Anika Happe, Masterstudentin der marinen Umweltwissenschaften an der Universität Oldenburg war im Herbst 2019 im Rahmen der MOSAiC Expedition sechs Wochen lang an Bord des russischen Eisbrechers Akademik Fedorov, der das deutsche Forschungsschiff Polarstern in die Arktis begleitet hat. Was sie bei bis zu -25 Grad alles erlebt hat, wie nah sie Eisbären kam und wieso diese Erfahrung sie nachhaltig geprägt hat, erzählt Anika im Interview.
Ein Video von Anikas Eindrücken der Expedition findet ihr hier.
Die MOSAiC Expedition gilt als größte Arktisexpedition unserer Zeit. Im September 2019 ist der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern von Tromsø aus in See gestochen, um ein Jahr lang das arktische Klimasystem zu erforschen. Dazu wurde die Polarstern im Meereis der zentralen Arktis eingefroren. Hunderte von Forschern aus 20 Ländern sind an der Expedition beteiligt.
Kopfzeile: Wie kommt man als Studentin zur größten Arktis-Expedition unserer Zeit?
Ich studiere im Master Marine Umweltwissenschaften. Da versucht jeder von uns Schiffserfahrung zu sammeln. Für das Berufsleben ist das wichtig, damit die Projektleiter wissen, dass du seefest bist. Als Modul gibt es das bei uns so nicht, aber das Alfred-Wegener-Institut hatte eine Summer School auf dem russischen Eisbrecher ausgeschrieben. Das war wirklich eine ziemlich große Sache. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da überhaupt eine Chance habe.
Die Konkurrenz war doch bestimmt groß. Wie sah die Bewerbung aus?
In einem Motivationsschreiben hat man ein Projekt erläutert, das man auf dem Schiff erarbeitet. Das konnten Projekte mit Schulen, Filme oder Podcasts sein. Ziel war es, die Expedition in den verschiedenen Ländern zu präsentieren. Es gab Bewerbungen aus der ganzen Welt, ich glaube um die 250. Letztendlich wurden drei Deutsche ausgewählt und ich war eine der Glücklichen. Insgesamt waren wir 20 Studierende aus allen Nationen auf dem Schiff.
Wie hast du dich auf die Expedition vorbereitet?
Ich musste viele medizinische Tests machen. Das waren zahnärztliche Gutachten, EKGs, Bluttests. Es wurde alles einmal gecheckt, um auszuschließen, dass etwas Akutes auf dem Schiff passiert. Außerdem wurde die Polarkleidung ausgewählt. Ansonsten habe ich mich natürlich in das Thema eingelesen und versucht, mein Projekt vorzubereiten. Man wusste auch nicht so richtig, was einen erwartet. Ich habe im Internet recherchiert, was man in die Arktis mitnimmt, aber da gibt es nicht viele Informationen.
Worum ging es denn bei deinem Projekt?
Die Stiftung „Zukunft Wald“ hat einen Malwettbewerb ausgeschrieben, bei dem ein Maskottchen für die Stiftung entworfen werden sollte. Ein Schüler hat eine kleine Wildkatze gemalt, die dann in ein Kuscheltier umgewandelt wurde. Und das ist mit mir in die Arktis gereist. Im Gepäck hatte ich ganz viele Fragen von Schulen aus der Umgebung und zusammen mit diesem Kuscheltier habe ich diese dann auf dem Schiff beantwortet. Das wurde dann in einen Adventskalender umgewandelt: Jeden Tag gab es ein Video mit der Wildkatze.
Wie war dein Ablauf, als du nach Tromsø gekommen bist?
Alle Studierende der Summer School sind am 16. September angekommen. Es fand eine fünftägige Einführungsveranstaltung mit verschiedenen Workshops statt, damit wir uns alle besser kennenlernen. Dann ging es auf das Schiff. Nach einer Abschiedsfeier mit Sekt und Lichtshow, fuhr die Polarstern am Abend los. Wir sind mit der Akademik Fedorov wenig später hinterher.
Einmal war ich mit ein paar anderen draußen und wir konnten in der Ferne die schwarzen Punkte von der Nase und den Augen gesehen. Und dann kamen sie tatsächlich direkt auf das Schiff zugelaufen.
Anika Happe
Was waren deine Aufgaben als Forschungsstudentin an Bord?
Eigentlich gab es immer viel zu tun. Ich war vor allem in zwei größere Projekte involviert. Das eine war eine Eis- und Schneedickemessung, um die Fläche, auf der die Messstation und -instrumente installiert wurden, zu charakterisieren. Das zweite Projekt war das Nehmen von Eisbohrkernen. Es wurde geguckt, ob Sediment in den Eisbohrkern eingeschlossen ist. Wenn man das Sediment aus dem Eis mit dem Sediment an Kontinentalschelf abgleicht, zum Beispiel vor Sibirien, kann man gucken, ob es aus der jeweiligen Region kommt. So kann man die Herkunft der Eisscholle bestimmen. Abgesehen von den Projekten konnte sich täglich für verschiedene Aufgaben eintragen. Es gab zum Beispiel Meereisbeobachtungen, da wurde jede Stunde aufgeschrieben, wie das Eis um das Schiff aussieht. Es gab auch die Eisbärenwache, bei der wir zusätzlich zu den Wärmebildkameras mit Ferngläsern das Eis nach den Tieren abgesucht haben.
Hast du denn Eisbären gesehen?
Ja! Das war echt beeindruckend, die in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen. Man hat das Gefühl, die verhalten sich komplett anders, als wenn man die im Zoo sieht. Einmal war ich mit ein paar anderen draußen und wir konnten in der Ferne die schwarzen Punkte von der Nase und den Augen gesehen. Und dann kamen sie tatsächlich direkt auf das Schiff zugelaufen. Bis auf fünf Meter sind die Eisbärmutter und ihr Kind herangekommen. Das war einfach cool.
Abseits der Arbeit und der vielen Projekte: Wie kann man sich das Leben an Bord vorstellen?
Wir haben in kleinen Kabinen geschlafen mit bis zu vier Betten. Wir hatten einen großen Aufenthaltsraum, wo man es sich gemütlich machen konnte. Es gab sogar eine Sauna. Unsere Freizeit haben wir uns immer vollgepackt mit Aktivitäten. Das war auch eines meiner Highlights. Jeder, der ein Talent oder eine Fähigkeit hatte, hat versucht, das mit den anderen zu teilen. Ein Student aus der Schweiz war Personal Trainer und hat jeden Morgen Crossfit draußen auf dem Schiff gemacht. Ein anderer hat Martial Arts angeboten. Eine Wissenschaftlerin hat jeden Morgen Yoga mit uns gemacht. Sonst gab es auch noch Kinoabende oder Bar Nights.
Man verschwendet immer so viel Zeit auf irgendwelchen sozialen Plattformen. Da man auf dem Schiff einfach die Möglichkeit nicht hatte, hat man die Zeit viel besser genutzt.
Anika Happe
Ich stelle mir das so vor, dass in der Arktis die Netzverbindung eher eingeschränkt ist. Da ist es bestimmt schwer, den Kontakt zu Familie und Freunden zu halten.
Am Anfang wurde uns gesagt, dass wir kein Internet auf unserem Handy nutzen können und E-Mails an Bord nur gelegentlich abgerufen werden. Nach einer Woche konnten wir aber doch WhatsApp nutzen, weil es mehr Bandbreite gab als angenommen. Ich habe aber nur meinem Freund und meiner Familie geschrieben. Die Abgeschiedenheit habe ich nämlich genossen. Man verschwendet immer so viel Zeit auf irgendwelchen sozialen Plattformen. Da ich auf dem Schiff die Möglichkeiten nicht hatte, habe ich die Zeit viel besser genutzt. Ungewohnt war auch, dass man wirklich gar keine Nachrichten mitbekommen hat. Nur ab und zu ist was reingekommen, wenn was ganz Wichtiges war. Zu der Zeit war der Brexit ziemlich aktuell und die Briten auf dem Schiff waren immer sehr aufgeregt, wenn sie die Nachrichten von außen bekommen haben.
Die Expedition ist gerade erst beendet. Wann kann man mit Ergebnissen rechnen?
Die Polarstern ist am 12. Oktober wieder in Bremerhaven eingelaufen. Nach rund zehn Monaten an derselben Eisscholle, ist sie Ende Juli nach einigen weiteren Messungen zum Nordpol gefahren, um den Beginn der Gefrierphase mitzubekommen und zu bemessen. Auf die erhobenen Daten haben zunächst die Wissenschaftler/-innen, die daran gearbeitet haben, ein Vorrecht. Danach werden alle Daten, die im Rahmen der Expedition gesammelt wurden, frei verfügbar gemacht, sodass alle anderen Wissenschaftler/-innen auch damit arbeiten können. Das finde ich ziemlich wichtig, da geht die MOSAiC Expedition mit gutem Beispiel voran.
Ich habe in diesem Moment gemerkt, dass ich den Klimawandel gerade mit den eigenen Augen sehe. Diese Erinnerung kommt mir immer noch häufig ins Gedächtnis, wenn ich Entscheidungen in meinem Alltag treffen muss.
Anika Happe
Was hat Dich auf dieser Expedition besonders geprägt?
Es gab einen Moment, an den ich ziemlich häufig zurückdenke. Das war in der Nacht, als wir die Meereisgrenze erreicht und das erste Mal eine geschlossene Meereisdecke gesehen haben. In dem Moment habe ich erst realisiert, dass ich gerade wirklich in die Arktis fahre. Dieser Blick war überwältigend. Gleichzeitig hat mich das auch ein bisschen traurig gemacht. Einfach zu wissen, wie fragil dieses System der Arktis ist und dass das die zweitgeringste sommerliche Meereisausdehnung unserer Zeit war. Ich habe in diesem Moment gemerkt, dass ich den Klimawandel gerade mit den eigenen Augen sehe. Diese Erinnerung kommt mir immer noch häufig ins Gedächtnis, wenn ich Entscheidungen in meinem Alltag treffen muss. Dann reflektiere ich das nochmal und frage mich: Muss es jetzt das ein oder andere Produkt oder der Flug wirklich sein?
Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Anika Happe Foto: Pierre Priou Foto: Jari Haapala Foto: Sam Cornish