Theater sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen, Kulturveranstaltungen abgesagt. Viele Künstler*innen leiden darunter. Wie der Berliner Profi-Zauberer Alexander Merk sein Showgeschäft trotz der Einschränkungen erfolgreich fortsetzt.
Der deutsche Meister der Zauberkunst von 2008, Alexander Merk, stopft ein weißes Seidentuch in seine Faust. Als er am unteren Ende daran zieht, verfärbt es sich rot. Schmunzelnd verwandelt er das Stück Stoff danach in eine Kette aus vielen bunten Tüchern. Die Zuschauer*innen lachen und staunen. Angestrahlt wird der Zauberer von zwei Scheinwerfern.
Doch er tritt nicht im Rampenlicht eines großen Theaters auf, sondern im kleinen Zauberatelier seiner Dachgeschosswohnung in Berlin. „Ich bin quasi das eigene Theater“, sagt er. Vor ihm aufgebaut steht ein Stativ mit Kamera, die an seinen Laptop angeschlossen ist. Denn um während des Corona-Lockdowns weiterhin Geld zu verdienen, streamt Merk seine Zaubershows per Zoom.
Jede*r sitzt in der ersten Reihe
Reihe 1, Sitzplatz 1. Das steht auf der digitalen Eintrittskarte, die Zuschauer*innen per E-Mail erhalten. Anders als im Theater hat online jede*r den besten Platz. Bezahlt wird pro angemeldetem Gerät, nicht pro Person. Kurz vor Vorstellungsbeginn begrüßt nicht nur Merk die im Durchschnitt 50 Teilnehmer*innen zu heiterer Hintergrundmusik persönlich im Zoom-Raum, sondern auch ein paar Personen aus dem Publikum winken sich gegenseitig zu. Schon lässt der Zauberer blitzschnell ein Schnapsglas erscheinen und verwandelt danach Lottoscheine in Bargeld. Eigentlich seien die kleinen Täuschungen direkt vor den Zuschauer*innen gar nicht sein Genre, gesteht der Bühnenmagier, der Distanz zu Publikum gewohnt ist. „Aber ich habe auch richtig Spaß, das auszuprobieren“, sagt er.
Anstatt die Zuschauer*innen auf die Bühne zu bitten, schaltet er sie per Video zu oder fordert sie auf, im Gruppenchat zu schreiben. Applaudiert wird per Emojis, winkenden Händen oder hochgehaltenen Plakaten. „Zu Beginn hat es sich ganz komisch angefühlt, weil ich ja wirklich im ruhigen Raum bin und nur spreche“, erklärt mir der Künstler im Anschluss an seine Show, als alle Zuschauer*innen nach gut einer Stunde den Zoom-Raum verlassen haben. „Aber daran habe ich mich schnell gewöhnt.“ Obwohl die Vorstellung zu Ende ist, lässt er weiterhin Spielkarten in seinen Händen erscheinen und scheinbar einen Stift in seiner Nase verschwinden.
„Kein Geld ausgeben, Geld verdienen“
Auf die Idee, sein Bühnenprogramm in eine Online-Show umzuwandeln, brachte ihn der befreundete Berliner Zauberkollege Max Olbricht. Im September vergangenen Jahres schaute sich Merk dessen digitale Vorstellung an. „Ich war sehr skeptisch“, gesteht er. Doch wenige Wochen später trat er selbst das erste Mal per Zoom auf, da ihn das persönliche Konzept überzeugte.
Damit zählt Merk zu den rund zehn Prozent aller Magier*innen in Deutschland, die während der Pandemie digitale öffentliche Zaubershows anbieten. Das ergab eine Studie des Marketingprofessors Carsten Baumgarth von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er hatte Ende 2020 mit Unterstützung vom Magischen Zirkel von Deutschland e.V. 182 Profi-Zauberkünstler*innen zum Umgang mit der Pandemie befragt.
Die Vorbereitung für seine aktuelle Zoom-Vorstellung dauerte nur zwei Wochen, verrät Merk. Ein Grinsen kann er dabei kaum unterdrücken. Die Website zum Ticketverkauf programmierte der 34-Jährige innerhalb einer Woche, das Programm studierte er in der zweiten ein. Vorerfahrungen mit Zoom hatte er kaum, dafür aber viel technisches Wissen von seiner früheren Ausbildung als Mediengestalter und seiner zehnjährigen Berufserfahrung als Solokünstler. Sein Plan war: „Kein Geld ausgeben, Geld verdienen.“ Er ergänzt: „Ich habe nur Technik verwendet, die ich schon hatte. Alle Tricks sind selbst gebastelt.“ Lediglich das Material für einen neuen Tisch mit geheimen Falltüren kaufte er – schraubte ihn aber selbst zusammen.
Virtuelle Galas boomen
„Ich habe noch nie so viel positives Feedback nach Shows bekommen, so erschreckend das für mich als Bühnenkünstler auch ist“, sagt Merk. Online-Vorstellungen gibt er nun fast täglich. Neben eigenen Shows kooperiert er mit Theatern und wird für digitale Galas von Firmen gebucht. Um alles zu organisieren, schreibt er vormittags viele E-Mails und telefoniert oft mit seinem Manager. Auf der Suche nach Inspirationen für neue Tricks scrollt er nachmittags stundenlang durchs Netz. Immer dabei ist seine Hündin Anne, die selbst in der virtuellen Show auftritt.
Während der Zauberer seine Tricks präsentiert, leuchtet im Hintergrund sein Name in Form von vier großen Holzbuchstaben: M-E-R-K. Als sie nach der Show plötzlich zu blinken beginnen, summt er im Takt dazu mit. Stolz, aber auch ein wenig sentimental, erklärt er: „Das ist schon alles für die Bühnenshow programmiert“. Eigentlich hätte sein flackernder Name während seines neuen Soloprogramms „Merkwürdig“ vergangenes Jahr Bühnen in ganz Deutschland geziert.
Da die Theater wegen der Corona-Pandemie aber schließen mussten, musste Merk alle Vorstellungen verschieben. Anfangs sei die Arbeit von zu Hause zwar angenehm gewesen, da er die Jahre zuvor rund jeden dritten Tag im Hotel übernachtet habe. Aber inzwischen vermisse er das Reisen sehr. Corona habe ihm gezeigt, „was für einen tollen Beruf ich doch habe. Auch wenn er gerade schwierig ist und Kultur ganz hintenansteht“, sagt Merk. Wie der Marketingprofessor Baumgarth geht er davon aus, dass Zoom-Zaubershows noch lange in der Geschäftswelt genutzt werden. Immerhin könnten Unternehmen so nahezu unbegrenzt viele Personen zu einer Gala einladen und niemand müsse extra anreisen. Dennoch zieht es den Solokünstler zurück ins Theater, wo als Kind seine Leidenschaft zur Zauberkunst angefangen hat. Für ihn steht fest: „Zaubern gehört auf die Bühne.“