Studierende fordern Öffnung der Hamburger Hochschulen

Bei der Kundgebung am Gänsemarkt: Studierende fordern Präsenzlehre (Foto: Christine Leitner)

Auch im Wintersemester soll es in Hamburg mit der digitalen Lehre weitergehen. Diese Entscheidung kommt nicht bei allen Studierenden gut an. Mit einer Petition wollen sie auf ihre finanziellen Nöte aufmerksam machen und fordern die Öffnung der Universitäten.

Studierende verschiedener Hamburger Hochschulen protestierten am Mittwoch gegen das bevorstehende Wintersemester, das wegen der noch andauernden Corona-Pandemie wieder überwiegend digital stattfinden soll. Sie fürchten weitere Einschränkungen in Forschung und Lehre und eine Verschärfung ihrer eigenen sozio-ökonomischen Situation. „Wissenschaftliche Erkenntnis braucht kritische, persönliche Auseinandersetzung und Bezugnahme. Das gelingt am besten in Präsenz“, heißt es in der Pressemitteilung des Fachschaftsrats (FSR) Sozialökonomie.

Mit der Kundgebung machten Studierende der Fachschaftsräte Erziehungswissenschaft, Gewerbelehramt, Holzwirtschaft, Lehramt, Sozialökonomie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg (UHH) sowie der FSR Soziale Arbeit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und das Referat für internationale Studierende des ASTA der UHH auch auf die prekäre Lebenssituation vieler Kommiliton*innen aufmerksam. Begleitet wurde die Kundgebung von Redebeiträgen Studierender unterschiedlicher Fakultäten. Damit verbunden waren vier Forderungen an den Hamburger Senat und die Hochschulen.

Universitäten sind in Krisenzeiten wichtiger denn je

Bereits Ende Mai hatte der FSR Erziehungswissenschaften mit einer kleinen Kundgebung auf dem Campus der UHH auf die Verhältnisse des digitalen Sommersemesters aufmerksam gemacht. „Es wird versucht, das letzte Semester durch die ganzen Prüfungen und vielen Abgaben als normal darzustellen, was es auf keinen Fall war“ sagt Mitstreiter Alexander Henzler. Durch die online stattfindenden Kurse hätten sich viele Studierende sozial isoliert und mit ihren Problemen allein gelassen gefühlt. Der Campus sei für viele ein Ort, um soziale Kontakte zu pflegen und aktuelle gesellschaftliche Probleme zu diskutieren. „Jetzt sollen wir wieder allein zuhause sitzen und Netflix-Kurse durchlaufen. Das führt auch häufig dazu, dass man sich selbst dafür verantwortlich macht, wenn man mit der Technik und dem Druck nicht zurechtkommt“, kritisiert er.

Zudem trüge die Universität eine große Verantwortung bei der Diskussion und Lösung gesellschaftlicher Probleme. „Es ist absurd darüber zu sprechen, ob Saunen geöffnet werden sollten und die Unis als Letztes zum Zuge kommen, obwohl sie so bedeutend sind – gerade auch für die Lösung der Krise“, sagt Helen Vogel, ebenfalls Mitstreiterin der Kampagne. Gemeinsam mit einer Gruppe Kommiliton*innen fordert sie die Hochschulen und den Senat dazu auf, die Universitäten mit Mensen und Bibliotheken wieder zu öffnen und Unterricht in Präsenz anzubieten.

Zwar sei klar, dass Vorlesungen für Massenstudiengänge mit hunderten Studierenden weiterhin digital stattfinden müssten. Allerdings seien Veranstaltungen im kleinen Rahmen von bis zu 20 Studierenden durchaus möglich. „Es geht darum, dass wir Räume haben, in denen Bildungsprozesse in einem verantwortungsbewussten Umgang miteinander möglich sind“, formuliert Helen die zentrale Forderung.

Monatliche Finanzspritze von 900 Euro

Neben der Präsenzlehre sowie der Öffnung der Mensen und Bibliotheken betonten die Studierenden auch ihre soziale Situation. Wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe unter Berufung auf eine Studie des Personaldienstleistes Zenjob berichteten, haben 40 Prozent der Studierenden durch die Corona-Pandemie ihren Studierendenjob verloren. Den Ergebnissen zufolge waren 22 Prozent von ihnen gezwungen, sich Geld zu leihen, um Mieten und Rechnungen zu begleichen.

„Die Hochschulen werden mit ihrer Arbeit für eine zivile, soziale, demokratische, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft jetzt erst recht gebraucht.“ (Foto: Christine Leitner)

Auf der Kundgebung forderten sie deshalb von der Regierung einen monatlichen Vollzuschuss von 900 Euro pro Studierendem. Das ist der Betrag, der laut Studierendenwerk in Hamburg für Lebenshaltungskosten zusammenkommt. „Viele stolpern zunächst über den Betrag, denn die meisten sind meilenweit davon entfernt“, sagt Helen. Die staatlichen Corona-Hilfen nützten vielen wenig. „Ich kenne eine Menge Kommiliton*innen, die ihren Job verloren haben und nicht wissen, wie sie weitermachen sollen“, schildert sie.

Um ihre Anliegen zu unterstützen, haben die Fachschaftsräte eine Petition gestartet. Fünf bis sechs Wochen hätten sie am Campus Unterschriften gesammelt, erzählt Helen. Sie wurden am Mittwoch symbolisch an den Hamburger Senat übergeben. Wegen des weitestgehend geschlossenen Uni-Geländes sowie der Semesterferien sei es allerdings schwer gewesen, die Studierenden zu erreichen. Die Kundgebung habe die Kampagne auch bei den Kommiliton*innen bekannter machen sollen.

Symbolische Übergabe der gesammelten Unterschriften an Jon Mendrala, Vertreter des Wissenschaftsenats (Foto: Christine Leitner)

Hochschulen planen ein Hybrid-Semester

Inwiefern sich die Forderungen durchsetzen lassen, bleibt fraglich. Immerhin: Mensen und Bibliotheken der UHH sind unter bestimmten Auflagen und in festgelegten Zeiträumen seit Ende Juli wieder zugänglich und auch Seminare mit Präsenz soll es geben. Außerdem hat die Universität die Restriktionen für die Regelstudienzeit gelockert.

Zum Ruf nach Präsenzlehre heißt es aus der Pressestelle der UHH: „Den Lehrenden wird ausdrücklich empfohlen, Seminare in Präsenz abzuhalten.“ Diese müssten zwar angemeldet werden, hätten aber gegenüber den Vorlesungen Vorrang. Allerdings könnten die Professor*innen und Dozent*innen individuell entscheiden, ob ihre Veranstaltungen digital stattfinden. Statt rein digitaler Lehre steht vielen Studierenden also ein Hybrid-Semester bevor.

Auch die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung und Bildung (BWFGB) äußerte sich dazu: „Wenn das Infektionsgeschehen dies erfordert, muss unter Umständen ein höherer digitaler Lernanteil erbracht werden. Hierzu stimmen wir uns aber auch länderübergreifend mit der Kultusministerkonferenz unter Berücksichtigung individueller örtlicher Bedürfnisse laufend ab.“ Die wissenschaftliche Lehre und Forschung sieht die BWFGB allerdings nicht gefährdet.