr studiert werden. Die Inhalte sind dieselben wie an anderen Hochschulen und auch an der HSU gehen die Studierenden morgens in die Vorlesung und essen mittags gemeinsam in der Mensa. Jedoch gibt es auch zahleiche Unterschiede und Besonderheiten:  

So haben die Studierenden der HSU einen oder eine militärische:n Vorgesetzte:n, bei dem sie zum Beispiel Urlaub beantragen müssen. Sie können also nicht mal ein paar Tage mit Freund:innen wegfahren, auch wenn sie keine Lehrveranstaltungen haben. Alles muss extra genehmigt werden. Der oder die Vorgesetzte und somit die Bundeswehr kennt auch die Noten der Studierenden und weiß über ihre Leistungen Bescheid. Dementsprechend fällt es direkt auf, wenn jemand mal eine schlechte Phase hat. So muss der:die Student:in, sollte er oder sie bei einer Prüfung in den Drittversuch müssen, ein Gespräch mit dem:der Chef:in führen.

Auch in den Wohneinrichtungen der Studierenden gibt es eine Hierarchie: Der oder die “Wohnebenenälteste“, also die Person, die am längsten dort wohnt, hat das Sagen. Durch ihn oder sie werden Informationen von den Vorgesetzten weitergegeben und Regeln aufgestellt. Somit sind auch Privatleben und Alltag hierarchisch und militärisch geprägt. Es bleiben nicht viele Möglichkeiten sich zurückzuziehen. Auf Nachfrage, ob ihn das nicht stören würde, erwidert Leon: „Es ist eigentlich ein guter Kompromiss, dass ich halt mit sowas leben muss aber dann ein Gehalt bekomme“.

Keine Zeit zum Durchatmen

Das Studium ist an der HSU anders strukturiert als an anderen Universitäten. Statt Semester sind es Trimester, das bedeutet drei Prüfungsphasen im Jahr. Wer das Studium nach vier Jahren Regelstudienzeit nicht geschafft hat, muss die Uni verlassen, unabhängig davon, ob er fertig ist oder nicht. Leon beschreibt es so: „Wir machen das ja alles auf die Kosten der Bundeswehr, da können wir ja auch nicht erstmal sechs Jahre lang rumstudieren, bis wir dann richtig arbeiten.“ Er denkt auch, dass sein Studium schwieriger ist als das einer normalen Uni, „da wir ja viel mehr in einer kürzeren Zeit lernen müssen“. Die HSU bezeichnet das Konzept auch als „Intensivstudium“.

All das sorgt für viel Stress und Leistungsdruck. Hausarbeiten oder Klausuren können auch bei Krankheit nicht ohne Konsequenzen in das nächste Semester geschoben werden. Denn pro Trimester bleiben inklusive Vorbereitung für die vier bis fünf Prüfungen nur zwei Wochen Zeit, dann geht es sofort mit dem nächsten weiter. So wie Nohl es beschreibt, gehen die Lehrenden davon aus, dass „die Studierenden 50 Stunden die Woche arbeiten“. Er gibt zu: „In manchen Fächern ist das erste Jahr wirklich ein unglaublich schwieriges, in dem auch viele rausfallen.“ Auch in den dreimonatigen Ferien im Sommer bleibt kaum Zeit zum Entspannen, denn auch an dieser Uni gibt es Pflichtpraktika die zu erfüllen sind.

Ein eigener Kosmos

Die meisten Studierenden wohnen in eigenen Wohnheimen der Universität auf sogenannten Wohnebenen. „Die haben eine Kaserne, in der man wohnen kann, aber nicht muss […]. Das ist eigentlich wie ein Studierendenwohnheim aber militärisch geführt“, erklärt Professor Nohl. Keine Stockbetten, sondern Einzelzimmer mit eigenem Bad. Nur die Küche wird geteilt und es gibt Gemeinschaftsduschen. Das Ganze für einen Betrag von um die 100 Euro im Monat, was im Vergleich zu den normalen Mietpreisen in Hamburg natürlich sehr gering ist. Auf den Wohnebenen leben die Studierenden ausschließlich mit Kommiliton:innen desselben Studiengangs, unterschiedlicher Jahrgänge. Leon sieht darin auch viele Vorteile: „Das finde ich sehr gut, dass ich alle direkt bei mir habe und wir uns gegenseitig unterstützen können, so muss ich nicht quer durch die Stadt, sondern nur eine Etage runter“.

Kontakt zu Personen außerhalb der Uni haben so jedoch nur wenige, denn die HSU bietet auch eigene Sport-AGs an, sogar ein eigenes Fitnessstudio und Schwimmbad gibt es. All das bietet wenig Anlässe die Komfortzone HSU und Bundeswehr verlassen zu müssen. Zumindest für die, die das nicht aktiv wollen. Außerdem fahren viele der Studierenden am Wochenende in die Heimat zu ihren Familien, sodass sich auch da keine Gelegenheit bietet, die Studienstadt besser kennenzulernen. Zumal Soldat:innen in Deutschland außerdem kostenlos Bahn fahren.

Tiefgreifende Veränderungen

Heer, Marine und Luftwaffe; die unterschiedlichen Truppengattungen versammelt

In Zukunft könnte sich der Alltag an der HSU jedoch verändern: noch weniger Kontakt zu Außenstehenden, noch weniger ziviles Leben an der HSU. Denn bald soll die Universität ein Militärischer Sicherheitsbereich (MSB) werden. Das hat das Verteidigungsministerium entschieden. Der akademische Senat der HSU hat diesen Vorschlag mit der Begründung abgelehnt, er stehe im Gegensatz zu dem freiheitlichen Charakter einer Universität – ohne Erfolg.

Der Großteil der Studierenden ist ebenso dagegen. Auch Leon wüsste nicht, wie die Errichtung eines MSB für die Studierenden vorteilhaft sein könnte, auch wenn die Sicherheit vielleicht erhöht wird. Denn für die Besuchenden heißt das konkret, beim Betreten muss zukünftig der Personalausweis abgeben werden und die Wachen am Eingang werden Waffen bei sich tragen. Angesichts dieser Umstände wird befürchtet, dass der Austausch mit anderen Forschenden erschwert wird. Auch Nohl sieht eine Gefährdung der Freiheit von Lehre und Forschung. Genau das lässt sich seiner Auffassung nach mit der freiheitlichen Auffassung von Wissenschaft nicht vereinbaren. Die HSU könnte ihren zivilen Charakter weitestgehend verlieren. Nohl, der sich selbst gegen die Errichtung eines Militärischen Sicherheitsbereiches an der HSU engagiert, findet:

Die HSU ist keine militärische Universität und keine Militärakademie. Sondern eine zivile Universität an der aber eben Soldaten und Soldatinnen studieren. Diesen Charakter zu bewahren, das ist eine wichtig Aufgabe.

Prof. Arnd-Michael Nohl

Angesichts des Krieges in der Ukraine rückt die Bundeswehr heutzutage wieder mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft, so nimmt es auch Leon wahr. Er würde sich mehr Anerkennung für seinen Beruf wünschen und weniger Vorurteile gegenüber Soldat:innen. Deswegen ist es für ihn umso wichtiger, dass Außenstehende für diese ganz eigene Welt der Bundeswehr und den Beruf der Soldat:innen sensibilisiert werden. Somit würde den Menschen, die sich für diesen besonderen Lebensweg entschieden haben, vielleicht mehr Verständnis entgegengebracht werden.

Natürlich hätten wir für diesen Artikel auch gerne mit einer Studentin der HSU gesprochen, es hat sich jedoch leider kein Interview ergeben. Das mag auch daran liegen, dass es einfach nicht so viele gibt, denn der Frauenanteil an der HSU liegt bei grade mal 20 Prozent (2021). Wer sich trotzdem für die Situation von Frauen bei der Bundeswehr interessiert, findet hier weitere Informationen:

*auf Wunsch des Protagonisten wurde der Name geändert