Takt ist alles

Mit gebührendem Abstand zueinander paddeln die WSAP SunDragons über die Alster. (Foto: Svenja Tschirner)

Beim Spaziergang an der Alster hat der eine oder die andere sie vielleicht schon einmal gesehen: schmale, lange Drachenboote. Eigentlich gleiten sie mit zehn bis 22 Personen übers Wasser. Aber in Zeiten von Corona ist das ganz anders. Ich habe im vergangenen Sommer während der Kontaktbeschränkungen bei einem Training des Hamburger Drachenbootvereins WSAP SunDragons mitgemacht und erfahren, warum Drachenbootfahren mehr als nur ein Sport ist. Jetzt dürfen die SunDragons endlich wieder ihre Paddel in die Fluten der Alster stechen und trainieren.

Trotz der sommerlichen Temperaturen wirkt die Luft auf der Alster fast kühl, was sehr angenehm ist. Denn während der Paddelstrecke von acht Kilometern bin ich ordentlich ins Schwitzen geraten. Als wir am Isekai 12 ankommen, soll ich den sogenannten Fender des Drachenbootes auswerfen. Er hat ein wenig die Form und Farbe einer Leberwurst in Verpackung und verhindert, dass das Boot gegen den Steg knallt und beschädigt wird. Unser Steuermann ruft: „Abstoppen!“, und ich bin kurz verwirrt, wer nun was tun soll. Jenny Skraem, die mich während der Tour unter ihre Fittiche genommen hatte, erklärt es mir. Dann stoppen Jens Heuser, der Schlagmann, und ich ab, bremsen also das Boot, sodass wir parallel zum Steg liegen. Alle klopfen als Dank für die Fahrt mit den Paddeln gegen das Boot, dann wird von vorne nach hinten ausgestiegen. Ich bin die Letzte, die aussteigt und kann dadurch noch etwas Atem schöpfen. Jenny erklärt mir: „Eigentlich hilft man sich aus dem Boot, bei Corona geht das nicht“.

Langsam und zäh

Mein erstes Drachenboottraining bei den SunDragons ist sehr stark durch Corona geprägt: Die Mitglieder können sich nicht nur gegenseitig nicht aus dem Boot helfen. Wegen der Corona-Abstandsregeln durften in Jedem nur fünf Leute paddeln, keine 20, wie eigentlich üblich.  Wir sitzen daher jede:r auf einer Bank, seitlich versetzt. Zwei paddeln links, drei rechts. Das ist eine große Herausforderung, denn das Drachenboot der SunDragons wiegt auch leer schon 250 Kilo. „Das ist natürlich schwierig, weil es für 20 Leute gebaut ist. Und endsprechend zäh ist es jetzt auch“, erklärt mir Falko Speer, der an diesem Tag Steuermann ist. Es fehlten der Schwung und das Tempo. Denn anstatt der üblichen 13 Kilometer pro Stunde gleitet das Boot nun nur mit etwa sieben den Kanal entlang.

Gott sei Dank schwankt das Boot beim Aussteigen kaum. Sicherheitshalber nimmt mir ein weiterer Paddler aus dem Team der SunDragons, erstmal mein Handy ab, damit das auf gar keinen Fall ins Wasser fällt. Nachdem ich mich auf den Steg gehangelt habe und mit beiden Füßen wieder auf festem Boden stehe, fragt Jenny: „Und, platt?“ In der Tat bin ich ziemlich erschöpft, aber ganz zufrieden mit mir. Schließlich bin ich eine absolute Anfängerin und saß gerade Tag das erste Mal in einem Drachenboot. Dieses ist knapp 20 Meter lang. Stolz und Zierde des Bootes, Drachenkopf und Drachenschwanz, bekomme ich aber noch nicht zu sehen. Diese sind bei Trainingsfahrten abmontiert, um nicht beschädigt zu werden. Sie werden nur bei Wettkämpfen montiert. In Jahren, in denen Regatten stattfinden, trainiert die Mannschaft der SunDragons für diese, beispielsweise den Isecup, der eigentlich im September stattfindet.

Um das Training organisieren und strukturieren zu können, nutzen die SunDragons ein Forum, in dem die Mitglieder zwei Tage vorher eintragen, was sie fahren wollen. Zweimal pro Woche wird etwas mehr als eine Stunde lang trainiert, samstags gehen einige zusammen in den Kraftraum. „Das Schöne hier ist, dass wir jetzt noch ein bisschen zusammenkommen können, ein bisschen mit den Leuten quatschen, das ist fast noch wichtiger, als im Boot zu sitzen und zu fahren“, meint Kristan.

Nicht ganz normal

Die SunDragons sind ein Breitensportteam. Darin liege immer die Herausforderung, neue Leute zu finden, erklärt Kristan, denn es herrsche hohe Fluktuation. Auch deswegen verstärkten die Einschränkungen durch das Virus manche Schwierigkeiten, zum Beispiel das Anwerben neuer Mitglieder. Zudem sei die Mannschaft 2019 aus einem höheren Leistungsbereich abgesunken und hätte dadurch ein paar Paddler:innen verloren. Daraufhin hatte das Team über verschiedene Social-Media-Kanäle neue Mitglieder gesucht, die sich jetzt unter anderem über Spontacts und Meetup melden können. Schlagmann Jens hat so seinen Weg zu den SunDragons gefunden.

Normalerweise sind die SunDragons beim Training 14 bis 16 Paddler:innen plus ein Steuermann. Einen Trommler, wie ihn viele auf einem Drachenboot vermuten könnten, gibt es selten, nur bei der ein oder anderen Regatta. „Aber für ein eingeschworenes Drachenbootteam brauchst du auch keinen Trommler, die Schlagleute geben den Takt vor, auch wann Zug ist, der Steuermann brüllt vielleicht mal was durch sein Mikro. Aber der Trommler, der muss so zusehen, dass er mithält, wie alle anderen auch“, sagt Kristan. Aber im Augenblick ist wenig normal – so sitzen wir nur zu fünft in dem großen Drachenboot und paddeln, angestrengt aber fröhlich, über die Alster.

„1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10“, hallt das Kommando des Steuermanns über den Fluss, mal schneller, mal langsamer. Die Rufe passen augenscheinlich so gar nicht zu der sonst sommerabendlich-entspannten Stimmung, denn um uns herum treiben hier und da nur Tretboote im Wasser, deren Fahrer:innen sich unterhalten oder gemütlich Bier trinken.

Die Masse machts

Da das Boot nicht optimal im Wasser liegt, gibt es später einen sogenannten Ringtausch. Das bedeutet, wir tauschen untereinander die Plätze, damit der Schwerpunkt des Bootes ein wenig aus der Mitte nach vorne verlagert wird. Um wenigstens einen Teil des fehlenden Gewichts der anderen Teammitglieder ausgleichen zu können, liegt außerdem noch ein voller Wasserkanister im Boot – aber der ersetzt natürlich keine Mannschaft, erklärt Jenny. „Das ist einfach ein Teamsport, bei dem wir auf Masse angewiesen sind.“ Der feste Stamm der Teams müsse aus 20 bis 25 Leuten bestehen, die immer dabei und auch recht ähnlich trainiert sind, damit die Mannschaft im Mittelfeld der verschiedenen Drachenbootteams mitschwimmen kann.

Trainings wie dieses, mit so wenigen Leuten sind auch für das Zusammenspiel der Paddler:innen problematisch. „Du brauchst ein gemeinsames Taktgefühl, du willst den Start zusammen üben, das macht ja keinen Sinn, wenn die eine Hälfte das nicht weiß“, erklärt Jenny. Kristan ergänzt, dass bei einer nicht eingespielten Mannschaft auch das Tempo irgendwann zusammenbricht, weil einige aus dem Takt kommen. Corona macht den SunDragons also einen deutlichen Strich durch die Rechnung.

Der Rücken, ein Arbeitstier

Damit auch ich wenigstens halbwegs den Takt halte, habe ich von Steuermann Falko eine Einweisung zum richtigen Paddeln bekommen: Die Paddler:innen drehen sich aus dem Rücken mit der Schulter, die zur Außenseite des Bootes zeigt nach vorne. Dann wird das Paddel ins Wasser gestochen, wobei es möglichst senkrecht und dicht am Boot ins Wasser kommen und durchgezogen werden soll. Dann richten sich alle wieder auf und drehen die Schulter zurück, nehmen das Paddel aus dem Wasser und weiter geht’s. Jenny hat noch einen weiteren Tipp für mich. „Du musst den Arm, der den Paddelgriff hält, immer möglichst oben, ungefähr auf Höhe der Schulter, lassen. Das ist erstmal eine sehr ungewohnte Bewegung.“

Der Steuermann teilt die Strecke in Zeitabschnitte ein. Sie sind zwischen fünf und zehn Minuten lang. Zudem fordert er uns Paddler:innen immer wieder zu noch mehr Achtsamkeit auf: „Denkt mal nur an die Technik, Geschwindigkeit kommt von ganz allein.“ Dieses Kommando von Falko gilt für etwa fünf Minuten. Danach beginnt er mit der Schlagzahl, dem Tempo, in dem wir unsere Paddel ins Wasser stoßen, hoch und runter zu gehen. Und schon hallen wieder die Zahlen von eins bis zehn über die Alster. An deren Tempo orientiert sich unsere Schlagzahl. Besonders wichtig sind Falkos Kommandos allerdings für den Schlagmann, Jens. Er sitzt ganz vorne im Boot und an seinen Paddelschlägen orientieren sich alle anderen. Da ich, zumindest am Anfang, immer wieder mal aus dem Takt komme, rät Falko mir, im Zweifelsfall ein oder zwei Schläge zu pausieren und dann mit Jens wieder einzusteigen.

Ohne Bewegung: Keine Macht

Takt ist das Wichtigste beim Drachenbootfahren, denn bei voller Besetzung kommen sich die Paddel der Mannschaft sonst in die Queere, oder das Boot läuft nicht, wie es soll. Neben dem Takt der Paddel gibt es aber noch einige weitere Dinge, die beim Drachenbootfahren von Bedeutung sind. Wenn beispielsweise das Boot nicht fährt, hat der Steuermann am Ruder keine Manövriermacht über das Boot, erklärt mir Jenny. „Deswegen ist es extrem wichtig, dass alle machen, was der Steuermann sagt. Denn es gibt auch mal brenzlige Situationen, und dann kann er nichts tun“, ergänzt sie.

Als wir eine kleine Schwanenfamilie passieren, kommt von Steuermann Falko das Kommando „Paddel aus.“ Wir hören also auf zu paddeln und treiben unter verzückten Rufen an den Wasservögeln vorbei. Danach, wie nach den anderen Pausen, heißt es von Falko wieder „Alle Mann in die Auslage und Go“. Schon geht es weiter.

Der Urahn der Hamburger Drachenboote

Nach den ersten fünfzehn Minuten geht das Paddeln für mich auf einmal viel leichter. Nicht nur, weil ich zwischenzeitlich ein wenig in Übung gekommen bin, sondern auch weil ich mein Alu- gegen ein Carbon-Paddel getauscht habe. Damit zu fahren ist deutlich leichter. Falko bestätigt: „Das ist schon ein himmelweiter Unterschied.“

Nachdem wir auf dem Stadtparksee pausiert haben, paddeln wir an einem großen, wettergegerbten Drachenboot vorbei, das aufgebockt an Land liegt. „Das ist eines der Taiwanboote, mit denen der Drachenbootsport hier in Hamburg angefangen hat“, erklärt mir Jenny. Später erzählt Kristan, dass zum 800. Hafengeburtstag, 1989, das erste Drachenbootrennen mit extra dafür gebauten taiwanesischen Drachenbooten stattfand. Von diesen vier Booten für Regatten, also Rennfahrten, blieben zwei in Hamburg. Mit ihnen wurde der erste Drachenbootverein Hamburgs gegründet. Inzwischen gibt es laut dem Deutschen Drachenbootverband sieben dort gemeldete Vereine im Hamburger Landesdrachenbootverband. Die Wassersportabteilung der Sportvereinigung Polizei Hamburg e.V., kurz WSAP, ist einer davon. Zu ihr gehören zehn Teams, darunter die SunDragons.

Die traditionellen taiwanesischen Drachenboote sind höher und schwerer als das, in dem wir gerade über die Alster paddeln. Jenny ist schon einmal mit einem solchen gefahren und erinnert sich: „Ich habe hinten gesessen und bin da gar nicht ans Wasser gekommen.“ Sie ist etwa so groß wie ich, 1,60 Meter.

Paddel aus

Nach knapp einer Stunde ist unser Training vorbei. Wir schieben noch das Drachenboot zurück in den Bootsschuppen und setzten uns dann mit Abstand auf die Terrasse des ‚Speisekai‘, der Gaststätte vor Ort. Jede:r bestellt sich etwas zu trinken und wir lassen den Abend ausklingen. Es wird etwas über die Fahrt gesprochen, aber auch darüber, wie in den nächsten Wochen mit dem Training der SunDragons weitergemacht werden kann. Vor dem Trinken wird zunächst angestoßen. Die Kommandos für die Gläser entsprechen denen beim Start der Boote bei Regatten: „Alle Boote an den Start, alle Boote vor, alle Boote stopp, rechts zieht, stopp, links zieht, alle Boote stopp, Are you ready, Attention, Go!“

Obwohl das Training des Drachenbootteams im Moment ganz anders ist, als es sonst im Sommer abläuft und manche den Eindruck haben, das Gemeinschaftsgefühl sei geschwunden, erscheint mir das Team an diesem Sommerabend entspannt und gut eingespielt. Die schöne Atmosphäre am Wasser bildet einen guten Abschluss meines ersten Drachenboottrainings. Doch zum Abschied warnen mich Kristan und Jenny vor: „In zwei Tagen wirst du nicht mal mehr eine Zahnbürste halten können vor Muskelkater.“ Das tritt glücklicherweise nicht ein. Mir tut einen Tag später nur der Hintern von den schmalen Bootsbänken weh.