Kreuzfahrten stehen gerade nicht sehr hoch im Kurs, aber die Irrfahrt der St. Louis ist eine Passage, die zum Albtraum wird. Im Jahr 1939 lässt die Schiffsreederei Hapag fast 1000 Jüdinnen und Juden an Bord gehen, damit sie nach Kuba auswandern können. Die Geschichte dieser Fahrt bringt das Altonaer Theater nun mit „Die Reise der Verlorenen“ auf die Bühne.
Zwei Leinwände formen den Bug eines Schiffes, auf ihnen sind Bilder und die tanzenden Darsteller*innen zu sehen. Diese kommen nacheinander auf die Bühne und erinnern das Publikum im Laufe des Stückes immer wieder daran, dass ihre Rollen real waren, dass sich dieses Theaterstück mit ihrem Leben befasst. Da sind zum einen die Juden und Jüdinnen, die auf die St. Louis kommen und auf ein neues Leben hoffen. Sie haben bereits unter den Nazis gelitten, einige von ihnen kommen aus Konzentrationslagern, andere waren noch frei. Jetzt hoffen Sie, in Kuba ein neues Leben beginnen zu können.
Der kubanische Einwanderungsminister, gespielt von Roland Peek, hat mit der Hapag einen Deal abgeschlossen: Die Geflüchteten können in Kuba von Bord gehen, er selbst bekommt eine Menge Schmiergeld. Doch er hat die Rechnung ohne seinen Präsidenten (Judith Riehl) gemacht. Dieser will in den immer näher rückenden Wahlen seinen Platz behalten und hat daher ein Gesetz verabschiedet, das es neuen Einwanderer*innen nicht mehrgestattet, das Land zu betreten. Denn in Kuba hat die Bevölkerung wohl Angst, die Neuankömmlinge könnten Ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.
Als die St. Louis schließlich in Havanna anlandet, beginnt ein Ränkespiel der verschiedensten Interessen. Der Einwanderungsminister hat hauptsächlich sein Geld in Sinn, der Präsident von Kuba seine Wiederwahl, aber auch irgendwo die Menschen auf der St. Louis. Hauptmann Gómez vom deutschen Geheimdienst (Sebastian Prasse) will vor allem seine Mikrofilme nach Deutschland geschmuggelt wissen und die Geflüchteten wollen nur eins: an Land gehen können.
Pokern um die Zukunft
Irgendwann schalten sich auch die Amerikaner*innen und Kanadier*innen in die Verhandlungen über den Verbleib der 937 Menschen an Bord ein. Der Wechsel zwischen See und Land, zwischen Geflüchteten und Verhandelnden wird durch das Aufschieben oder Schließen der Leinwände auf der Bühne sowie die auf den Wänden gezeigten Bilder symbolisiert.
Schließlich wird endgültig klar: Keiner will die Juden und Jüdinnen aufnehmen, nur 29 von ihnen durften in Havanna von Bord gehen. Die St. Louis bekommt die Anweisung wieder nach Hamburg zurück zu fahren. Verzweiflung macht sich an Bord breit und Kapitän Gustav Schröder (Georg Münzel) überlegt händeringend, wie er seine Passagiere retten kann.
Ganz anders sieht das einer der Stewarts, Otto Schiendick (Konstantin Moreth). Er ist Naziopportunist und schikaniert die Passagiere auch während der Überfahrt. Er ist die mit Abstand unsympathischste Person des Stückes, das doch so viele fragwürdige Charaktere zeigt.
Die Mitglieder des Ensembles spielen alle mehrere Personen, der Wechsel zwischen den Charakteren wird durch verschiedene Kostüme-Elemente deutlich gemacht. Meistens sind es Jacken oder Hüte, die die Charaktere optisch voneinander unterscheiden, ebenso wie die Attitüden, die die jeweiligen Rollen an den Tag legen.
Wir sprechen mit euch
Immer wieder wenden sich die Figuren des Stücks direkt an das Publikum. Als erster fragt Otto Schiendick die Zuschauenden, wie sie wohl in der damaligen Zeit gehandelt hätten. Aber auch Gedanken der Figuren werden dem Publikum gegenüber geäußert. Der Einwanderungsminister hält fest, wären die Bestechungen angekommen, dann hätte ein anderes Stück gespielt werden können an diesem Theaterabend.
Neben der direkten Hinwendung zum Publikum scheint auch immer wieder trockener, bitterer Humor in Teilen des Stückes durch. Sehr deutlich wird die Inszenierung durch die Livemusik auf der Bühne geprägt. Es erklingen teilweise nur dumpfe Trommelschläge, aber auch beispielsweise ein Cello oder Gesang. Kaum eine Stelle des Stückes wird nicht von Geräuschen oder Melodien begleitet, einmal bricht eine Art Sängerwettstreit los.
Fazit
„Die Reise der Verlorenen“ ist ein spannendes und gut inszeniertes Stück. Die Ensemblemitglieder schaffen es mit wenigen Mitteln und sehr überzeugendem Schauspiel, die verschiedene Charaktere auf die Bühne und den Zuschauenden nahe zu bringen. Dabei entrollt sich vor den Augen des Publikums ein politisches Ränkespiel, das dennoch immer wieder auf die Geflüchteten an Bord der St. Louis zurückkommt und diese nicht aus den Augen verliert. Und auch wenn sich dieses Drama vor fast 100 Jahren abspielte, hat dieses Stück nichts an Aktualität eingebüßt.
Darsteller*innen | Konstantin Moreth, Georg Münzel, Roland Peek, Sebastian Prasse, Judith Riehl, Kathrin Steinweg |
Regie | Thomas Luft |
Musikalische Leitung | Florian Miro/Jonathan Wolters |
Bühne | Manuela Hartel, Sarah Silbermann, Thomas Luft |
Kostüm | Sarah Silbermann |
Weitere Informationen findet ihr hier.