Der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln liegt in der Luft, es ist laut, alles leuchtet bunt – die Umgebung wirkt geradezu magisch. Jahrmärkte mit ihren verschiedenen Attraktionen faszinieren Klein und Groß schon lange. Und doch ist diese ganze Pracht manchmal nur Fassade. Für Liliom, den tragischen Helden in John Neumeiers Ballett, das nun seine Wiederaufnahme feierte, ist der Jahrmarkt sein Leben.
Schließlich ist der Jahrmarktsausrufer (Karen Azatyan) dort eine der Hauptattraktionen und der absolute Schwarm der Frauen. Sein Gesicht ziert die Werbe-Poster für die Karussells von Frau Muskat (Anna Laudere), Lilioms Arbeitgeberin und Geliebten. Auch die junge Kellnerin Julie (Alina Cojocaru) fühlt sich zu ihm hingezogen. Als er sie vor einem betrunkenen und zudringlichen Seemann (Artem Prokopchuk) beschützt, weckt er die Eifersucht von Frau Muskat, die ihn daraufhin entlässt.
In einem verlassenen Park kommen sich Liliom und Julie näher, ihr langes Pas de Deux zeigt einerseits, wie sehr sie sich zueinander hingezogen fühlen, andererseits aber auch, dass sie es nicht schaffen, sich ihre Gefühle gegenseitig einzugestehen. Besonders Lilioms Bewegungen machen seine Unsicherheit außerhalb des Jahrmarktes deutlich. Er, der sonst alle Frauen nonchalant umgarnt ist plötzlich verlegen, tanzt mal mit Julie und zieht sich dann plötzlich wieder von ihr zurück. Sie hingegen schafft es immer wieder, ihn zu beruhigen.
Brutale Zärtlichkeit
Liliom ist insgesamt ein zerrissener Mensch, der immer wieder jähzornig wird. Durch den Rauswurf aus dem Jahrmarkt verliert er endgültig den Boden unter den Füßen, was ihn, der Frauen nie sonderlich gut behandelt hat, auch dazu bringt, seine Julie zu schlagen. Diese scheint den Schlag jedoch nicht als schmerzhaft zu empfinden, er fühlt sich für sie eher an wie eine Umarmung.
Immer begleitet werden die Figuren von dem Mann mit den Luftballons (Florian Pohl), der das ganze Stück über fast wie eine Art Erzähler, mal mit und mal ohne Ballons auf der Bühne tanzt.
John Neumeier lässt sein Ballett, das auf dem Theaterstück des ungarischen Dramatikers Ferenc Molnár beruht, im Amerika der 1930er Jahre spielen. Liliom reiht sich in die Masse der Arbeitssuchenden der damaligen Zeit ein. Welche Verzweiflung die Massenarbeitslosigkeit auslöst, zeigt das Ensemble des Hamburg Ballett dabei auf eindrucksvolle Weise, als sich diese vor den Türen des Arbeitsamtes versammeln, verzweifelt über die Bühne stürmen oder Schilder mit ihrem Wunsch nach Arbeit tragen.
Glanz und Staub
Liliom wird schließlich von dem Ganoven Ficsur (Aleix Martínez) zu einem Raubüberfall überredet. Er macht mit, da er für Julie und ihr ungeborenes Kind Geld zum Leben beschaffen will. Das dräuende Unheil, dass dieser geplante Überfall und besonders dessen Konsequenzen heraufbeschwören, zeigt sich auch in der Beleuchtung, die gräulich-grün wird. Insgesamt unterstreicht die Beleuchtung die durch Tanz und Musik vermittelte Stimmung eindrücklich.
Die Musik des französischen Komponisten Michel Legrand steht dabei gleichwertig neben dem Tanz. Sie vereint auf elegante Weise orchestrale Elemente mit Jazz, gespielt von der NDR Bigband. Die Musik entführt nicht nur mit auf den Jahrmarkt „Playland“, sie unterstreicht auch die anschwellende Spannung und führt durch die verschiedenen Themen die Kontraste, aber auch die Liebe zwischen den Figuren musikalisch vor Augen. Die NDR Bigband sitzt dabei mit auf der Bühne, auf einer Empore über den Tänzer:innen.
Das Bühnenbild, ebenso wie die Kostüme, nimmt das Publikum mit in die Zeit der 1930er Jahre. Gleichzeitig schafft es den gestalterischen Rahmen der Handlung, indem es zunächst das verlassene, ramponierte „Playland“ zeigt, in dem Lilioms Sohn (Louis Musin) tanzt und dass sich dann in den aktiven, leuchtenden Jahrmarkt verwandelt, auf dem Liliom arbeitet. Das Bühnenbild zeigt eine beeindruckende Liebe zum Detail, lässt aber dennoch dem Tanz ausreichend Raum und unterstützt ihn, sich zu entfalten.
Fazit
In seinem Ballett „Liliom“ spricht John Neumeier große, stehts aktuelle Themen wie Liebe, Verlangen, Arbeitslosigkeit, Hilflosigkeit und Gewalt an. Die Tänzer:innen des Hamburg Ballett, allen voran das Hauptpaar Karen Azatyan und Alina Cojocaru, vermitteln Handlung und Themen eindringlich und eindrücklich, im Zusammenspiel mit der eleganten und mitreißenden Musik Michel Legrands und dem Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer. Trotz der Dramatik und Schwere des Stücks zeigt „Liliom“ aber auch humorvolle Momente, besonders durch den elegant-tollpatschigen traurigen Clown (Louis Haslach). Manche der Lacher sind jedoch auch eher bitterer Natur.
„Liliom“ bietet auf jeden Fall einen faszinierenden Ballettabend, der das Publikum der Wiederaufnahme zu langen stehenden Ovationen verleitete.
Darsteller:innen | Ensemble des Hamburg Ballett John Neumeier, Schüler:innen der Ballettschule des Hamburg Ballett |
Choreografie, Kostüme und Licht | John Neumeier |
Bühnenbild | Ferdinand Wögerbauer |
Musik | Komponist: Michel Legrand Philharmonisches Staatsorchester Hamburg NDR Bigband |
Musikalische Leitung | Nathan Brock |
Weitere Informationen findet ihr hier.