Ein Muttersöhnchen, das an die Macht gelangen soll und zwei Frauen, die den Männern die Sinne vernebeln – das ist der Stoff für Drama und für Georg Friedrich Händels Oper Agrippina. Es ist das erste Stück, das nach dem gut siebenmonatigen Lockdown vor Live-Publikum in der Hamburger Staatsoper aufgeführt wurde. Die Premiere fesselte schon mit den ersten Klängen.
Es ist Nerone (Franco Fagioli), Agrippinas Sohn, der als Erster vor das Publikum auf die Bühne stolpert. Er soll, so der innigste Wunsch seiner Mutter, den Kaiserthron Roms besteigen und um dieses Ziel zu erreichen ist sie bereit, so ziemlich alles zu tun. Als Agrippina (Anna Bonitatibus) die Nachricht vom Tod ihres Mannes, Kaiser Claudio (Luca Tittoto), überbracht wird, beginnt sie sofort damit, ihrem Sohn auf den Thron zu verhelfen. Der ist hin und her gerissen zwischen Begeisterung und Angst vor der großen Aufgabe. Um ihr Ziel sicher zu verwirklichen bittet sie zwei Verehrer um Hilfe und nacheinander zu sich. Beiden, Pallante (Renato Dolcini) und Narciso (Vasily Khoroshev), verspricht sie, an ihrer Seite zu regieren, wenn sie ihr dabei helfen, Nerone auf den Thron zu holen, indem sie seinen Namen unters Volk bringen.
Damit sich Nerone selbst beim Volk beliebt machen kann, wird er zu den Armen gesandt. Diese sind dabei nicht irgendwer, sondern das Publikum. Nerone wird also vor die Tür und in den Saal geschickt, wo er den Zuschauer:innen Küsschen und Gesten zuwirft und sie, die Armen, zu umgarnen versucht.
Kurz darauf erreicht Agrippina die Nachricht, dass Claudio entgegen allen Erwartungen gar nicht tot ist. Ottone (Christophe Dumaux), einer der Soldaten, hat ihn vor dem Ertrinken gerettet. Zum Dank soll er nun die Kaiserkrone erhalten. Ottone ist daran aber nur wenig interessiert, viel mehr will er seine Liebste, Poppea (Julia Lezhneva) und vertraut sich Agrippina an, die ihm zu helfen verspricht.
Sex and Crime
So nehmen die Intrigen ihren Lauf. Denn um zu verhindern, dass Ottone ihrem Nerone den Thron streitig macht, macht Agrippina Stimmung gegen den Retter ihres Mannes. Dieser wird daraufhin von allen verstoßen und ist besonders verzweifelt über den Verlust seiner geliebten Poppea. Diese wiederrum wünscht sich, dass Ottone doch unschuldig am von Agrippina geschilderten Verrat ist. Schließlich kommen Poppea und Ottone, aber auch Agrippinas Verehrer den Intrigen auf die Spur und versuchen es ihr heimzuzahlen.
Das ständige Auf und Ab der Gefühle und Allianzen, die Verschwörungen und Gegenintrigen sind musikalisch, gesanglich und schauspielerisch sehr gut umgesetzt. Der Countertenor Franco Fagioli beeindruckt als Nerone, der mal wie ein verängstigtes Kind, mal wie ein Draufgänger auftritt, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch.
Der ruhigere, ausgeglichenere Ottone, dargestellt vom Countertenor Christophe Dumaux, vermittelt seine Liebe zu Poppea und seine Trauer über die Abkehr seiner Freunde ebenso gut wie der Bass Luca Tittoto seine Verwirrung über das ständige hin und her. Auch der Countertenor Vasily Khoroshev als Narciso und sein Rivale Pallante, der Bariton Renato Dolcini, überzeugen mit ihrer Hingabe zu und Angst vor Agrippina und ihrem Groll auf Ottone.
Anna Bonitatibus spielt eine für die Kaiserkrone ihres Sohnes zu allem entschlossene Agrippina, die nicht nur weiß, wie sie bekommt was sie will, sondern auch binnen Sekunden zwischen gespielter Trauer oder Zuneigung wechseln kann und dem Publikum durch ihr Mienenspiel immer wieder verrät, was sie von der jeweiligen Situation hält.
Auch Poppea, dargestellt von Julia Lezhneva, wandelt sich im Laufe der Intrigen ein wenig, von einer eingebildeten jungen Frau zu einer aufrechten Gefährtin Ottones.
Das Ensemble Resonanz begleitet und führt Publikum und Sänger:innen klangvoll durch den Abend und lässt sich dabei auch auf die eine oder andere Anweisung von Kaiser und Kaiserin ein. Auch das Publikum wird immer wieder in das Spiel mit einbezogen und durch so manche Darstellung der Sänger:innen zum Lachen gebracht.
Barock trifft Moderne
Das Bühnenbild der Inszenierung von Barrie Kosky ist sehr schlicht gehalten, es ist ein großer, verschieb- und drehbarer Würfel, der ein wenig an einen Bürocontainer erinnert. Die Fenster sind mit Lammellenvorhängen bedeckt, die nach Bedarf geöffnet werden. Somit agieren die Sänger:innen zwar auf einem Bühnenbild, aber doch in verschiedenen Räumen.
Die Kostüme sind ebenfalls modern gehalten. Nerone trägt Jeans und Kapuzenjacke, Piercings und ein Tattoo auf dem Kopf oder auffällige Anzüge. Die anderen Herren tragen Uniformen oder Anzüge, die Kostüme der Damen wechseln öfter. Agrippina trägt zuerst Kleider in verschiedenen Ausführungen und schließlich einen Hosenanzug, Poppea zuerst ein elegantes Nachthemd und Bademantel und später mal mehr mal weniger aufwändige und ausladende Kleider.
Fazit
Barrie Koskys Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oper Agrippina überzeugt durch sehr gute Ensembles, sowohl musikalisch und darstellerisch auf der Bühne als auch im Orchestergraben. Der Kontrast zwischen einem schlichten, moderneren Bühnenbild und der barocken Musik ist interessant, zudem lässt die eher unauffällige Gestaltung der Kulissen den Fokus der Zuschauer:innen auf den Darsteller:innen ruhen. Zusätzlich bereichert wird der Opernabend durch die unterhaltsamen Elemente des Spiels, die immer wieder ein Lachen durch den Zuschauerraum klingen lassen. Am Ende des gut vierstündigen Opernabends kann das Publikum im Saal dann das tun, was es auch vermisst haben mag: kräftig und enthusiastisch in die Hände klatschen.
Die Informationen gebündelt:
Darsteller:innen | Anna Bonitatibus, Luca Tittoto, Julia Lezhneva, Christophe Dumaux, Franco Fagioli, Renato Dolcini, Vasily Khoroshev, Chao Deng; Orchester Ensemble Resonanz |
Inszenierung | Barrie Kosky |
Mitarbeit Regie | Johannes Stepanek |
Musikalische Leitung | Riccardo Minasi |
Bühnenbild | Rebecca Ringst |
Kostüme | Klaus Bruns |
Licht | Joachim Klein |
Umsetzung Licht | Benedikt Zehm |
Dramaturgie | Nikolaus Stenitzer |
Weitere Informationen findet ihr hier.