In den Sommermonaten lockt Rom, die „città eterna“, mit ihrem mediterranen Klima und reichlich Sonnenstunden. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten und Denkmäler sowie das implizite Versprechen, sich in Rom am „dolce vita“ berauschen zu dürfen, machen die dort verbrachte Zeit einzigartig. Der Erzähler in Simon Strauss’ Roman geht aufs Ganze und flüchtet sich in die Ewige Stadt.
Schon im Romandebüt des Autors, „Sieben Nächte“ (2017), klagt der Protagonist – ein junger Mann an der Schwelle zur modernen Angestelltenwelt – über die Eintönigkeit, Fadheit und Tristesse des ihm bevorstehenden Alltags. Indem er in sieben Nächten in sieben Mutproben den sieben Todsünden zu begegnen versucht, gibt er sich noch ein letztes Mal dem Leben hin. Er wagt das Äußerste, um sich die Empfindung im Erwachsenenalter zu erhalten. Nur noch einmal tief fallen, tief denken, tief fühlen und das Herz wild in der Brust pochen hören, bevor sein Puls und mithin seine Lebensenergie und Leidenschaft auf ewig stillgelegt würden.
„Römische Tage“ kann als Fortsetzung zum ersten Werk, ebenso wie als neues, eigenständiges Abenteuer gelesen werden. Hier spricht nunmehr ein romantischer Geist anstelle eines verwegenen Jünglings mit heroischer Entschlusskraft. Auch der Protagonist im zweiten Werk legt ein beherztes Handeln an den Tag; auch er will alles um sich herum absorbieren, sämtliche Eindrücke in sich vereinen.
Folglich ist die Stimmung gleichermaßen erbaulich wie im ersten Roman, allerdings begegnet der junge Mann alltäglichen Herausforderungen nun in spürbar geringerem Maße offensiv. Er scheint vielmehr ruhiger Natur zu sein und die Herausforderung im eigenen, tiefsten Innern zu suchen. Sinn und Zweck seines Bestrebens liegen darin begründet, den eigenen Herzschlag mit dem fließenden, dynamischen Treiben in der italienischen Hauptstadt zu synchronisieren.
„Teil der Jahrtausende“
In seinem neuesten Werk schildert Strauss die klassische Italienreise eines Intellektuellen, der sich vom Alltagstrott sowie der von ihm empfundenen Wohlstandsverwahrlosung in Deutschland befreien will. Aus einer Welt des materiellen Überflusses, gleichwohl in einem Zustand emotionalen Mangels, macht er sich auf den Weg in die Ewige Stadt, wo er für zwei Monate in einem Apartment gegenüber der Casa di Goethe Zuflucht findet. 231 Jahre und acht Monate nach Goethe wandelt er in den Fußstapfen des berühmten deutschen Dichters.
Die Zielvorstellung des geplagten Jünglings: „die Gegenwart abschütteln“ und einzutauchen in eine Welt voller Gegensätze. Er fordert mehr, will die Vergangenheit einfangen, alles durchleben und den Moment erfühlen, seine Italiensehnsucht stillen und das Rom Goethes sowie anderer großer Italienfahrer nachempfinden. Dabei scheut er keine Details: Eines Morgens schaut er hinüber und stellt sich Goethe im Bademantel vor.
Rom soll ihm zur Heilanstalt werden und sein hungriges, vertrocknetes Herz wieder aufleben lassen. Auf der Suche nach Freiheit, innigem Glück und Erlösung streift der junge Geplagte auf geschichtsträchtigem Boden umher. Er besucht diverse Historiker, Basiliken wie „Santa Maria del Popolo“ und „Santa Maria Maggiore“, alte Generäle und Staatsmänner, darunter die einstigen Kontrahenten Pompeius und Caesar. Gewissermaßen am Puls der Zeit spielt sich die römisch-antike Geschichte vor seinem inneren Auge ab. So ist ihm der Mord an Caesar am Largo Argentina gleichermaßen präsent wie die zeitgenössischen Einheimischen, Migranten, Bettler und Touristen auf den Plätzen und in den Gassen der Stadt.
Der Erzähler berichtet von dem Gefühl, „Teil der Jahrtausende zu sein“, wobei die Lesenden allmählich begreifen, dass und vor allem weshalb die Gegenwart niemals ohne Vergangenheit auskommen kann: Allein unsere Erinnerung begründet den Moment. So fordert der junge Mann von der Gegenwart (wieder) die großen Gefühle ein, damit er – wenn er demnächst im überfüllten Bordbistro zwischen Kassel und Fulda feststeckt – Erinnerungen hat, die ihn fernab der italienischen Hauptstadt in die Sinnlichkeit zurückholen.
Die Kraft der Sehnsucht
Rom wird dem jungen Deutschen zur Geliebten. Aber auch für eine junge Italienerin, die er selbst nur „die Schöne“ nennt, fängt er Feuer. Immer wieder unternimmt er Spaziergänge mit ihr – vorbei an „überquellenden Mülltonnen mit süßlichem Geruch“. Häufig sitzen sie auch gemeinsam am Tiber. Die beiden kommen sich zunehmend näher, aber küssen will sie ihn nicht. Er kommt nicht an sie heran.
Sein Herz scheint langsam wieder aufzuleben und sich mit Bildern und Eindrücken zu füllen. Doch es ist heiß – zu heiß – in der Stadt und sein Herz nicht zu synchronisieren mit dem hitzigen Klima. Wiederholt erinnert ihn ein Stechen in seiner Brust daran, dass er sich seinem früheren wie auch jetzigen Ich nicht entziehen kann, denn er ist krank: Herzrhythmusstörungen. Wie Italien und Rom steckt auch er seit langem in einer „crisi totale“. Er will nicht fort, „Aber ich musste fort. Um mich wieder zu sehnen. Nach dem Licht, dem Rauschen, dem innigen Glück.“ Damit schlägt er sogar ein ewiges Leben mit dem Tiber-Mädchen aus und beweist, dass die Sehnsucht in seinen Augen länger währt als gelebte Liebe.
Fazit
Dem jungen Autor, Simon Strauss, ist es gelungen, seine Gedanken über unseren doch recht kurzen Aufenthalt auf dieser Erde in gebotener Knappheit zu bündeln. Dass auch er selbst zwei Sommermonate in Rom verlebt hat, tritt dabei deutlich zutage: Mit einer detailreichen Darstellung, wirkmächtigen sprachlichen Bildern, Präzision und zugleich Weitschweifigkeit im Erzählstil zeichnet er die Stadt und seine eigene Gedankenwelt nach. Dabei macht er sich die Lesenden durch schlichte, eingängige Worte zu seinen Gefährt*innen. Nach dem italienischen „dolce vita“, Pizza über der Piazza Navona, abendlichen Theatervorstellungen, Toren und Bauwerken aus Marmor sehnen sich schließlich die meisten.
Melancholisch und leichtfüßig führt der Erzähler durch Rom und verflossene Zeiten, wobei die Lesenden ein Pathos befällt, das von dem einen oder der anderen sicher als zu sentimental und romantisch überhöht empfunden werden mag. Möglicherweise wirken Simon Strauss‘ Worte objektiv betrachtet übertrieben. Doch wer aufgeschlossen ist für ein wenig romantischen Überschwang, Leidenschaftlichkeit und die Tiefen der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit liegt mit diesem Roman genau richtig.
Autor | Simon Strauss |
Verlag | Tropen |
Preis | 18,00 Euro |
Seitenzahl | 142 Seiten |