An den Hochschulen in Deutschland sind Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien unterrepräsentiert. Sie werden wenig gesehen und fallen viel zu oft durch die Lücken des Systems. Das muss sich ändern.
Wenn ich in naher Zukunft mein Masterstudium abschließe, werde ich laut einer Untersuchung des Hochschulbildungsreports eine von acht sein. Denn nur acht von 100 Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien, deren Eltern also nicht studiert haben, erreichen einen Master. Nur knapp über 20 beginnen überhaupt ein Studium. Als ich diese Zahlen das erste Mal las, war ich schockiert. Ich finde es immer schwierig, nur die Unterschiede zwischen zwei Gruppen zu betonen, weil sie so noch reproduziert werden – aber die Kernaussage ist nicht zu leugnen: Die Bildungschancen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt und wir sind weit entfernt von Gerechtigkeit.
Sichtbarkeit erhöhen, Hilfsangebote schaffen
Zu Beginn meines Studiums wusste ich nicht, dass zwischen Akademiker und Nicht-Akademiker-Kindern unterschieden wird. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass meine Probleme nicht alle Studierenden betrafen, geschweige denn, dass der Grund dafür in der Bildungsherkunft meiner Eltern liegen könnte. Sie haben mich immer unterstützt und es war klar, dass sie mir das Studium ermöglichen. Trotzdem war da immer dieses Gefühl, dass andere mir einen Schritt voraus sind, sich besser an der Universität zurechtfinden. Niemand in meiner Familie kannte sich mit BAföG aus, über Stipendien wusste ich kaum etwas. Den Unterschied zwischen Modul, Seminar und Vorlesung erklärte ich mir selbst und lernte außerdem, was Erasmus bedeutet. Gleichzeitig musste ich ständig beantworten, was ich den ganzen Tag mache und womit ich denn später Geld verdiene. Im Vergleich zur 40-Stunden-Woche und Schichtdienst erschien es seltsam, dass ich nur sechs Veranstaltungen besuchte und dann auch noch die meiste Zeit mit dem Lesen von Texten verbrachte. Ich lebte in zwei Welten, ohne dass es mir bewusst war.
Dass ich Beratung hätte in Anspruch nehmen können, kam mir nicht in den Sinn. Ich hätte mich auch selbst nie als „Arbeiterkind“ gesehen, kannte nicht einmal den Begriff. Tatsächlich ist diese Gruppe der Studierenden an den Hochschulen meiner Meinung nach weitgehend unsichtbar. Es ist zwar richtig, dass die Beratungsangebote nicht von der sozialen Herkunft abhängig sein sollen. Aber es muss sie geben und sie müssen niedrigschwelliger werden. Mit Organisationen wie Arbeiterkind.de oder Programmen wie „Seid ihr die ersten?“ an der Humboldt-Universität Berlin gibt glücklicherweise Anlaufstellen, dennoch sehe ich hier die Universitäten auch in der Pflicht. Sie sollten nicht darauf warten, dass die entsprechenden Studierenden schon zu ihnen finden werden.
Ein Studium muss man sich leisten können
Oft bestimmt die Finanzierung, ob jemand sich für oder gegen ein Studium entscheidet. Bildungsherkunft und sozialer Status hängen nicht immer voneinander ab, aber eben häufig. Es ist gut und wichtig, dass es die BAföG-Förderung gibt, aber sie ist längst nicht mehr zeitgemäß. Von der Wohnpauschale bekommt man mittlerweile selbst in Kleinstädten kaum noch ein Zimmer, von den gestiegenen Lebenshaltungskosten mal abgesehen. Das führt dazu, dass Studierende aus finanziell schwächeren Familien entweder an ihren Heimatort gebunden bleiben, um bei den Eltern wohnen zu können oder für sie nur bestimmte Studienstädte in Frage kommen. Dazu kommt, dass die Bearbeitung der BAföG-Anträge oft lange dauert, das Geld oft erst nach Studienbeginn fließt.
Das Frustrierendste ist, dass es nie wirklich aufhört. Selbst wenn man es an die Uni geschafft hat, sind andere einem voraus. Sei es nur, weil sie es sich leisten können, eine Prüfung ins nächste Semester zu verschieben und so besser abzuschneiden. Länger zu studieren und so interessante Zusatzqualifikationen aus anderen Fächern zu sammeln. Die ein längeres, unbezahltes Praktikum machen können oder die eine vielversprechende Werkstudentenstelle über Kontakte bekommen. Denen ohne Probleme jemand ein Empfehlungsschreiben aufsetzt. Für die ein Auslandsaufenthalt auch außerhalb Europas finanziell möglich ist. Oder die das Studium einfach allgemein entspannter angehen können ohne die immer mitspielende Existenzangst. Sicher gibt es für viele dieser Dinge Stipendien oder andere Fördermöglichkeiten – aber von denen muss man erst einmal wissen und dann oft noch durch einen aufwendigen Antrags- und Bewerbungsprozess meistern. Es hängt noch viel zu oft von Zufall und glücklichen Fügungen ab, ob der Bildungsaufstieg gelingt. Das muss sich ändern.
Einen ausführlichen Bericht zu diesem Thema gibt es hier.