Was macht ein Tanzlehrer, wenn die Tanzschule durch die Corona-Pandemie schließen muss? Was passiert hinter den Kulissen, wie geht Tanzunterricht online und wie funktioniert tanzen, wenn überall ein Mindestabstand gilt? Wir erzählen von einem Tanzlehrer, der nicht tanzen darf.
Mitte März stellten die Tanzlehrer*innen des Ahrensburger Unternehmens „Isabel Edvardsson – Die Tanzschule am Schloss“ fest, dass weniger Kund*innen an den Kursen teilnahmen als sonst. Es bahnte sich an, dass in Deutschland Einschränkungen und temporäre Schließungen von Unternehmen kommen würden. In der Nacht des 13.03.2020 auf den 14.03.2020 fiel der Beschluss des Landes Schleswig-Holstein und die Tanzschule musste schließen. Samstag wurden die Tanzlehrer*innen zu einem Krisengespräch eingeladen. Man hatte inzwischen mit einer Schließung gerechnet.
Die erste Reaktion des Tanzlehrers Tobias Heins war dennoch die Wut, da es zu keinem Zeitpunkt genauere Informationen zu der Situation gab. Heins war jedoch auch bewusst, dass er noch keine wirklich sinnvollen Informationen bekommen konnte. Es sei eine Situation gewesen, die noch keiner kannte. Alle seien damit überfordert gewesen, auch die Politik, so der Tanzlehrer.
Heins’ Weg zum Tanzlehrer
Heins ist 28 Jahre alt und seit knapp zehn Jahren Tanzlehrer, er machte damals sein Hobby zum Beruf. Seit Dezember 2016 arbeitet er bei der Tanzschule in Ahrensburg, unterrichtet Paartanz für Jugendliche und Erwachsene, Jumpstyle für Jugendliche und Solotanz für Senioren ab 60 Jahren. Nebenher macht er eine Ausbildung zum Fachwirt für Tanzlehrer.
Als er erstmals von Corona hörte, dachte der 28-Jährige noch, dass ihn das Virus vielleicht gar nicht betreffen und beeinträchtigen würde. Doch als das Virus in Italien ankam, dämmerte ihm: „Dieser Kelch wird nicht an uns vorübergehen.“.
Tanzen verboten
Eigentlich ist die Tanzschule für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geöffnet. Normalerweise finden hier Kurse zu Latein- und Standardtanz, Solotanzkurse wie Hip-Hop und Contemporary, Spezialkurse zu einzelnen Tänzen sowie Kindertanzen statt. Es gäbe in der Tanzschule normalerweise sogar Großveranstaltung mit bis zu 250 Personen. Etwa Abtanzbälle, Tanzpartys oder auch private Feiern wie Hochzeiten. Durch die Pandemie wurden alle anstehenden Veranstaltungen abgesagt und verschoben. Das bliebe wohl auch bis zum Jahresende so, vermutet Heins. Auf jeden Fall käme keine Veranstaltung mit mehr als 50 Personen in Frage.
Die Schließung der Tanzschule konnte Heins nachvollziehen. „Wir sind definitiv keine systemrelevante Schule oder Institution“, sagt er. „Wir sind eher eine Gefährdung, da bei uns sehr, sehr viele Menschen hindurch laufen. Aus verschiedenen Altersgruppen, aus verschiedenen Bildungsgruppen, aus verschiedenen Regionen“, sagt der 28-Jährige.
Vom Tanzsaal zum Filmstudio
Doch einfach aufgeben wollten die Tanzlehrer nicht. Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen entschied Heins, dass die Tanzschule per Video weitermachen soll. Und das möglichst sofort. Gleich für den ersten Tag nach der Schließung wurde ein Teammeeting angesetzt. Die Tanzlehrer*innen und ein paar Tanzassistent*innen dunkelten die Tanzschule ab und stellten Kamerastative auf. Es entstanden zwei Filmstudios, in denen das Kursprogramm durchgegangen und abgedreht wurde.

Auch Heins stand allein und mit einer Tanzpartnerin, vor der Kamera. Zudem war er für den Videoschnitt und die Veröffentlichung auf der Streaming-Plattform PLEX zuständig. Die Kenntnisse dafür eignete er sich selbst an. Auf diese Weise entstanden für alle Kund*innen Online-Ersatzkurse: „Es fing mit Kindertanz an und hörte mit den Senioren auf. Da war für alle Altersgruppen was dabei“, sagt Heins und lacht.
Bei den Tanzschüler*innen kamen die Videos ganz unterschiedlich an. „Einige haben gesagt, dass sie das toll finden, sie richtig Spaß daran haben und sich riesig freuen, dass wir uns so engagieren und ihnen so viel bereitstellen. Andere fanden es unnötig, weil sie der Meinung sind, tanzen könne man zuhause nicht und sie hätten eh keinen Platz“, sagt der Tanzlehrer. Allgemein reichten die Reaktionen auf die Schließung laut Tobias H. „von vollstem Verständnis bis zum absoluten Unverständnis“.
Ein Tanzlehrer in Kurzarbeit
Mitte April musste die Tanzschule schließlich doch Kurzarbeit anmelden. Heins hatte damit sogar schon früher gerechnet, bei der Arbeit hätte man sich nach einiger Zeit nur noch auf den Füßen gestanden, da es zu viele Menschen für zu wenig Aufgaben gegeben habe, sagt er. Immerhin: Seine Vorgesetzten stockten das Gehalt auf 100 Prozent auf.
Trotzdem spürte auch Heins die finanziellen Auswirkungen der Krise. Im normalen Betrieb verdienen Tanzlehrer*innen vor allem durch steuerfreie Zuschläge, da die Arbeit meist in den Abend oder sogar in die Nacht hinein geht und auch Sonn- und Feiertagszuschläge vergütet werden. Ohne diese Zuschläge fehlen ihm 400 bis 500 Euro im Monat, sagt er.
Nebenbei führt Heins ein Kleingewerbe. Auch das ist nicht unüblich in der Branche. Über dieses laufen zum Beispiel Privattanzstunden, Tanzunterricht an anderen Tanzschulen oder auch der Aufbau von Licht- und Soundtechnik bei Veranstaltungen. Allein in der Hochzeits-Hochsaison von März bis Juli gäbe Heins sonst zwischen 15 und 30 private Zusatztanzstunden.
Plötzlich wieder offen
Nach etwas mehr als neun Wochen durfte die Tanzschule am 20.05.2020 schließlich wieder öffnen. Die Erlaubnis dafür erfolgte durch eine Schleswig-Holsteinischen Landesverordnung. Für die Mitarbeiter*innen der Tanzschule kommt auch diese Information aus dem Nichts. „Es war Chaos, es war Stress, es war alles ohne Plan“, sagt Heins. Dennoch war er auch erleichtert: „Ich habe mich gefreut, dass ein Lichtblick zu sehen ist“, sagt Heins.
Die Arbeitsgrundlage in der Tanzschule ist nun die Schleswig-Holsteinische Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2, die am 18.05.2020 in Kraft trat. In ihr wird als Voraussetzung für eine Öffnung der Tanzschule ein schlüssiges Hygienekonzept genannt. Heins erzählt, er sei zunächst skeptisch gewesen, wie sie die Auflagen umsetzen können. Neben einer begrenzten Teilnehmeranzahl und der Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern waren noch zahlreiche weitere Maßnahmen notwendig. Mit diesem Hygienekonzept tanzen die Kund*innen bis heute.
Tanzen auf sechs Quadratmetern

Doch wie sieht das in einer Tanzschule konkret aus? „Es gibt für jeden der drei Säle einen eigenen Ein- und Ausgang, sodass nur die Menschen aus einem Saal zueinander Kontakt haben können“, berichtet Heins. Auf dem Boden seien in jedem Saal Rechtecke abgeklebt, die eine 6 Quadratmeter Tanzfläche pro Paar ergeben. Zwischen diesen Rechtecken seien 1,5 Meter Abstand, sodass die einzelnen Paare nicht miteinander in Kontakt kommen können. Heins erzählt, dass das Mobiliar, welches angefasst wird, sofort desinfiziert wird. „Wir mussten schnell Desinfektionsspender organisiert bekommen, was zu der Zeit katastrophal war“, sagt Heins.

Der Getränkeverkauf an der Bar ist für die Tanzschule eine wichtige Einnahmequelle und wurde durch die Maßnahmen ebenfalls verändert. „Wir verkaufen Getränke jetzt nur noch aus Flaschen und bringen sie den Kunden an den Tisch“, so Heins. Die Mitarbeiter*innen müssen vor der ersten Berührung mit einem Getränk bis nach dem Austeilen des letzten Getränks einen Mund- und Nasenschutz sowie Handschuhe tragen.
Tanzen mit Mundschutz?
Der Ablauf für die Kund*innen ändert sich schon vor dem Tanzkurs. Sie müssen sich zu jedem Kurs online anmelden. Die Kund*innen geben ihre Mitgliedsnummer, über welche Namen und Kontaktdaten gespeichert sind, den Kurs und ihren Tanzpartner an. „Die Kontaktdaten müssen wir für 6 Wochen aufbewahren. Für den Fall, dass etwas wäre, müssten wir sie ans Gesundheitsamt übermitteln können“, erklärt der Tanzlehrer.

Die Kund*innen müssen keine Maske tragen und warten vor Kursbeginn außerhalb der Tanzschule vor einem zugewiesenen Eingang. Die Mitarbeiter*innen tragen beim Einlass der Tanzschüler*innen wie bei der Getränkeabfrage und -verteilung einen Mund-Nasenschutz. Basishygiene wie regelmäßiges Händewaschen und Händedesinfizieren sei immer einzuhalten, sagt Heins.
Über die Kurse sagt er: „Die Unterrichtszeit hat sich verändert. Wir hatten normalerweise 90 Minuten, davon waren in der Mitte 15 Minuten Pause. Jetzt haben wir 70 Minuten Unterricht ohne Pause.“ Zwischen den einzelnen Kursen würden die Säle 20 Minuten lang gelüftet. Außerdem könnten die Tanzlehrer*innen und die Tanzassistenz aktuell nicht mit den Kund*innen selbst tanzen, um Tanzschritte zu zeigen. Heins erklärt, dass es verschiedene Lerntypen beim Tanzen gibt: „Wenn wir jemanden haben, der durch das Fühlen lernt, hat er momentan ein Problem, denn er kann es nicht fühlen. Er kann es nur sehen.“
Blick nach vorn
Auf die Frage, was der 28-Jährige aus der Krisenzeit mitnähme, antwortet er: „Ich würde offener mit finanziellen Themen umgehen. Die meisten Kosten von Inhabern bleiben trotz der Schließung nämlich bestehen: die Miete, ein Kredit, Strom- und Wasserkosten oder auch das vorgestreckte Geld für die Mitarbeiter in Kurzarbeit.“ Deshalb sei für ihn ein offener und ehrlicher Kund*innenkontakt umso wichtiger. Denn eines müssten die diese in so einer Krise einfach verstehen:
„Ohne euch kann es uns nicht mehr geben.“
Disclaimer: Die Autorin ist Mitarbeiterin der Tanzschule „Isabel Edvardsson – Die Tanzschule am Schloss“