gefragt: „Es ist eine Ehre, diesen Widerstandskämpfer spielen zu dürfen“

Mit Kopfzeile sprachen Marie-Dominique Ryckmanns und Michael Fischer über die Graphic Opera "Weiße Rose". (Foto/Videostill: Staatsoper Hamburg)

Mit der Graphic Opera „Weiße Rose“, einer Kammeroper von Udo Zimmermann, hat die Staatsoper einen Film gedreht, der Oper, Schauspiel und Animationen vereint. Die beiden Protagonist:innen Hans und Sophie Scholl werden von Marie-Dominique Ryckmanns und Michael Fischer gesungen. Mit Kopfzeile sprachen die beiden über die Figuren und die Produktion der Graphic Opera.

Kopfzeile: Hans und Sophie Scholl gehören zu den bekanntesten Personen im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Wie war es für Sie, zwei so wichtige historische Persönlichkeiten verkörpern zu dürfen?

Marie-Dominique Ryckmanns: Ich komme aus München, habe dort an der Ludwigs-Maximilian-Universität studiert. Es gibt dort noch einige Orte, die an die Weiße Rose erinnern, wie beispielsweise den Lichthof. Gerade weil Hans und Sophie Scholl hier so bedeutsam sind, hatte ich am Anfang großen Respekt vor der Rolle. Sophie Scholl wird oft als unantastbare Persönlichkeit dargestellt. Ich wollte ihr in meiner Darstellung aber sehr persönlich näherkommen, ihre verschiedenen Charakterzüge kennenlernen.

Michael Fischer: Auch für mich war es eine Ehre, so einen Widerstandskämpfer verkörpern zu dürfen. Das ist schon großartig. Als die Anfrage gekommen ist, habe ich mich einfach wahnsinnig gefreut. Eigentlich hätten wir das Stück live in Nürnberg aufführen sollen, dem ist aber durch Corona ein Riegel vorgeschoben worden. Glücklicherweise hat die Staatsoper Hamburg diesen Film gemacht. Für die Produktion am Staatstheater Nürnberg habe ich mich vorher schon sehr intensiv mit Hans Scholl und der Rolle auseinandergesetzt. Spannend war vor allem der neue Kontext, denn diese Film-Produktion war etwas ganz anderes.

Wie haben Sie sich denn auf ihre Rollen vorbereitet?

Michael Fischer: Ich habe mich, nachdem ich den Film von Regisseur Michael Verhoeven gesehen und die Biografie gelesen habe, daran orientiert, welche Bücher Hans Scholl gerne gelesen, welche Lieder er gerne gehört hat. Und dann habe ich versucht, mich in seine Gedankenwelt hineinzuversetzen und habe Bücher, wie beispielsweise von Stefan Zweig, gelesen, der damals sehr populär war und den Hans sehr geschätzt hat. Dann habe ich geschaut, wie der schreibt, wie Hans das aufgefasst hat, was er daraus genommen hat und dann auch versucht, das in die Persönlichkeit und in den Charakter, quasi in meine Vorstellung dessen, was er ist, einfließen zu lassen.

Marie-Dominique Ryckmanns: Ich habe mich auf Sophies Briefe gestürzt, an ihre Schwester oder an ihren Verlobten, Fritz Hartnagel, um zu wissen, was sie für ein Mensch war, zu erfahren, was sie so über ihren Alltag gedacht hat, was ihre Träume und Hoffnungen waren, was sie im Alltag für Sorgen hatte. In einem Brief hat sie zum Beispiel über das Warten auf das Abitur geschrieben: „Das sei so ähnlich wie mit dem Abspülen. Man weiß, man muss es hinter sich bringen, aber man wartet noch“. Da musste ich herzhaft lachen, es war interessant, sie einfach im Alltag stehen zu wissen. Daneben habe ich auch neu-erschienene Biografien gelesen und mir viele Bilder von ihr angesehen. Sophies Blick war zum Beispiel immer sehr tiefgründig und nachdenklich. Dazu hatte sie immer dieses kleine Lächeln. Das zusammen mit ihrer Ernsthaftigkeit fand ich interessant.  Sophie hat auch gerne gezeichnet, deshalb habe ich nach Zeichnungen von ihr gesucht.

Kannten Sie sich schon vor Produktionsbeginn der Oper? Herr Fischer, Sie waren in Nürnberg und Frau Ryckmanns schon in Hamburg, Ihr Zusammenspiel wirkt in der Graphic Opera auf jeden Fall sehr geschwisterlich.

Marie-Dominique Ryckmanns: Wir kannten uns vorher nicht. Am Anfang haben wir uns viel zusammengesetzt, im Team sagte einmal jemand, dass wir auch Backstage wie Geschwister wirken. Wir haben uns in den Pausen oft ausgetauscht. Ich glaube, wir sind beide Familienmenschen. Dadurch konnten wir das auch sehr einfühlsam darstellen.

Michael Fischer: Es war super, dass wir uns auch auf gedanklicher und emotionaler Ebene schnell verstanden haben, sodass man sich ohne größere Proben vorab sofort in die Regie stürzten konnte. Es war von Anfang an eine tolle Atmosphäre. Und gerade in dieser schwierigen Zeit freut man sich natürlich, wenn man so ein Projekt machen darf und kann.

Sie hatten schon gesagt, dass dieser Film etwas ganz anderes ist, als live vor Publikum zu singen und zu spielen. Wie war denn die Aufzeichnung dieser neuen und besonderen Form der Oper für Sie?

Michael Fischer: Ich fand es sehr spannen. Beim Arbeiten war ich ein wenig aufgeregt, weil es ungewohnt war vor der Kamera zu stehen. Man beobachtet dann natürlich andere Schauspieler und Schauspielerinnen und versucht, sich davon etwas abzuschauen. Abgesehen davon muss man bei der Live-Performance zusätzlich auf das Orchester und andere Faktoren achten, man muss den Rhythmus spüren. Durch dieses filmische Medium konnte man sich dagegen sehr stark auf das Schauspielerische konzentrieren.

Marie-Dominique Ryckmanns: Auf der Bühne verteilt man seine Energie über das ganze Stück hinweg oder in die anspruchsvollen Gesangspassagen und kann hinterher nichts mehr ändern. Mit der Kamera ist das anders, da kann man seine volle Konzentration in eine Szene investieren, auch wenn die Sequenz beispielsweise nur eine Minute dauert. Und misslungene Szenen kann man wiederholen oder die Szene in eine andere Richtung weiterentwickeln. Außerdem müssen wir auf der Bühne oft sehr groß spielen, sogar übertreiben. Wenn die Kamera aber so nah bei einem ist, fängt sie schon kleinste Regungen der Augen oder der Finger ein.

Sie haben bei der Produktion lippensynchron gearbeitet, also erst den Ton aufgenommen und später dann mit Lippenbewegungen dazu gespielt. Wie war das für Sie?

Michael Fischer: Am ersten Tag waren wir topmotiviert und haben gemeint, noch mitsingen zu müssen. Allerdings haben wir festgestellt, dass Gesang in den Körperhaltungen, die uns der Regisseur vorgegeben hat, schwieriger ist. Dann sind wir sehr stark von der Stimme weg- und mehr zum Verinnerlichen und Ausüben des Textes hingegangen.

Marie-Dominique Ryckmanns: Als Sänger auf der Bühne denkt man immer darüber nach, was die nächste stimmliche Herausforderung ist, was man machen muss, damit die nächste Gesangspassage gelingt. Das war durch die vorherigen Aufnahmen mit Orchester, beim Filmen nicht mehr so wichtig. Wir konnten uns voll und ganz auf das Schauspiel einlassen. Am Anfang war das ein bisschen ungewohnt, wir haben dann auch noch mitgesungen und natürlich bewegt man auch Lippen und die Stimme, damit der Atem und die Lippenbewegungen im fertigen Film nicht komisch aussehen. Wir hatten am Set auch immer einen Dirigenten dabei, der uns mit den Einsätzen geholfen hat.

Was kann eine Produktion über ein solches Thema im Publikum auslösen? Könnte Sie helfen, die Gedanken und Entscheidungen von Hans und Sophie Scholl nachzuvollziehen oder sogar etwas von dem damaligen Widerstandsgeist gegen ein repressionistisches System wie den Nationalsozialismus wieder aufleben lassen?

Marie-Dominique Ryckmanns: Unser erstes Ziel ist es, die Leute mit unserer Stimme und unserer Botschaft zu erreichen. Das Gehörte soll im Kopf hängen bleiben. Hierdurch wollen wir bewirken, dass die Leute nach der Oper oder dem Film darüber nachdenken, wie die Situation von diesen beiden jungen Leuten war und daraufhin auch bei sich selbst im Alltag untersuchen: Wo kann ich, zum Beispiel politisch oder im sozialen Umfeld, etwas bewirken? Ich denke, dass unsere Oper es schaffen kann, dass die Leute darüber nachdenken.

Michael Fischer: Widerstand ist ein sehr großes Wort. Deswegen habe ich mich oft selbst gefragt, wie ich in solch einer Situation wie der von Hans und Sophie Scholl reagieren würde. Das kann man kaum beantworten. Gerade in der heutigen Zeit wird der Begriff Widerstand finde ich leider auch sehr häufig missbraucht, um zum Widerstand gegen Systeme aufzurufen, die eben nicht so sind wie die zur Zeit von Hans und Sophie Scholl. Ich hoffe, dass die Leute, wenn sie das Stück sehen, schon nachdenken über das damalige System und darüber, wieso sich der Widerstand geregt hat, wieso die Geschwister den Mut hatten, aktiv in den Widerstand gegen dieses System zu gehen. Sie sollten darin aber nicht nur Widerstand gegen jegliches System sehen, sondern ein bisschen reflektieren über Widerstand an sich und darüber welches System gerade regiert.

Marie-Dominique Ryckmanns wurde in München geboren. Die lyrische Koloratursopranistin ist seit der Spielzeit 2020/21 Mitglied des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Hamburg. Ihre Lieblingseissorten sind Schwarze Schokolade und Honigmelone. Ihr Gesangsstudium absolvierte sie an der Universität Mozarteum Salzburg. Ihr Debut an der Staatsoper Hamburg gab sie in
Pierrot Lunaire von Arnold Schönberg unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kent Nagano. Zu ihren künftigen Rollen zählen u.a. Una Sacerdotessa in Aida sowie Giannetta in L’Elisir d’Amore. Zu ihren Lieblingskleidungsstücken gehören die immer variierenden und aufregenden Opernkostüme sowie Dirndl aus der bayerischen Heimat.

Michael Fischer wurde in Wien geboren. Seinen ersten
musikalischen Unterricht erhielt er bereits im Alter von 4 Jahren an der Hochschule für Musik in Wien. Im Winter 2017 schloss er das Gesangsstudium an der „Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien“ ab. Erste Bühnenerfahrungen sammelte er am Stadttheater Baden, wo er in diversen Rollen zu erleben war. Sein Lieblingseis ist Haselnusseis.
Im Juni gab er sein Debüt am Theater an der Wien als Figaro in einer Krimi Oper namens Figaro und die Detektive:innen, sein Lieblingskleidungsstück ist die Rüschenkrawatte, denn „wann kann man sowas sonst tragen.“
Im November 2021 singt Michael Fischer erneut die Rolle des Hans Scholl.