Das digitale Semester an der Universität Hamburg sorgt für Streit: Mehr als 30 Lehrende fordern vom Präsidium, Präsenzveranstaltungen trotz Corona-Pandemie zu ermöglichen. Die notwendigen Schutzkonzepte liegen bereits in der Schublade. Rückenwind kommt aus der Bürgerschaft.
Den ganzen Sommer über haben Lehrende und Mitarbeiter*innen der Universität Hamburg unter Hochdruck an Hygienekonzepten für die bevorstehende Vorlesungszeit gearbeitet. Ein hybrides Semester sollte es werden, mit Präsenzlehre für mindestens 10 Prozent der Lehrveranstaltungen.
Der Senat wolle trotz steigender Corona-Infektionen an dieser Lösung festhalten, das hatte Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank (GRÜNE), am 30. Oktober auf einer Pressekonferenz bekräftigt: „Wir haben verabredet, dass wir bei dem angekündigten Hybrid-Semester bleiben. Das heißt nach wie vor: soviel Präsenzlehre wie möglich, soviel digital wie möglich.“
Doch das sieht die Führung der Universität Hamburg anders: Das Präsidium unter Leitung von Dieter Lenzen hatte noch am selben Tag mitgeteilt, dass die Lehre grundsätzlich nur in digitaler Form stattfinden könne.
Protest gegen Online-Semester
Mehr als 30 Dozierende aus verschiedenen Fachbereichen der Universität Hamburg haben den Präsidenten in einem offenen Brief aufgefordert, „die geplanten Präsenzveranstaltungen in vollem Umfang zu ermöglichen“. Dies solle „selbstverständlich auf Grundlage der entwickelten Schutzkonzepte“ erfolgen. Die Begegnung in den Hochschulen sei das beste Mittel gegen Vereinsamung, Frustration und Stress.
Das Universitätspräsidium weist diese Forderung zurück und bezieht sich dabei auf die Eindämmungsverordnung des Hamburger Senats vom 02. November. Darin heißt es, dass Lehre nur in Präsenz erfolgen könne, „soweit die jeweilige Lehrveranstaltung eine gemeinsame Anwesenheit von Studierenden und Lehrenden zwingend erfordert“. Aber wann ist Präsenz zwingend erforderlich? Aus Sicht des Präsidiums nur bei der universitären Laborarbeit, Lehramtspraktika und der Praxisausbildung von Medizinstudierenden. Einen darüber hinaus gehenden Ermessensspielraum gebe es nicht.
Das ist eine Diskriminierung der Geisteswissenschaften
Marc-Olivier Hinzelin, Institut für Romanistik UHH
Marc-Olivier Hinzelin, Unterzeichner des offenen Briefes und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Romanistik, findet das ungerecht: „Das ist eine Diskriminierung der Geisteswissenschaften. Für die Naturwissenschaften stehen die Labore zur Verfügung, bei uns ist ein direkter Austausch nicht erwünscht.“
Der Linguist ist überzeugt, dass im Rahmen der langfristig erarbeiteten Schutzkonzepte jede*r Lehrende selbst entscheiden sollte, ob eine Lehrveranstaltung in Präsenz „zwingend erforderlich“ ist. Schließlich gebe es dafür auch Unterstützung aus der Politik: „Hätte sich der Gesetzgeber klar gegen ein hybrides Semester ausgesprochen, dann hätten wir dafür vollstes Verständnis“, so Hinzelin. „Das ist aber nicht der Fall. Es gibt Handlungsspielraum, um Präsenzveranstaltungen durchzuführen.“
Andere Hochschulen in Hamburg zeigen, wie das gelingen kann: Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) hat beispielsweise einen Kinosaal angemietet, um bei Vorlesungen den nötigen Abstand zu wahren. Auch an der Technischen Universität Hamburg werden Präsenzveranstaltungen abgehalten.
CDU-Fraktion spricht sich für Präsenzlehre aus
Rückenwind bekommen die Dozierenden um Marc-Olivier Hinzelin nun aus der Politik. Ausgerechnet die CDU, die auf Bundesebene pandemiebedingte Einschränkungen des öffentlichen Lebens klar befürwortet, hat sich nun in der Hamburgischen Bürgerschaft für ein hybrides Semester ausgesprochen. Die wissenschaftspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Anke Frieling, fordert: „Wer Wissenschaftsmetropole sein will und Exzellenz predigt, der muss besser mit seinen Studierenden umgehen.“ Sie könne den Frust von Studierenden und Lehrenden nachvollziehen, sollte das Wintersemester fast ausschließlich ohne soziale Kontakte auskommen.
In einem Antrag fordert die CDU-Fraktion den Senat nun dazu auf, auch im Wintersemester 2020/21 sozialen Austausch an den Hamburger Hochschulen zu ermöglichen. Besonders für die Erst- und Zweitsemester-Studierenden sollten möglichst viele Präsenzveranstaltungen angeboten werden.
Dozent Marc-Olivier Hinzelin freut sich über diesen Vorstoß. Allerdings rechnet er nicht mit einem baldigen Strategiewechsel der Universitäts-Leitung: „Wenn Herr Lenzen bei seiner Linie der maximalen Risikominimierung bleibt, dann wird die Lehre digital stattfinden, bis ein Impfstoff da ist. Und das kann dauern.“