gelesen: Die Pest

Die Ratten sind der Anfang allen Unheils (Foto: Pixabay / Pexels)

Epidemien sind kein Phänomen der Neuzeit. Zahlreiche historische Untersuchungen belegen, dass Infektionen die Menschen schon immer auf der ganzen Welt heimgesucht haben – am bekanntesten die Pest. Diese hat nicht nur unzählige Menschenleben gefordert, sondern vor allem die Überlebenden auf eine harte Probe gestellt. In seinem 1947 erschienenen Roman „Die Pest“ schildert Albert Camus die qualvolle Zeit im Exil und das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe.

Schauplatz der Handlung ist die algerische Küstenstadt Oran in den 1940er Jahren. In der bis dato weitgehend gewöhnlichen, hässlichen Handelsstadt bemerken die Bürger*innen allmählich Kuriositäten, wie die verendeten Ratten in den Gassen der Stadt.

Diese kommen aus der Kanalisation ans Tageslicht und versetzen die Bevölkerung zunächst nur in allgemeinen Aufruhr. Als jedoch zusätzlich einige Fälle eines bösartigen Fiebers in der Stadt auftreten, schlägt die anfängliche Bestürzung in Panik um. Immer mehr Menschen sterben an eitrigen Beulen, Atemnot, Husten mit blutigem Auswurf und mit unsäglichen Schmerzen.

Oran wird hermetisch abgeriegelt und plötzlich teilen alle dasselbe Schicksal: Umzingelt von den Mauern der Stadt kämpfen die Bewohner gemeinsam gegen den Pestbazillus. Plötzlich getrennt von geliebten Menschen und der üblichen Kommunikationsmittel beraubt, ist die Angst allgegenwärtig.

Jede*r führt diesen Kampf gegen die Seuche auf andere Art und Weise. Vorerst halten die Verurteilten noch an persönlichen Sorgen, Gewohnheiten und Interessen fest. Nach einiger Zeit jedoch tragen sie eine brennende Leere in sich und fügen sich den äußeren Umständen, indem sie von einem Tag auf den anderen zu leben versuchen. Die Gewöhnung an den schmerzlichen Zustand zermürbt ihre Herzen und Gemüter.

Die Sprache der Vernunft

Als Arzt und Protagonist ist Bernard Rieux dem wütenden Pestgeschehen unmittelbar ausgeliefert. Von Beginn an versucht er, das Nötige zu tun, um die Krankheit einzudämmen. Tag für Tag sieht und erträgt er das Elend und den Schmerz der Betroffenen; opfert sich regelrecht auf, um möglichst viele zu retten.

Gleichermaßen zeigt er Mitgefühl für die von der Epidemie unberührten, „gequälten Lebenden“. So begegnet er den Menschen mit einer bemerkenswerten Sanftheit und zeigt Verständnis für jede*n Einzelne*n. Sein gefasstes Auftreten gibt dabei nicht nur seinen Mitmenschen Halt, sondern dient auch den Lesenden als Richtschnur im Roman.

Aber die Arbeit und der permanente Kampf gegen das Böse zehren spürbar an Rieux. Trotz der in ihm anwachsenden Müdigkeit bewahrt er den Verstand und setzt der Unerbittlichkeit der Pest seine Beherrschung entgegen. Anders als Jesuitenpater Paneloux, der der Bevölkerung in seiner Predigt rät, die Pest als Wille Gottes anzunehmen und sie dazu auffordert zu lieben, was sie nicht verstehen können, kämpft Rieux aktiv gegen die Pest an. Er entscheidet sich für die Sprache der Vernunft, und lässt seinen Worten Taten folgen.

Von Liebe, Freundschaft und Solidarität

Die wohl unmittelbarste Folge der Quarantäne ist das Auseinanderbrechen traditioneller Gemeinschaften. Zwar könnte man meinen, alle teilten letztlich dasselbe Schicksal und die Krankheit führe zwangsläufig zu einer Solidarität der Bewohner. Vielmehr macht sich Einsamkeit in der Gesellschaft breit, die von gegenseitigem Misstrauen herrührt.

Der Einsamkeit jedes*r Einzelnen wiederum entspringt eine Monotonie der Gefühle. Kaum jemand ist noch dazu fähig zu vertrauen, zu lieben oder Freundschaften zu schließen. Einzelne werden verrückt, so etwa der Rentner und Verurteilte Cottard. Die meisten aber nisten sich in der Gegenwart ein: Feindselig gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft beraubt, bleiben ihnen nur noch Augenblicke des Leids.

In all dem Leid ist es vor allem Dr. Rieux, der beweist, dass Freundschaft und Nächstenliebe in Krisenzeiten möglich sind. So entwickelt er ein tiefes Gefühl der Verbundenheit zu seinem Nachbar und Mitstreiter Tarrou, der zu allem Unglück der Pest zum Opfer fällt.

Fazit

Vor dem Hintergrund seiner eigenen Biografie sowie dem Geschehen im Zweiten Weltkrieg macht Albert Camus in seinem Roman „Die Pest“ eindringlich auf die Absurditäten des Lebens aufmerksam. So sterben unschuldige Kinder und jene, die sich solidarisch zeigen, ebenso wie Rücksichtslose und Missetäter. Die Pest symbolisiert das Böse, das jeder Mensch in sich trägt und das es zu bekämpfen gilt. Der Erzähler gibt sich erst gegen Ende als Verfasser dieser Chronik zu erkennen und lehrt spätere Generationen durch seine Aufzeichnungen Vieles; in besonderem Maße Bescheidenheit, Nächstenliebe und Empathie im Umgang miteinander. Die Beherzigung dieser Leitlinien mag auch heute inmitten einer Pandemie schwerfallen, ist aber ein guter Weg, um einander trotz der bestehenden Kontaktbeschränkungen – zumindest emotional – verbunden zu fühlen.

AutorAlbert Camus
VerlagRowohlt Taschenbuch Verlag
Preis12,00 Euro
Seitenzahl350