Die Klammeraffen

Warum tun sich Politiker so schwer mit ihren Rücktritten? Die gemütlichen Abgeordnetensessel im Bundestag werden es kaum sein. (Foto: clareich / Pixabay)

Trotz Lorenz Caffiers Rücktritt erwecken die jüngsten Affären um Mecklenburg-Vorpommerns Ex-Innenminister Caffier und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey den Eindruck, dass immer mehr Politiker*innen versuchen, einen Rücktritt mit aller Macht zu vermeiden. Dabei schaden sie nicht nur sich selber, sondern vor allem der Demokratie.

Was haben ein Kurzwaffenkauf bei einem Rechtsextremisten, ein Plagiatsvorwurf, ein undurchsichtiger Aufsichtsratsposten und die Verschwendung von 500 Millionen Euro Steuergeldern gemeinsam? Ganz einfach: Offenbar sind das alles keine Gründe, um hochrangige Politiker*innen zu einem sofortigen Rücktritt zu bewegen. Während Politiker wie Willy Brandt früher erhobenen Hauptes zurücktraten, klammern sie sich heute wie geprügelte Hunde an ihre Ämter.

„Privatsache“

CDU-Politiker Lorenz Caffier, zählt wahrlich nicht zu den schillerndsten Köpfen dieses Landes. Umso mehr Aufmerksamkeit erlangte der jetzt zurückgetretene Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns jedoch, als er in der vergangenen Woche auf Verbindungen zum Rechtsextremisten-Netzwerk „Nordkreuz“ angesprochen wurde.  Eine taz-Journalistin fragte Caffier bei einer Pressekonferenz, ob er eine Waffe bei Frank T., dem Geschäftsführer der Firma Baltic Shooters, gekauft habe. Frank T. gehört zum Netzwerk der rechtsextremen Prepper-Gruppe Nordkreuz.

Anstatt den Kauf zuzugeben, bezeichnete Caffier die Angelegenheit zunächst als „Privatsache“. Einen Tag darauf gab er in einem Spiegel-Interview dann doch zu, Anfang 2018 eine Kurzwaffe erworben zu haben. „Keiner hat bei Frank T. mögliche Kontakte zu Rechtsextremisten vermutet“, sagt er. Caffier wolle erst danach Informationen zu Nordkreuz erhalten haben. Das erscheint allerdings wenig plausibel, da das Landesamt für Verfassungsschutz als Abteilung des Innenministeriums spätestens im März 2018 Unterlagen erhielt, die präzise Informationen über die Verbindung von Frank T.s Firma zu Nordkreuz belegen.

Möglicherweise hoffte Caffier zunächst auf Zeit spielen zu können – als die Kritik in den vergangenen Tagen allerdings nicht abebbte, trat er am Dienstag schlussendlich zurück. Wieso nicht gleich so? Hoffte der Ex-Minister tatsächlich, dass er mit der Geschichte durchkommen könnte? Trotz seines Rücktritts als Innenminister wolle Caffier sein Landtagsmandat behalten. Konsequenz geht anders.

Zum krönenden Abschluss schob Caffier am Dienstag noch den Medien die Schuld in die Schuhe. „Nicht der Erwerb war ein Fehler, sondern mein Umgang damit“, schreibt Caffier in seiner Rücktrittserklärung. Dass die Berichterstattung eine Nähe zu rechten Kreisen suggeriere, erklärt er für „absurd“. „Das Mediengeschäft ist jedoch erbarmungslos und leider allzu oft undifferenziert“, schreibt er. Das ist nicht nur lächerlich, sondern vor allem eine unbelegte Behauptung, um von der eigenen Schuld abzulenken. Journalismus ist nun mal nicht dazu da, um jeden glücklich zu machen, sondern um Missstände aufzuzeigen. Und das gesamte Verhalten Lorenz Caffier ist ein einziger Missstand.

Ignorieren statt Kontrollieren

SPD-Familienministerin Franziska Giffey macht zwar keine Waffengeschäfte mit Rechtsextremisten, ist zurzeit aber aufgrund von Plagiatsvorwürfen zu ihrer Dissertation ebenso unter Druck. 2013 stolperte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bereits über die Aberkennung ihres Doktorgrads. Zwei Jahre zuvor war der frühere CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach Plagiatsvorwürfen ebenfalls zurückgetreten. Und Giffey? Die legte ihren Doktortitel kurzerhand freiwillig ab. Das kann sie natürlich tun – die erneute Prüfung der Plagiatsvorwürfe durch die Freie Universität Berlin wird sie dadurch allerdings nicht umgehen können.

Mehrere Parteien legten Giffey nun einen vorzeitigen Rücktritt nahe. Doch die aufstrebende SPD-Politikerin möchte ihre Arbeit als Bundesministerin fortsetzen und wie angekündigt beim Berliner SPD-Parteitag für den Landesvorsitz kandidieren. Sollte dies gelingen, könnte Giffey nächste Berliner Bürgermeisterin werden. Plagiatsvorwürfe dürfte sie dafür weiterhin ignorieren. Augen zu und durch.

Lobby als Hobby

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor ist mit gerade einmal 28 Jahren der jüngste potentielle Rücktrittskandidat in dieser Aufzählung. Amthor war im Juni wegen seiner Nebentätigkeit  in Form eines undurchsichtigen Aufsichtsratspostens und Lobbyarbeit für das US-amerikanische IT-Unternehmen „Augustus Intelligence“ massiv in die Kritik geraten. Er bezeichnete diese Tätigkeit inzwischen als „Fehler“ und hat die Zusammenarbeit nach eigenen Angaben beendet. Dass er als Interessenvertreter eines US-Konzerns und gewählter Abgeordneter einen kapitalen Interessenkonflikt verursacht hat, scheint ihn darüber hinaus nicht zu interessieren. Er zog zwar seine Kandidatur zum CDU-Landesvorsitz zurück, bleibt jedoch im Bundestag.

Juso-Chef Kevin Kühnert forderte indirekt Amthors Rücktritt. Die Organisation „Transparency Deutschland“ bezeichnet Amthors Verhalten als „politisch fragwürdig“, „Lobbycontrol“ äußerte den Verdacht auf Käuflichkeit. Rücktritt? Fehlanzeige.

Bevor ich zu Andreas Scheuer komme: 2012 trat Christian Wulff als Bundespräsident nach dem Vorwurf der Vorteilsnahme zurück. VW-Chef Martin Winterkorn trat 2015 in Folge des Dieselskandals zurück. Und selbst Willy Brandt trat 1974 nach der Guillaume-Affäre als Bundeskanzler zurück. Nur drei Beispiele, die zeigen, wie Rücktritte funktionieren. Es geht darum, konsequent die Verantwortung zu tragen, die ein Amt mit sich bringt.

Teuer, teurer, Scheuer-Steuer

CSU-Verkehrsminister Scheuer tut hingegen scheinbar alles, um sich der Verantwortung zu entziehen. Nach der gescheiterten PKW-Maut, die rund 500 Millionen Euro Steuergelder verschlang, verweigert der Verkehrsminister im dazugehörigen Untersuchungsausschuss eine konkrete Aussage.

Hintergrund: Die vorgesehenen Mautbetreiber sollen dem Verkehrsminister bei einem Treffen im November 2018 angeboten haben, mit einer Vertragsunterzeichnung bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu warten. Scheuer lehnte jedoch ab, da die Maut noch in diesem Jahr eingeführt werden sollte. Im Juni 2019 stoppte der EuGH die bereits gesetzlich beschlossene Pkw-Maut. Der Bund kündigte die Verträge mit den Mautbetreibern, diese forderten daraufhin Schadensersatz.

Im September 2019 beteuerte Andreas Scheuer im Bundestag, dass es kein Angebot der Betreiber gegeben habe, mit der Vertragsunterzeichnung zu warten. Diese Aussage ist äußerst zweifelhaft. Noch ist allerdings unklar, ob Scheuer damals tatsächlich gelogen hat. Das soll der Untersuchungsschuss nun klären.

Zeit zu gehen

Caffier, Giffey, Amthor, Scheuer – die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Woher kommt die Angst vor dem konsequenten Rücktritt?

Natürlich dürfen Politiker nicht bei dem ersten Windstoß umfallen. Allerdings schaden derartige Fälle nicht nur den Karrieren der jeweiligen Personen – sie rütteln auch am Vertrauen an Parteien, Parlamenten und unserem politischen System. Anstatt selber zurückzustecken, nehmen Rücktrittsverweigerer die Gefährdung der Demokratie in Kauf. Liebe Politiker*innen: Würde ist nicht nur ein Konjunktiv. Erhobenen Hauptes das Amt zu räumen ist möglich.