gefragt: Jendrik

Jendrik vertritt Deutschland beim Eurovision Song Contest 2021 in Rotterdam. (Foto: Mariya Abramova)

„I don’t feel hate“ – Mit seinem selbstgeschriebenen Song und einer strassbesetzten Ukulele vertritt Jendrik Sigwart Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC). Am 22. Mai präsentiert der Hamburger seinen Song im Finale in Rotterdam. Mit KOPFZEILE hat er über Hass und Optimismus gesprochen.

Kopfzeile: Jendrik, in deinem Lied heißt es: „I don`t feel hate, I just feel sorry“, in welchen Momenten in deinem Leben fühlst du keinen Hass, sondern nur Mitleid?

Jendrik: Ich fühle keinen Hass, sondern nur Mitleid, wenn mich jemand im Internet beleidigt. Wenn jemand sagt: „Der Song ist kacke“, dann denke ich mir: „Ist okay, wenn Du das sagst, aber: I don’t care.“ Der Song ist eine Erinnerung an mich selbst, Hass nicht mit Hass zu bekämpfen. Man kann den Leuten auch anders klar machen, dass sie einen verletzen.
Zum Beispiel, wenn jemand mich als Schwuchtel bezeichnet, dann sage ich nicht: „Du Nazi“, sondern: “Moment, was hast du gegen Schwule?“, und versuche das irgendwie zu verstehen, warum er das denkt.

Hörst du so etwas oft?

Nein, nicht häufig. In meinem Umfeld kommt das sehr selten vor.

Die Inspiration für den Song kam also aus persönlichen Erlebnissen?

Ja, da war eine Person, die hat mich von oben herab behandelt und nicht ernst genommen. Vielleicht war ich manchmal nervig, aber dann irgendwie zu sagen: „Das ist nur der komische Kauz“, ist auch unhöflich.  Ich wurde ignoriert und fand das total respektlos – anders behandelt zu werden als andere. Daraus ist dieser Song entstanden.

Nervt es dich, deinen eigenen Song immer wieder zu hören?

Manchmal ja. Aber performen nicht. Der Ohrwurm nervt.

Dein Song deckt unterschiedliche Musikrichtungen ab. Er beginnt im Coutry-Stil und geht dann eher in Richtung Dance über, hast du versucht für jeden etwas reinzupacken?

Nein, ich habe nur das reingemacht, worauf ich Bock hatte. Ich wollte einen Song, der mir einfach Spaß macht, zu hundert Prozent. Es ist eigentlich ein total egozentrisches Lied, weil ich mir gute Laune machen wollte, aber es macht auch anderen Leuten gute Laune und das ist schön.  

Beim ESC sind politische Beiträge auf der Bühne verboten. Sollte diese Regel abgeschafft werden?

Ich glaube der ESC ist schon so oder so jedes Jahr sehr politisch.
Eigentlich ist die Regel ganz gut, dann können keine Diktatoren ihre Propaganda verbreiten. Allerdings sollte man sich auch für Leute einsetzen politisch, gerade im Flüchtlingsbereich.

In deinem Song setzt du aber ein Statement für Toleranz und Weltoffenheit.

Aber ich würde nicht sagen, dass das politisch ist. Es ist doch menschlich, oder nicht? Zu sagen: „Ich akzeptiere jede Sexualität oder jede Religion“, ist für mich nichts Politisches, sondern müsste eigentlich normal sein.

Auf Instagram lächelst du alle Hate-Kommentare sehr humorvoll weg. Hast du Tipps, wie man mit solchen Kommentaren am besten umgeht?

JahrelangesTraining. So, als würde man ins Fitnessstudio gehen und sich das Ziel setzen, hundert Kilogramm zu stemmen.
Man muss sich darauf trainieren, optimistisch an solche Kommentare heranzugehen, beziehungsweise nur die positiven Sachen zu lesen.
Zum anderen: Alle sagen immer, wenn man hundert Kommentare liest und einer davon ist scheiße, dann konzentriert man sich darauf. Mein Tipp: Sich auf die 90 positiven Kommentare konzentrieren.

Es war lange Zeit dein Traum beim ESC anzutreten. Was bedeutet dieser Wettbewerb für dich?

Ich habe den ESC schon als Kind immer geguckt.

Als Teenager habe ich den Traum entwickelt, dort selbst auf der Bühne zu stehen . In der Studienzeit haben wir immer ein riesiges Event draus gemacht, damals habe ich meinen Traum zum ersten Mal richtig ausgesprochen. Dementsprechend ist jetzt ein Traum in Erfüllung gegangen.
Der ESC ist etwas Besonderes, weil dort jeder er selbst sein kann. Nicht nur auf der Bühne –  da sieht man ja auch tausend komische Sachen. Sondern auch beim Publikum – jeder kann das ausleben, was er ist, oder etwas Neues ausleben, etwas Neues ausprobieren. Jeder wird akzeptiert. Das ist ein Fest von Community und Diversity.

Hast du einen Favoriten unter den anderen Künstler*innen?

Ja, verrate ich aber nicht.

In den letzten zehn Jahren war Deutschland nur zweimal unter den Top-ten-Platzierungen. Wie groß ist der Druck bei dir?

Mein Traum war es, beim ESC mitzumachen und das habe ich geschafft mit diesem Song. Druck habe ich keinen. Wenn ich Letzter werde, ist das halt so. Dann schaue ich auf mein nächstes Ziel im Leben.

Das da wäre?

Mal sehen. Ich hätte Lust meine eigene Musik rauszubringen, weil ich sehe, dass die Leute das mögen. Das ist aber eine finanzielle Frage.
Ansonsten könnte ich mir vorstellenvielleicht in einem Film oder einer Serie mitzumachen. Oder Reality-TV.

Jendrik Sigwart wurde am 27. August 1994 als zweites von fünf Kindern in Hamburg geboren. Er studierte an der Hochschule Osnabrück Musical und Vokalpädagogik. Während seines Studiums trat er in unterschiedlichen Musicals auf. Jendrik Sigwart lebt mit seinem Partner in Hamburg.