Es ist ein besonderes Geburtstagsgeschenk, das John Neumeier dem Musikgenie Ludwig van Beethoven anlässlich seines 250. Geburtstags macht. Die Uraufführung seines Balletts „Beethoven-Projekt II“ wurde in der Hamburger Staatsoper als erste Ballettvorstellung nach dem beinahe siebenmonatigen Lockdown gefeiert und ist ein Feuerwerk aus Musik und Tanz.
Eine Handlung hat John Neumeiers neues Ballett nicht – und die braucht es auch gar nicht. Der Ballettabend beginnt mit Hausmusik, gespielt von Mari Kodama am Klavier und Anton Barachovsky an der Geige. Noch bevor der erste Ton erklingt, spielt der Solist des ersten Teils, Aleix Martínez, den Flügel, ohne die Tasten zu berühren. Er mag ein wenig wie Beethoven wirken, der taub werdend immer noch komponiert. Kaum hat er mit seinem lautlosen Klavierspiel begonnen, kommen die Pianistin und der Geiger von Tänzer:innen begleitet auf die Bühne und nehmen ihre Plätze ein, die Musik von Beethovens Sonate für Klavier und Violine Nr. 7 in c-Moll, Opus 30 Nr. 2, füllt den Saal. Dazu tanzt Aleix Martínez mal allein, mal im Pas de Deux mit Jacopo Bellussi oder Hélène Bouchet oder umgeben von Ensemblemitgliedern.
Aleix Martínez versucht immer wieder, zum Flügel zu kommen, zwischendurch gelingt ihm das auch und er spielt wieder in Gesten mit. Der Tanz zur Musik ist mal zärtlich, mal verwirrt. Besonders die Pas de Deux von Aleix Martínez und Hélène Bouchet oder Jacopo Bellussi sind immer wieder von Zuneigung und Intimität geprägt. Schließlich werden drei Stühle und Tabletts voller Sektgläser auf die Bühne getragen, von denen sich alle, außer Aleix Martínez, bedienen. Die Szene wirkt wie eine Feier, bei der er jedoch außen vor ist. Damit erinnert sie an einen Ausschnitt aus dem sogenannten „Heiligenstädter Testament“, einen nicht abgeschickten Brief an seine Brüder, den Beethoven im Herbst 1802 schrieb und in dem er unter anderem festhält, dass er sich früh von der Gesellschaft absondern und sein Leben einsam verbringen musste; höchstwahrscheinlich wegen seiner zunehmenden Taubheit. Die drei im ersten Teil gespielten Stücke stammen alle aus einer ähnlichen Zeit wie dieser Brief.
Leid und Freude
Nachdem die Sonate verklungen ist, stimmt das Philharmonische Staatsorchester seine Instrumente, was ebenfalls tänzerisch aufgegriffen wird. Ein Zwischenvorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf das Staatsorchester, dirigiert von Kent Nagano. Dahinter ist etwa auf halber Höhe eine weitere Ebene aufgebaut, auf der ein zweiter Flügel steht. Aleix Martínez und Jacopo Bellussi tanzen in der Einleitung zu Ausschnitten aus Christus am Ölberge, Opus 85, die von Klaus Florian Vogt mit klarer, kräftiger Stimme gesungen werden. Durch den Tanz entsteht der Eindruck als könnte derjenige, der seinen Vater anfleht den bitteren Kelch des Leidens am ihm Vorüber gehen zu lassen, nicht nur Jesus, sondern auch Beethoven sein, der unter dem Verlust seines Gehörs leidet und dessen Regungen Aleix Martínez klar und elegant darstellt.
Den Abschluss des ersten Teils des Ballettabends bildet die „Waldstein-Sonate”, gespielt von Mari Kodama. Ernst und Leid scheinen wieder leichter zu werden, als Aleix Martínez von anderen Tänzern in ihren Tanz aufgenommen wird.
Ein Feuerwerk aus Klang und Farbe
Bevor im zweiten Teil die ersten Töne der Siebten Sinfonie, Opus 92, erklingen, regnen die Noten vom Himmel, die die Tänzerin Ida-Sofia Stempelmann aufhebt und Kent Nagano überreicht. Daraufhin springt sie fröhlich über die Bühne. Zunächst tanzen Ida-Sofia Stempelmann und Atte Kilpinen ein Pas de Deux, bald stoßen weitere Paare hinzu, die die Musik in fröhlichen, sprühenden Tanz verwandeln. Auch der zweite Satz, das Allegretto beginnt mit Stille und wird von Paaren getanzt, deren Tanz viel ernster wirkt. Der dritte Satz ist erneut erfüllt von Freude und Schalk, gelegentlich kommt der Tänzer Alexandr Trusch auf die Bühne, ein Buch in der Hand oder eine Banane essend. Während des vierten Satzes füllt sich die Bühne wieder, die Solisten aus den anderen Sätzen tanzen ihre Pas de Deux, bis alles von Tanz, Musik und den Farben von Kostümen und Bühnenlicht erfüllt ist.
Licht und Dunkel
Die verschiedenen Emotionen und Stimmungen, die Tanz und Musik vermitteln, werden durch den Einsatz des Lichts und besonders durch die Kostüme unterstützt. John Neumeiers Lichtkonzept wechselt von dunkel zu hell, von warm zu kalt und setzt die Tänzer:innen gekonnt in Szene.
Die Kostüme von Albert Kriemler verdeutlichen die Zusammengehörigkeit der Paare oder ganzer Gruppen und bringen Akzente und ein buntes Farbenspiel ein, das ebenfalls Ernst oder Freude des Gehörten, Getanzten oder Gesehenen ergänzt.
Fazit
Der Tanz ist in John Neumeiers „Beethoven-Projekt II“ ebenso vielfältig wie die Musik des Komponisten. Beide gehen Hand in Hand, unterstützt und betont durch Licht und Kostüme. Die Pas de Deux der Tänzer:innen sind ebenso verspielt, zärtlich oder ernst und schön anzusehen wie die Musik klingt, egal ob gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester oder von Mari Kodama und Anton Barachovsky. Nachdem die letzten Töne der siebten Sinfonie verstrichen und die letzten Bewegungen getanzt sind, bleibt neben einem Lächeln auf den Lippen auch der Gedanke: Schade, dass es die Sinfonie nicht gleich noch einmal als Zugabe gibt.
Die Informationen gebündelt:
Darsteller:innen | Ensemble des Hamburg Ballett John Neumeier |
Musik | Mari Kodama (Klavier), Anton Barachovsky (Geige), Klaus Florian Vogt (Tenor), Philharmonisches Staatsorchester Hamburg |
Musikalische Leitung | Kent Nagano |
Choreografie und Licht | John Neumeier |
Bühnenbild | Heinrich Tröger |
Kostüme | Albert Kriemler – A-K-R-I-S |
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