gefragt: „Der Schutz des Lebens hat einen hohen Stellenwert“

Trotz der Kontaktbeschränkungen gab es eine große Hilfsbereitschaft in den Gemeinden, erzählt Pröpstin Isa Lübbers. (Foto: Caniceus/Pixabay)

Die Corona-Krise hat die Kirchen in Deutschland vor große Herausforderungen gestellt, zugleich steigt die Zahl der Kirchenaustritte. Die Hamburger Pröpstin Isa Lübbers spricht im Interview darüber, wie sich der Kirchenalltag verändert hat und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt.

KOPFZEILE: Frau Lübbers, wie gehen die Gemeinden in Ihrer Propstei mit der Corona-Krise um?

Isa Lübbers: Da kann man zwei Reaktionen unterscheiden. Die erste Phase des Lockdowns war für alle Menschen sehr verstörend. Für die Kirchen war es schwierig, weil die Gemeinden von den Beziehungen und Begegnungen im Quartier leben. Das wurde plötzlich auf Null gefahren. Ganz besonders schwierig war das bei Bestattungen. Das Abschiednehmen im Rahmen einer Beerdigung ist ganz wichtig, um trauern zu können. Wenn plötzlich nur der allerengste Familienkreis teilnehmen darf, dann ist das außerordentlich schwer. Inzwischen hat sich die Situation weiter normalisiert, alle wissen damit umzugehen und die Lockerungen unter Hygienebedingungen zu nutzen.

Isa Lübbers ist eine von sieben Pröpst*innen – vergleichbar mit Regionalbischöf*innen – des evangelischen Kirchenkreises Hamburg-Ost. In ihrer Propstei Bramfeld-Volksdorf ist sie dabei für 14 Kirchengemeinden verantwortlich. Zugleich ist Lübbers Vorsitzende des Kirchenkreisrats Hamburg-Ost.

Foto: T.Krätzig/KK HH-Ost

Viele Menschen mussten zuhause bleiben, insbesondere wenn sie zu einer Risikogruppe gehören. Wie haben die Gemeinden den Kontakt mit den Menschen aufrechterhalten?

Es gab unterschiedliche Reaktionen der Kirchengemeinden. Es wurde viel telefoniert, gerade mit älteren Menschen. Manche Gemeinden haben Briefe geschrieben oder Predigten nach Hause geschickt. Es wurden aber auch Hilfsaktionen ins Leben gerufen. Wir haben Aufrufe gemacht, sodass jüngere Menschen sich bereitfanden, für Ältere einzukaufen. Da gab es eine enorm große Hilfsbereitschaft in den Gemeinden.

Wird sich langfristig etwas am Kirchenalltag verändern?

Wir haben einen großen Digitalisierungsschub gemacht. Es wurden Youtube-Kanäle von den Gemeinden eröffnet, wo wir Andachten und Musik eingestellt haben. Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker haben Online-Formate zum Musizieren entwickelt. Da sind ganz großartige Dinge entstanden: Konzerte in kleineren und größeren Formaten, zum Teil live vor Ort. Unser Kirchenkreis hat Videolizenzen eingekauft und zur Verfügung gestellt, sodass sie nicht nur ihre Gremien durchführen konnten, sondern auch mit Menschen in Kontakt kommen können. Das war für viele in den Gemeinden erst einmal ungewohnt, aber da hat sich ganz viel getan. Ich glaube, davon wird auch viel bleiben. Das wird den normalen Kontakt aber nicht ersetzen. In den Kirchengemeinden ist die Sehnsucht sich wiederzusehen groß.

Die ehemalige Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht, warf den Kirchen Versagen vor: Viele Menschen wären alleine gelassen worden, darunter ältere Menschen.

Ich empfinde das ein Stück weit als Kirchen-Bashing. Wir haben gerade die alten Menschen nicht alleine gelassen. Es war in der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass Seelsorger oft weiterhin in Altenheime gehen konnten und durften. Dass wir die Maßnahmen mitgemacht haben, finde ich vernünftig. Für uns hat der Schutz des Lebens einen hohen Stellenwert.

Nun haben die Kirchenaustritte in Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. Wie sollte die evangelische Kirche auf diese Entwicklung reagieren?

Ob wir gute oder schlechte Arbeit leisten: Die Austrittswelle können wir nicht verhindern. Das heißt aber nicht, dass wir tatenlos zusehen. Wir stellen uns auf eine Kirche mit deutlich weniger Mitgliedern und Ressourcen ein. Junge Berufseinsteiger sind besonders austrittswillig. Deshalb hat der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, vorgeschlagen, bei jungen Berufseinsteigern zu schauen, ob es für sie andere Möglichkeiten für eine kirchliche Mitgliedschaft geben kann. Wir sind natürlich offen für alle, die mitmachen wollen, auch wenn sie nicht zur Kirche gehören. Aber auf Dauer kommen wir in diesem System mit der Kirchensteuerfinanzierung an unsere Grenzen, wenn immer mehr Menschen austreten.

EKD-Vorsitzender Bedford-Strohm hat gegenüber der „Welt“ konkret vorgeschlagen, die Kirchensteuer für Berufseinsteiger*innen und Menschen mit niedrigem Einkommen zu senken. Außerdem soll die individuelle Lebenssituation stärker bei der Kirchensteuer berücksichtigt werden.

Könnte diese Krise für die Kirche eine Chance sein, Menschen wieder stärker von sich zu überzeugen?

Ich glaube nicht, dass alle Menschen in Krisen plötzlich wieder gläubiger werden. Ich denke die Fragen, die die Menschen haben, werden deutlicher. Das ist eine Herausforderung an die Kirche, deutlich zu machen, dass wir eine Expertise haben, über Sinnfragen und Krisen im Leben sprechen zu können. Wir können uns mit Menschen auf den Weg machen, um darüber nachzudenken, was der Sinn des Lebens ist und was uns eigentlich im Leben trägt. Ob die Menschen dann die Kirche als den Partner ansehen, bei dem sie das suchen, weiß ich nicht. Da ist eine Chance, aber die Leute müssen auch bereit sein diese Chance zu ergreifen.