Mit dem Neun-Euro-Ticket zur Verkehrswende?

Führt das Neun-Euro-Ticket zu einem Mobilitätswandel? Unsere Autor:innen bezweifeln das. (Foto: StockSnap/pixabay)

Das neu eingeführte Neun-Euro-Ticket soll entlasten und die Mobilitätswende anstoßen. Eine lobenswerte Idee, aber Begeisterung will sich bei unseren Autor:innen trotzdem nicht so richtig einstellen.

Von Mara Egeling und Florian Görres

Groß angekündigt, viel diskutiert und jetzt ist es da. Seit dem vergangenen Freitag heißt es: Bahn frei für das Neun-Euro-Ticket! Für neun Euro pro Monat können sich Fahrgäste ein Ticket kaufen, um zwischen Juni und August in ganz Deutschland mit dem Nah- und Regionalverkehr zu fahren.

Das vergünstigte Ticket ist Teil des „Energiekosten-Entlastungspakets“, das die Ampelkoalition auf den Weg gebracht hat. Die Absicht dahinter ist grundsätzlich erstmal gut und verdient Anerkennung. Angesichts der Sprit- und Energiepreise auf Rekordniveau soll den Bürger:innen hiermit finanziell unter die Arme gegriffen werden.

Und die haben die Hilfe bitter nötig. Die steigende Inflation nach der Pandemie sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs bekommt jede:r zu spüren. Am meisten jedoch diejenigen, die ohnehin wenig haben – wie wir Studierenden. Laut einer aktuellen Untersuchung ist fast ein Drittel aller Studierenden in Deutschland von Armut betroffen. Von den alleinlebenden Studierenden sind es sogar 80 Prozent.

Gut also, dass das Semesterticket automatisch als Neun-Euro-Ticket gilt und die überschüssigen Gebühren zurückgezahlt werden. An der UHH ist das eine Summe von 64,20 Euro. Das kann einen schon mal durch eine Woche bringen. Bis die Rückerstattung kommt, dauert es allerdings noch. Dazu bedeutet es eine Menge Bürokratie, die von der Bundesregierung auf die Universitäten abgewälzt wird. Und da geht es los mit den kleinen Unstimmigkeiten, wegen denen wir vom viel gepriesenen Neun-Euro-Ticket nicht so begeistert sind, wie wir es gerne wären:

Nicht nur die Universitäten werden allein gelassen, auch die Deutsche Bahn und die regionalen Verkehrsgesellschaften, die für drei Monate mit einer deutlich steigenden Fahrgastzahl rechnen müssen. Für drei Monate lohnt es sich aber eben nicht neue Fahrzeuge und Züge anzuschaffen und weiteres Personal einzustellen. (Und das geht so schnell auch gar nicht…)

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zeigt sich nichtsdestotrotz begeistert von dem Projekt und übergibt die Verantwortung für ausreichende Kapazitäten an die Verkehrsbetriebe. Wissing sieht es als „Riesenchance für uns alle, einen denkbaren Weg hin zu klimafreundlicher Mobilität tatsächlich praktisch zu gestalten“. Ungeachtet der Frage ob der Politiker jetzt tatsächlich vom Dienstwagen in die 2. Klasse des Regionalexpress umsteigt, wird die klimafreundliche Mobilität auch von einem weiteren Aspekt des Energiekosten-Entlastungspakets gebremst: In denselben drei Monaten, in denen das Neun-Euro-Ticket gilt, wird auch der Spritpreis um 30 Cent fallen. Auch hier muss man natürlich sagen: Eine Entlastung für diejenigen, die auf das Auto angewiesen sind, kann man bei den aktuellen Anstiegen bei Energiekosten, Lebensmittelpreisen und Mieten schwer schlecht reden; einen Anreiz, wirklich auf Bus und Bahn umzusteigen, bieten gesenkte Spritpreise aber natürlich nicht. Damit wird einer der Kerneffekte des Neun-Euro-Tickets verwässert.

Das führt uns zum nächsten Punkt: Eine günstige Nahverkehrsverbindung bringt nur dann etwas, wenn sie einen auch tatsächlich zum gewünschten Ziel bringt. Beide Autor:innen sind am Rande verschiedener Großstädte aufgewachsenen und wissen aus Erfahrung: Das günstigste Busticket nützt nichts, wenn die letzte Verbindung um halb zwölf nachts fährt – und davor auch nur jede Stunde. Dann hilft eben doch nur das Taxi – und davon soll das neue Ticket ja eigentlich wegführen.

Aber selbst, wenn die Verbindung fährt und das Ticket so gut angenommen wird, wie die Bundesregierung es sich erhofft: Man muss nicht auf Sylt wohnen, um berechtigterweise überfüllte Regionalzüge zu fürchten. Und wer regelmäßig Bahn fährt weiß: Überfüllung führt zu Verspätung, Verspätung führt zu Frust über die Bahn und Frust über die Bahn führt dazu, dass man sich das nächste Mal vielleicht doch wieder selbst ans Steuer setzt.

Mit einer langfristigen Verkehrspolitik und damit „Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern“ – wie es im Koalitionsvertrag heißt – hat das Neun-Euro-Ticket in diesem Kontext nichts zu tun. Dass die Worte „Verkehrs-“ oder „Mobilitätswende“ im Koalitionsvertrag gar nicht erst auftauchen, ließ schon zu Beginn der Legislatur nichts Gutes hoffen. Das Neun-Euro-Ticket zeigt: Statt langfristiger Maßnahmen wirft man Nebelkerzen ohne dauerhaften Effekt. Dabei zeigen andere Städte und Länder, dass ein attraktiver ÖPNV möglich ist. In Luxemburg zum Beispiel ist der öffentliche Nahverkehr mittlerweile seit über zwei Jahren komplett kostenfrei. Der Effekt ist natürlich umstritten, aber auch günstigerer Nahverkehr kann Menschen entlasten. Kurzer Vergleich: Wien bietet das Jahresticket für 365 Euro (ein Euro pro Tag) an, für das gesamte Stadtgebiet Wiens. Will man in Hamburg ein Jahr lang den ÖPNV im Stadtgebiet nutzen, benötigt man 12 Monatskarten, die selbst in der günstigsten Abo-Variante jeweils 93,70 Euro kosten. Macht 1.124,40 Euro für ein Jahr. Fast das Dreifache wie in der österreichischen Hauptstadt. Kurzum: Das Neun-Euro-Ticket hat – wenn überhaupt – nur kurzfristig positive Effekte. Wenn man langfristig Bürger:innen entlasten und eine echte Verkehrswende anstoßen möchte, müssen auch langfristige Änderungen her. Man kann nur hoffen, dass das Neun-Euro-Ticket nur der erste Schritt von vielen war.