Danke Deutschland #4

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Über das Weihnachtsleiden einer Ausländerin

Es gibt im Jahr zwei große Anlässe, an denen sich viele Migrant*innen in Deutschland extrem fremd fühlen: der jährliche Besuch der Ausländerbehörde und Weihnachten. Wie fühlt es sich an, wenn die beiden Ereignisse in diesem ohnehin schwierigen Jahr in den selben Monat fallen?

Leere Straßen ohne Weihnachtsmärkte, grauer Himmel, ständiges Regenwetter, traurige Menschen mit Masken und eine sehr bedrückende Stimmung: Die Vorweihnachtszeit in Hamburg fühlt sich an wie der Anfang eines postapokalyptischen Films. Die Tage werden immer kürzer, der Glühweinkonsum steigt, die Lebensfreude bleibt in den letzten Dezembertagen konstant niedrig. Der Besuch der Ausländerbehörde steht demnächst an. Welch‘ glücklicher Zufall, dass die beiden Termine dieses Jahr in denselben Monat gefallen sind, es gibt kaum einen besseren Zeitpunkt, um sich ausgegrenzt und fremd zu fühlen. 

Ohne Corona-Pandemie würde mir der Umstand, dass ich am Weihnachten drei Tage lang allein zu Hause bleibe, nichts ausmachen. Doch nach diesem Jahr trifft es mich genauso wie viele andere Menschen, deren Familien tausende Kilometer entfernt sind, ganz hart. Während das ganze Land Geschenke mit den Verwandten austauscht, sind viele Migrant*innen auf sich allein gestellt. „Einsamkeit” wird 2020 bei einigen definitiv zum Unwort des Jahres.

Das Corona-Jahr in a nutshell

Das deutlichste Zeichen dafür, dass die Corona-Situation in Deutschland nun wieder extrem dramatisch ist, ist für mich der Moment, wenn Markus Söder zu oft in meinem Twitter-Feed auftaucht. Während ich immer wieder lese, dass Silvester „mehr Party als ein sinnliches Fest” sei und man die Lockerung der Maßnahmen nur für das „wichtigste Fest im Jahr” erlauben sollte, verschwindet sogar die kleinste Freude auf die kommenden Feiertagen. Scheint es nicht komisch zu sein, dass christliche Feiertage Ausnahmen in der Pandemie sein sollten, andere religiöse Feiertage jedoch nicht? Vielleicht sollte jemand Markus Söder sagen, dass nicht alle in Deutschland katholisch oder protestantisch sind. Vielleicht ist in der deutschen Politik auch etwas falsch gelaufen, wenn man die Pandemie-Maßnahmen überhaupt davon abhängig macht, ob ein Feiertag religiös oder nicht ist.

Das Corona-Jahr hat die Werte und Gewohnheiten vieler in Frage gestellt und ihr Leben verändert. Während ich seit 40 Minuten in der Telefon-Warteschleife der Hamburger Ausländerbehörde stecke, denke ich über Deutschlands Werte nach. Im vergangenen Jahr wurde in diesem Land sehr viel über alte Menschen gesprochen – aber sehr wenig über Studierende, sie kamen erst jetzt in den letzten Wochen des Jahres zu Wort. Kultureinrichtungen wurden als erste geschlossen – die Kleidungsgeschäfte blieben am längsten offen. Es wurden finanzielle Hilfen für  große Unternehmen wie die Lufthansa geschaffen – trotzdem wurden viele Menschen und vor allem viele Werkstudent*innen arbeitslos. Es wurden Reisen in die Risikogebiete zur Familie verboten – der jährliche Urlaub auf Malle jedoch nicht.

Leben in einer Warteschleife

2020 war für mich das Jahr, in dem ich am meisten darunter gelitten habe, Ausländerin in Deutschland zu sein. Die Roboterstimme am Telefon sagt „Ihr Anruf befindet sich als zweite in der Warteschleife” und ich frage mich, warum Deutschland es immer noch nicht geschafft hat, ein funktionierendes System für die Ausländerbehörde zu schaffen. Wie viele Ausländer*innen konnten aufgrund ihres abgelaufenen Aufenthaltstitels nicht mehr arbeiten? Was mache ich, wenn mir mein Arbeitgeber in zwei Wochen kündigt, weil meine Arbeitserlaubnis abgelaufen ist? Wie kann man in einem Land wohnen, das dich für komplett unwichtig hält?

Die Roboterstimme am Telefon sagt „Ihr Anruf befindet sich als erster in der Warteschleife”. Danach bricht die Leitung ab.