Wenn die Ernte in unseren eigenen Händen liegt

Bis die Erdbeeren so schön im Supermarkt Regal liegen, ist es ein weiter Weg (Foto: Oleg Magni/Pexels)

Einmal im Jahr kommen hunderttausende ausländische Saisonkräfte nach Deutschland, um auf den Feldern zu arbeiten und regionales Obst und Gemüse zu ernten. Aber was passiert, wenn der Saisonbeginn von einer Pandemie überschattet wird, die internationale Reisen verbietet? Wer kümmert sich dann um unsere Ernte? Und wie kann das funktionieren?

„Auf dem Feld gab es kein Corona“ 

erinnert sich Corinna K., die Anfang April in die Kurzarbeit geschickt wurde und sich daraufhin als Erntehelferin bewarb. Auf der Vermittlungsplattform DasLandHilft fand sie einen Obsthof in ihrer Nähe, ca. 50 km entfernt von ihrem Zuhause in München. Wegen der eingeschränkten Reisemöglichkeiten durch die Covid-19-Pandemie fehlten zu Beginn der Saison in Deutschland plötzlich rund 300.000 Feldarbeiter aus dem europäischen Ausland. So kam es, dass der Landwirt des Obsthofs zum ersten Mal seit Langem auf inländische Hilfe angewiesen war.

Ausgangsbeschränkung und nichts zu tun

Corinna, die eigentlich in der Veranstaltungsbranche arbeitet, bekam die Auswirkungen der Pandemie im März deutlich zu spüren. „Es begann damit, dass alles geschlossen wurde,“ berichtet die 30-Jährige. Vor allem in ihrem Bundesland (Bayern) wurden in der Zeit strenge Regelungen umgesetzt – unter anderem galt ab dem 21. März eine Ausgangsbeschränkung – und die Veranstaltungen wurden reihenweise abgesagt. Das hatte zur Folge, dass Corinna im Büro nur noch rumsaß und sich langweilte. Anfang April wurde sie daher in die 25%-Kurzarbeit geschickt, ihre Stunden auf ein Viertel der üblichen Arbeitszeit gekürzt. Als sie dann auch noch ihre für Mai geplante Hochzeit absagen musste, hielt sie es in der Wohnung nicht mehr aus. Mit dem Ziel, sich abzulenken und ihre Zeit sinnvoll zu verwenden, schaute sie sich nach einem neuen Projekt um und informierte sich über die aktuellen Probleme, die die Corona-Krise ausgelöst hatte. 

Keine Lust, Regale zu befüllen

„In der Stadt haben zu der Zeit viele Menschen nach einem Aushilfsjob im Einzelhandel gesucht,“ erzählt Frauke Wettwer, Mitarbeiterin der Arbeitsagentur in Berlin. „Für sie waren die Felder einfach zu weit weg und ohne die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zu erreichen.“

Für Corinna allerdings kam die Arbeit in einem Supermarkt nicht in Frage. Auch in ihrer direkten Umgebung bestand bereits ein Über-Angebot an Anzeigen zur Nachbarschaftshilfe. Mit dem Argument „Dort brauchen sie wirklich Leute“ entschied sie sich schließlich für die Arbeit als Erntehelferin. Und damit war sie nicht die Einzige. Nur zwei Wochen nachdem die Initiative DasLandHilft am 20. März gestartet war, hatten sich bereits über 50.000 Menschen gemeldet, um ihre Unterstützung in der Landwirtschaft anzubieten. 

Screenshot der Website DasLandHilft vom 05.06.2020
Website DasLandHilft vom 05.06.2020

Alltag auf dem Feld

In ihrer neuen Beschäftigung begann Corinnas Tag jeden Morgen pünktlich um 8 Uhr und endete zwischen 16 und 20 Uhr – je nachdem, wie viel gerade zu tun war.

Hier ist ein Bild eines Traktor mitsamt den Helfern.
Ein Traktor bringt die Helfer an ihren Arbeitsplatz. (Foto: Anna Ströbel Romero)

Die schwierigste Aufgabe auf dem Obsthof war für Corinna das Einpflanzen der Erdbeeren bei 28°C in den Plastikschläuchen. Das gute Wetter konnte sie dafür nach der anstrengenden Arbeit umso mehr genießen. Die 30-Jährige war mit ihrem Wohnmobil losgezogen und blieb pro Woche für drei bis vier Tage am Hof. In einer Zeit, in der Urlaub unmöglich war, fand sie ihre Entspannung so in der Ruhe des Feierabends nach einem langen Tag auf dem Feld.

Am 2. April verkündeten das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI ), dass ausländische Saisonarbeiter nun doch einreisen dürften – allerdings unter strengen Auflagen und in begrenzter Anzahl, weswegen weiterhin eifrig nach inländischen Helfern gesucht wurde. 

„Immer schlechter als die Rumänen“

Eine der Sicherheitsmaßnahmen der Ministerien war, dass die sogenannten ‚Neuanreisenden‘ strikt getrennt von den sonstigen Beschäftigten arbeiten mussten und der Kontakt zu Letzteren verboten war. So kam es, dass sich auf Corinnas Obsthof zwei Teams mit jeweils 12 Helfern bildeten: ‚Die Deutschen‘ und ‚die Rumänen‘. Nicht nur die Pausenzeiten variierten je nach Gruppe, sondern auch die Erfahrung der Arbeiter. „In den Augen des Landwirts waren wir immer schlechter als die Rumänen“, erzählt Corinna rückblickend. Sie erinnert sich daran wie die Leistungen der Helfer ständig verglichen und ihnen vorgehalten wurden. Dadurch fühlte sie sich nicht besonders wertgeschätzt. 

Der Obsthof bestätigt Corinnas Erlebnisse. Auf Anfrage heißt es dort: „Wenn ein Rumäne vier Kisten pro Stunde pflückt, pflückt ein Deutscher eine halbe.“ 

„Das hätte ich nicht jedem empfohlen.“

Weiterhin berichtet der Betrieb, dass sich die inländischen Arbeiter immerzu beschwert hätten und mit völlig falschen Erwartungen auf den Hof gekommen wären. Vielen sei nicht bewusst gewesen, wie anstrengend die landwirtschaftliche Arbeit tatsächlich ist. Auch Corinna gibt deutlich zu: „Das hätte ich nicht jedem empfohlen. Vor allem bei den Erdbeeren war die körperliche Arbeit hart.“ Dazu kam der immer präsente Leistungsdruck, weswegen der ideale Erntehelfer auch mental robust sein sollte.

Trotzdem konnte Corinna ihrer neuen Beschäftigung viel Positives abgewinnen: „Wir waren schließlich alle in der gleichen Situation. Es war eine bunte Mischung aus Studenten, Angestellten in Kurzarbeit und Abiturienten, deren Work and Travel ausgefallen war,“ berichtet sie. „Und der Zusammenhalt war stark, mehr als im Büro.“ 

Zweiter Stopp: Hopfen

Insgesamt war Corinna aber doch zu unglücklich mit den gegebenen Arbeitsbedingungen und dem groben Ton der ersten Stelle, weswegen sie nach ein paar Wochen zu einem anderen Hof wechselte, an welchem sie ab Mai Hopfen andrehte. „Da war es um 180 Grad anders,“ meint Corinna. „Die Leute, die aus weiter Ferne kamen, durften kostenlos vor Ort übernachten.“ Das sei an dem vorherigen Hof keine Selbstverständlichkeit gewesen. Dort hätte für eine Unterkunft gezahlt werden müssen – obwohl der Stundenlohn bei dem Hopfenbauern deutlich höher war. Zudem gab es bei Corinnas zweitem Arbeitgeber ein warmes Mittagessen für alle Helfer und Getränke, die ihnen während der Arbeit direkt auf die Felder gebracht wurden. Generell fühlte sich die Münchnerin hier besser versorgt und genoss den freundlichen Umgang. 

Hier ist ein Bild mit den Erntehelfern im Regen.
Die Helfer sind gegen Regen gewappnet. (Foto: Anna Ströbel Romero)


Eine neue Herausforderung war das Wetter: Bei 6°C und strömendem Regen gingen die Helfer aufs Feld, um sich um die Pflanzen zu kümmern. „Es musste in dieser Woche gemacht werden, weil ansonsten der Hopfen zu groß werden würde. Da spielte das Wetter dann auch keine Rolle“, erklärt Corinna schmunzelnd. Vor Ort erhielten alle Helfer die passende Kleidung, um die langen Tage auf dem Feld trotz Wind und Wetter gut zu überstehen.

Inländische Arbeitskräfte sind keine Option

Bild von Corinna K. mit den (noch) kleinen Hopfenpflanzen.
Corinna K. mit den (noch) kleinen Hopfenpflanzen. (Foto: Anna Ströbel Romero)

Wenn sie Landwirtin wäre, würde Corinna konsequent versuchen, Deutsche zu beschäftigen. Nur wer selbst auf dem Feld mithelfe, könne erkennen was für eine enorme Arbeit hinter jeder einzelnen Frucht steht und ihren Wert schätzen. Für den Obsthof allerdings zählt an erster Stelle der wirtschaftliche Aspekt. Auf die Frage, ob sie in Zukunft wieder inländische Hilfe rekrutieren würden, gab es von Corinnas erstem Arbeitgeber ein klares „Nein“, denn „da gehen wir als Betrieb zugrunde.“ Es würde für sie nur Sinn machen, wenn sie den Preis der Erdbeeren anheben könnten. Doch damit das funktioniert, müssten auch andere Höfe mitmachen und fortan weniger ausländische Helfer einstellen. Und selbst dann gäbe es immer noch eine Hürde: Die Verbraucher müssten den neuen Preis akzeptieren und die Erdbeeren weiterhin kaufen. Und sind wir wirklich dazu bereit pro Schale 5 oder 6 Euro zu zahlen?

Sehnsucht nach der Natur

Ein Screenshot von Corinnas Instagram-Post zur Ernte.
Sehnsucht nach der Natur: Stolz präsentiert Corinna ihre Arbeit auf ihrem Instagram-Account. (Foto: Corinna K., corinna_muenchen)

Corinna ist derweil in die Stadt zurückgekehrt.Davor war sie auf einem dritten Hof, für den sie Kirschen und verschiedene Beeren erntete. Als sie zurückkam, kam ihr ihre Wohnung auf einmal ganz klein vor. Auch ist sie jetzt viel öfter draußen. „Ich habe gemerkt, dass es mir gut tut in der Natur zu sein. Ich würde meine Stadt aber nicht aufgeben,“ fasst sie zusammen. Sicher ist, dass sie aus ihren Erfahrungen der vergangenen Monate viel gelernt hat und jederzeit wieder aufs Feld gehen würde. Corinna hat es geschafft, ihre schlechte Ausgangssituation im März zu etwas Positivem umzuwandeln