Kommen ein Engländer und ein Schotte in ein nobles Herrenhaus… Das könnte der Anfang eines alten Witzes sein. Tatsächlich handelt es sich jedoch um den Beginn des Kriminalfalls in Oscar de Muriels Roman „Die Totenfrau von Edinburgh“. Und dieser fünfte Fall aus der Reihe um die Inspectoren Frey und McGray ist ganz und gar nicht witzig. Denn einer engen Vertrauten von Inspector McGray droht die Todesstrafe.
Wir schreiben das Jahr 1889. Es ist Herbst im viktorianischen Edinburgh. Sechs Mitglieder einer der wohlhabendsten Familien der Stadt treffen sich mit der Wahrsagerin Madame Katerina, um eine Séance abzuhalten. Doch anstatt wie geplant mit dem Geist von Grannie Alice zu kommunizieren, sind die Teilnehmer*innen der Séance am nächsten Morgen tot, die Wahrsagerin liegt ohnmächtig im Raum.
Da sie die einzige Überlebende ist, steht für einen Großteil der Edinburgher Gesellschaft schnell fest, dass „die Zigeunerin“, wie Madame Katerina auch genannt wird, die sechs Teilnehmenden ermordet hat. Das Motiv? Nicht relevant, denn die Bevölkerung schreit nach einer Hinrichtung der Frau.
Für einen der ermittelnden Inspectoren, Adolphus McGray, ist Madame Katerina allerdings unschuldig. Er glaubt ihren Worten, dass der herbeigerufene zornige Geist von Grannie Alice den Tod der Verwandten zu verantworten hat. Um zu verhindern, dass die Wahrsagerin nach ihrem Schuldspruch gehängt wird, bleiben ihm nur zwei Wochen.
Auch deswegen holt er seine ehemaligen Kollegen Ian Frey, einen Engländer, zurück nach Edinburgh. Die beiden beginnen ihre Ermittlungen und stoßen bald auf einige Ungereimtheiten innerhalb der Familie. Gab es Neid im ärmeren Zweig der Familie? Und was hat es mit dem Diener auf sich, den die Inspectoren Frey und McGray beim Stehlen in dem Haus erwischen?
Das Grauen hat einen Namen – oder zumindest eine Hand
Schließlich finden Frey und McGray Fotoplatten, die eine der Séance-Teilnehmerinnen, die sehr am Übernatürlichen interessiert war, während der Sitzung aufgenommen hatte. Diese zeigen nicht nur den Verlauf der Zusammenkunft, sondern auch ein grauenhaftes Gebilde. Es sieht aus wie eine Hand aus verkohlter Haut, die sich aus der Mitte des Tisches formt. Als „Hand des Satans“ macht ein Bild dieses unheimlichen Dinges umgehend Schlagzeilen und lässt auch Ian Frey, den sonst so vernunftbegabten Engländer, nicht kalt.
Insgesamt schleichen sich immer mehr übernatürliche Elemente in den Fall ein. Das wundert Inspector McGray jedoch nicht sonderlich, da er ohnehin an paranormale Phänomene wie das zweite Gesicht glaubt.
Wie Feuer und Wasser
So unterschiedlich die beiden Inspectoren auch sind, raufen sie sich doch immer wieder zusammen, um gemeinsam Madame Katerinas Unschuld zu beweisen. Die Frau ist Ian Frey zwar immer wieder unheimlich, wenn sie Stimmungen und Gedanken ihm gegenüber ausspricht, die sie eigentlich gar nicht wissen kann. Dennoch glaubt auch er immer mehr an die Unschuld Madame Katerinas, die für Inspector McGray von vorneherein feststeht.
Und auch sonst muss der kühlere, besonnenere Inspector Frey ein ums andere Mal das auflodernde Temperament und die Unbeherrschbarkeit seines Kollegen McGray löschen. Die Vorgeschichte der beiden Männer ergibt sich dabei im Laufe des Buches aus Zwischenbemerkungen untereinander, die oft auch aus stichelnden Kommentaren bestehen. Insgesamt prägt das Buch ein bissiger Humor, der den Leser*innen trotz der Spannung gelegentlich ein Auflachen oder Schmunzeln entlockt.
Weitere Erklärungen liefert auch ein der Haupthandlung vorangestelltes Kapitel, das weitere für den aktuellen Fall relevante Personen und Feindseligkeiten erklärt. Das ermöglicht es, dieses Buch, das den fünften Fall für das ungleiche Ermittlerduo darstellt, auch ohne Kenntnis der vorherigen Bände zu lesen und die Zusammenhänge zu verstehen.
Fazit
„Die Totenfrau von Edinburgh“ ist ein spannender Krimi, der sich nicht so schnell wieder aus der Hand legen lässt. Die unterschiedlichen, aber doch irgendwie kompatiblen Inspectoren Frey und McGray tragen ebenso zu dieser gelungenen Lektüre bei, wie der bissige Humor und die übernatürlichen Elemente. Ebenso zeigt Oscar de Muriel seiner Leser*innenschaft wie grausam sich eine Gesellschaft vermeintlich „andersartigen“ Menschen gegenüber verhalten kann. Abschließend bleibt festzuhalten: Das Buch ist etwas für alle, die gerne historische Krimis mit einem Hauch von Grusel lesen.
Autor | Oscar de Muriel |
Verlag | Goldmann |
Preis | 10,00 Euro |
Seitenzahl | 576 |