Zoom-Vorlesungen: Kamera aus fürs Klima?

Zoom-Vorlesungen sind für viele Studierenden die einzige Gelegenheit, ihre Kommiliton:innen zu sehen. (Foto: pixabay)

Bis zu 96 Prozent CO2 lassen sich in einer digitalen Vorlesung etwa bei Zoom einsparen, wenn die Kameras aus bleiben. Aus psychologischer Sicht hat die Videofunktion allerdings einen positiven Einfluss auf die mentale Zufriedenheit und den Lerneffekt. Also was nun: Kamera ein oder aus?

Von Tabea Kirchner

„Was ich am meisten vermisse, ist der Kontakt zu meinen Kommilitonen“, erzählt Tim in einer Sprachnotiz. Der 22-Jährige studiert im vierten Semester Fahrzeugtechnik. So wie ihm geht es vermutlich den meisten Studierenden, die letzte Woche in das nächste digitale Semester gestartet sind. Nach der Vorlesung das Gelernte gemeinsam in der Mensa oder auf dem Gang Revue passieren lassen, vor den Prüfungen in Lerngruppen zusammensitzen, nach der Uni ein Bier trinken gehen – all das konnte Tim gerade einmal ein Semester seines Bachelors an der HTW Berlin genießen, bevor die Online-Vorlesungen anfingen. Zwei Drittel seines Studiums verbrachte er vor dem Laptop, fern von seinen gerade oder noch nicht einmal kennengelernten Kommiliton:innen und bislang ist kein Ende in Sicht.

Dass das Sommersemester online stattfinden würde, hatte Tim nicht überrascht. Lust habe er aber keine gehabt. „In Zoom-Vorlesungen beteilige ich mich auf jeden Fall weniger als normalerweise in der Vorlesung“, erzählt er. Die Psychologiestudentin Valerie beteiligt sich sogar gar nicht, schreibt sie in einer Nachricht. Für sie beginnt nun das zweite Onlinesemester. Vorlesungen in Präsenz hat sie nie gehabt: „Ich habe bisher ja nur digital studiert, kenne also dementsprechend sehr wenige Kommilitonen. Jetzt wo es online bleibt, werde ich also auch nicht wirklich mehr Leute kennenlernen, was echt schade ist! Vor allem für das Lernen daheim fehlt die Motivation!“, schreibt sie.

Die einzige Gelegenheit für Studierende, ihre Kommiliton:innen zu sehen, sind die online-Vorlesungen auf Zoom. Doch sowohl Tim als auch Valerie schalten ihre Kamera nur selten ein, berichten sie. Bei einer Vorlesung mit über 200 Teilnehmenden sei das auch kein Wunder, so Vanessa. Das bestätigt die Ergebnisse einer Studie der Forscher Dr. Frank Castelli und Dr. Mark Sarvary von der Cornell University in New York. Sie haben beobachtet, dass Studierende im Laufe des digitalen Sommersemesters 2020 immer seltener ihre Kameras einschalteten. Grund dafür sei die Unsicherheit über ihr Erscheinungsbild gewesen und die Sorge, dass Personen im Hintergrund zu sehen sein könnten, heißt es in der Studie.

CO2 sparen in der Vorlesung

Hinzu kommen neue Erkenntnisse in Bezug auf das Klima: Wer sein Bild schwarz lässt, verursacht einen wesentlich geringeren CO2-Fußabdruck, als diejenigen, die ihre Kamera einschalten. Das haben die Wissenschaftlerin Renee Obringer vom National Socio-Environmental Synthesis Center und ihre Kolleg:innen in einer Studie herausgefunden. Ihren Ergebnissen zufolge kann eine Videokonferenz mit ausgeschalteter Kamera bis zu 96 Prozent CO2 einsparen. Bei einer 90 minütigen Vorlesung mit 200 Studierenden, kommt man da auf eine Differenz von etwa 450g. Damit käme man mit dem Auto jedoch gerade mal von der Uni Hamburg zum Hauptbahnhof. Hochgerechnet auf ein Semester entspricht das zumindest einer Autofahrt von Hamburg nach Elmshorn (ca. 6,6kg). Doch selbst wenn die Zahlen nicht so erschreckend hoch sind, wie man es zuerst denken könnte – für Tim und Valerie steht fest: Fürs Klima würden sie die Kamera auch direkt ganz auslassen.

„Das Setting ist auch ohne Kamera suboptimal“

Prof. Nale Lehmann-Willenbrock, Arbeits- und Organisationspsychologin an der Uni Hamburg, sieht das problematisch. „Online-Kommunikation ohne Kamera, ob im Meeting oder im Seminar, macht die Teilnehmenden weniger zufrieden“, schreibt sie auf KOPFZEILE-Anfrage per E-Mail. Durch die virtuelle Lehre fallen viele wichtige soziale Signale ohnehin schon weg, Gestik würde nur teilweise oder gar nicht vermittelt und man nehme die Gruppe nicht als Ganzes wahr, so Lehmann-Willenbrock. „Das Setting ist also auch mit Kamera suboptimal. Schalten wir nun die Kamera auch noch aus, wird die Kommunikation noch weiter reduziert“, schlussfolgert sie.

Auch kann ein Mangel an nonverbaler Kommunikation durch ausgeschaltete Videos in der virtuellen Lehre Lernerfolge mindern und das Verhältnis der Studierenden untereinander sowie zu den Dozierenden verschlechtern, berichten Castelli und Sarvary in ihrer Studie. Aus ihrer Sicht ist es daher notwendig, dass in Online-Vorlesungen oder Seminaren die Kameras größtenteils eingeschaltet sind. Vorschreiben sollten Lehrende ihren Studierenden das jedoch nicht. Stattdessen entwickelten die Forscher einen Plan, wie man Studierende motivieren kann, die Kameras einzuschalten, ohne sie dazu zu zwingen. Ein freundliches Daraufhinweisen mit anschließender Erklärung der Vorteile etwa könne bereits viele Studierende ermutigen.

Besser: Auf strukturelle Veränderungen hinwirken

Also, was nun? Kamera an für den Lerneffekt oder aus für das Klima? Für Prof. Anita Engels ist die Antwort klar: Statt auf die Videofunktion in online-Seminaren zu verzichten, solle man stärker auf strukturelle Veränderungen hinwirken, meint sie. Als Mitglied des Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) der Universität Hamburg untersucht sie die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels. „Ich bin immer sehr dafür, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen abzuwägen“, schreibt auch sie in einer E-Mail. „Die Abwägung würde hier ganz klar ergeben, dass die Kameras eingeschaltet bleiben sollten.“ Stattdessen sollte etwa geprüft werden, ob die Rechenzentren der Unis, in denen die Server stehen, klimaneutralen Strom beziehen. Das seien wirklich wichtige Fragen zum Klimaschutz.

Schlussendlich ist es jedem selbst überlassen, ob er oder sie die Kamera einschaltet, oder nicht. In einer Vorlesung mit über 200 Teilnehmenden wie bei Valerie ist es sicher fragwürdig, inwiefern dort der Lerneffekt durch die Videofunktion verbessert wird. Auch das Thema Datenschutz ist für viele eine berechtigte Begründung, die Kamera aus zu lassen. Bei Gruppenarbeiten oder einer Aufteilung in Breakout-Sessions kann es allerdings durchaus eine schöne Abwechslung für Studierende sein, die Gesichter ihrer Kommiliton:innen zu sehen.    

Die Zahlen des CO2-Verbrauchs basieren auf den Ergebnissen der Studie „The overlooked environmental footprint of increasing internet use“ von Obringer et. al. und wurden mithilfe folgender Webseite errechnet: uba.co2-rechner.de.