Endlich wieder Bass

Sonnenuntergang mit Hafenpanorama: Die Corona-konforme Location kann mit stickigen Clubs mehr als mithalten (Foto: Mia Mertens) 

Lauthals mitsingen, tanzen, schwitzen – Konzerte können wahre Aerosol-Schleudern sein. Im Hamburger Hafen wurde nun ein pandemiegerechtes Konzept entwickelt. Dort trat am Dienstagabend vergangener Woche der Rapper Prinz Pi auf. Unsere Autorin war dabei und hat eine neue Perspektive gewonnen.

Die Aufregung vor dem Konzertbesuch fühlt sich an wie vor Corona auch: Songtexte auswendig lernen, ewig nichts zum Anziehen finden und die Anfahrt planen. Hinzu kommt jetzt aber: eine Maske einstecken, Kontaktdaten übermitteln, an den Impf-/ Genesenennachweis denken oder einen Schnelltest buchen. Für den Einlass gilt zunächst die 3G-Regel (geimpft, getestet, genesen) – erst drei Tage später, am vergangenen Freitag, konnten Hamburger Veranstalter:innen sich für die 2G (geimpft, genesen) Option anmelden.

Die pandemiegerechte Veranstaltung findet am Cruise Center Steinwerder statt. Das Kreuzfahrtterminal im Hamburger Hafen ist aufgrund seiner Weitläufigkeit die perfekte Location, um große Abstände einzuhalten. Seit dem vergangenen Jahr organisieren mehrere Veranstalter: innen hier gemeinsam die Konzertreihe „Vor deiner Tür“. Aufgetreten sind dafür schon viele deutsche Musiker:innen, zum Beispiel der Rapper Sido, der Popsänger Wincent Weiss und die Band Grossstadtgeflüster. 

Pfeile auf dem Boden leiten die Zuhörenden zu ihren festen Sitzplätzen, die mit Abstand in Viererreihen angeordnet sind. Dort angekommen darf die Maske dann abgenommen werden. Im Hintergrund sinkt die untergehende Sonne zwischen die in den Himmel ragenden Hafenkräne. Romantischer als die gewohnten Rap-Bühnen in der Alsterdorfer Sporthalle oder der Großen Freiheit 36 ist dieses Panorama allemal.

Passt in keine Schublade

Prinz Pi, bürgerlich Friedrich Kautz, ist schon über 20 Jahre in der Rap-Szene bekannt. Der 41-jährige Berliner hebt sich durch seine Themen ab. Oft geht es um Liebe, gesellschaftliche Missstände oder Depressionen. Von Sexismus, Materialismus und Gewalt hält Kautz sich fern. In der Welt des Hip-Hop gilt er als Intellektueller – seine Texte bestechen durch geschickte Rhetorik. 

Auch das Publikum am Cruice Center passt in keine klare Schublade. Hier kommen Menschen jeden Alters oder Geschlechts zusammen, geeint durch ihren Musikgeschmack. Als Pi auf die Bühne schreitet, springt die Menschenmenge begeistert auf. Der Rapper eröffnet seine Performance mit einem Klassiker: „Fähnchen im Wind“ ist schon acht Jahre alt. 

Ist das noch Rap oder schon Poesie?

Prinz Pi nimmt sich Zeit, die Hintergründe seiner Songs zu vermitteln. Das Stück „Zahlen zählen nicht“ habe er etwa für seine Kinder geschrieben, erklärt der Musiker. Als Vater mache er sich zurzeit viele Sorgen: über Corona, Afghanistan und die Bundestagswahl. Trotz aller düsteren Aussichten vermittelt der Song Hoffnung: „Alles wird gut, auch wenn alles dagegen spricht / Auch im schwärzesten All brennt ein Lebenslicht“. Über seinen Sohn rappt Pi: „Auch wenn er fast nichts weiß, so weiß er doch, was Liebe ist“ und enthüllt damit seinen Glauben an das Gute in den Menschen.

Die Texte haben eine Botschaft, sie regen zum Nachdenken an. Es geht um Probleme, die jede:r kennt, aber kaum jemand so schön verpacken kann. Man beginnt sich zu fragen: Ist das noch Rap oder schon Poesie? Nicht ohne Grund wurde Prinz Pi 2018 mit dem deutschen Musikautorenpreis ausgezeichnet. 

Kontemplation statt Ekstase

Das Beste an Konzerten ist eigentlich, sich in der Menschenmasse aufzulösen, sich mit völlig Fremden für einen Abend als ein Ganzes zu fühlen. Dazu gehört auch: Körperkontakt, Tanzen, laut mitsingen, denn die eigene Stimme geht im Gewirr ja ohnehin unter. All das ist unter den erschwerten Bedingungen kaum möglich. Mitsingen ist zwar erlaubt, auch zum Klatschen animiert der Künstler das Publikum, aber Abstand und reduzierte Teilnehmendenzahlen dämpfen die Euphorie ein wenig.

Man bekommt stattdessen etwas anderes. Nicht das gemeinsame Feiern steht im Mittelpunkt, sondern der Künstler als Individuum. Es bleibt Raum für kontemplatives Zuhören, man nimmt nicht nur Melodien, sondern auch Texte und deren Bedeutung wahr. Das passt zu einem Musiker wie Prinz Pi, der nicht nur Rapper, sondern auch Poet ist.

Fazit

„Es war natürlich nicht so wie immer, aber es war ‚the next best thing‘“ – so fasst Prinz Pi seine persönliche Erfahrung des Abends am nächsten Tag auf Instagram zusammen. Und er hat recht: Ein Konzert unter Corona-Auflagen ist eine ganz andere Erfahrung. Die kann aber genauso bewegend sein. Das Wichtigste ist: Nach langer Kulturdeprivation kehrt ein Stück Normalität zurück. Für alle, die geimpft oder genesen sind, werden bald weitere Barrieren fallen. Denn Hamburger Veranstalter:innen, die ein 2G-Konzept anbieten, dürfen künftig auf Abstände verzichten. Hoffentlich bleibt dann trotzdem etwas von der bewussteren Art des Zuhörens.