gelesen: Wer alles weiß, hat keine Ahnung

Bist du auch coronamüde? Vielleicht können dich zumindest Horst Evers Kurzgeschichten mal wieder zum Schmunzeln bringen. Foto: Astrid Speke

Sind wir wirklich klüger geworden, seitdem wir praktisch immer und überall Zugriff auf sämtliches Wissen der Menschheit haben? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, hilft selbst Googeln nicht. Der Begriff der Intelligenz ist letztlich doch relativ, meint Horst Evers, der in seiner Kurzgeschichtensammlung mit humoristischem Blick und amüsantem Ton aus dem Hier und Jetzt erzählt.

Horst Evers ist ein Meister des Kabaretts. Und er ist sich sicher: Shit happens. Jeder Mensch macht Fehler. Genau dieses Wissen um die eigenen Unzulänglichkeiten spiegelt sich in seiner humorvollen, selbstironischen Art wider. Damit kommt er all denen zuvor, bei denen sich während des Lesens vielleicht schon ein schadenfreudiger Gedanke im Kopf anbahnt. Nüchtern und realistisch, friedvoll und optimistisch zeigt er, dass Vieles von heute gar nicht so kompliziert, verkopft und eindimensional sein muss, wie oftmals angenommen wird. Letzten Endes ist alles relativ. Auch – oder gerade – die menschliche Intelligenz.

Durch seine Fähigkeit, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, wirkt der Autor automatisch nahbar und sympathisch. Einige seiner Alltagsgeschichten haben Wiedererkennungspotenzial; andere wiederum sind schlichtweg komisch-unterhaltend. In jedem Fall wünscht sich wohl die Mehrheit der Lesenden, einen ähnlich abgeklärten Umgang mit Malheuren und möglichen Fehlern zu pflegen.

Das Baugerüst von gegenüber

Horst Evers scheint die Güte selbst zu sein. Mit großer Beschaulichkeit, bemerkenswerter Freundlichkeit und viel Witz erzählt er von scheinbar banalen Erlebnissen, Vorfällen und Beobachtungen aus seinem Alltag. Dabei dient ihm ein einfaches Baugerüst, das vor dem Haus gegenüber dem eigenen Arbeitszimmer aufgestellt wird, als Leitfaden. Während er, an seinem Schreibtisch sitzend, mit dem Schreiben seines Buches fortfährt, schildert er in den Kapiteln zwischen seinen Kurzgeschichten immer wieder Veränderungen, die er am Gerüst gegenüber beobachten kann. Nachdem sechs Monate nicht am Haus gearbeitet wurde, wird das Gerüst zwischenzeitig zur Brutstätte für Spatzen, zur Pop-up-Galerie und zum Café umfunktioniert, bis schließlich ein Gutachter feststellt, dass an dem Haus überhaupt keine Sanierungsarbeiten notwendig sind. Allerdings ist das Gerüst inzwischen baufällig geworden, sodass ein Gerüst vor dem Gerüst errichtet werden muss, um letzteres wieder instand zu setzen. „Vielleicht gelingt es ja doch. Ohne Wahnsinn keine Normalität. Wir sind auf dem Weg“, kommentiert Horst Evers hierzu passend die deutsche Verwaltung.

Die Idee, in seinem neuesten Buch auch seinen bisherigen Werdegang zu skizzieren, setzt der Autor in der Kapitelreihe „Mein Leben in dreizehn Berufen“ um. Auch wenn er sein Studium in Berlin vorzeitig abbrach, hat er doch zumindest (mehr oder minder ernsthafte) Einblicke in verschiedene Berufsfelder gewinnen können: Vom Landmaschinenmechaniker-Assistent über Taxifahrer bis hin zum Werbetexter gab es für sein damals noch jüngeres Ich viel auszuprobieren.

Da machste nix!

Mittlerweile ist Horst Evers erfolgreicher Autor und Vater einer pubertierenden Tochter, die er wiederholt in seine Alltagsgeschichten miteinbezieht. Doch er ist keinesfalls darauf bedacht, Erziehungsratschläge oder Tipps für ein erfolgreiches Leben zu geben. Vielmehr möchte er seine Leser:innen dazu inspirieren, unserer zunehmend verstörenden Gegenwart gelassener zu begegnen, dem westlichen Optimierungswahn und scheinbaren Problemen selbstbewusst zu trotzen, Dinge und Menschen zu akzeptieren, die man nicht ändern kann, und hin und wieder auch mal vor der eigenen Haustür zu kehren.

Manchmal stellt er sich und seinen Leser:innen Fragen, auf die auch er selbst keine passende Antwort parat hat. Statt jedoch weiter nach Antworten zu suchen, die es möglicherweise gar nicht gibt, (v)erklärt er die Dinge so, dass sie nicht nur komisch, sondern – objektiv betrachtet – sogar logisch erscheinen. Allgemeine Ärgernisse, eigene Fehlgriffe und menschliche Missgunst tut er nervenschonend ab mit Äußerungen wie „Da machste nix!“, „Dankt einem ja auch keiner“ und „Also ich finde, das beschreibt die Zeit, in der wir leben, eigentlich ziemlich gut“. In den meisten Fällen helfen heute eben nur noch strikte Nüchternheit und Humor.

Fazit

Nicht nur der Alltag, sondern auch dieses Buch kann heimtückisch sein. Einmal begonnen, möchte man es gar nicht mehr aus der Hand legen. Horst Evers ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler: Seine Ausführungen sind durchgehend spannend und die Pointen brillant. Seine Worte mögen auf den ersten Blick trivial wirken, offenbaren jedoch nach einem kurzen Moment des Nachdenkens stets eine gewisse Sinnhaftigkeit. Dem Autor ist es gelungen, gesellschaftliche Stimmungen von heute in Worte zu fassen und offen die Vermutung in den Raum zu stellen, dass womöglich eine humorvolle Haltung im Alltag das wahre Indiz für die menschliche Cleverness ist.

AutorHorst Evers
VerlagRowohlt Berlin
Seitenzahl235
Preis20,00 Euro