gefragt: Sexarbeit in Zeiten von Corona

Sexarbeiterin Josefa Nereus. Foto: Lucas Wahl / Kollektiv25 ©

Seit dem Beginn der Corona-Krise gilt in Deutschland ein Arbeitsverbot für die Branche der sexuellen Dienstleistungen. In einem Interview erzählt Prostituierte Josefa Nereus, wie die Branche aktuell versucht, die Krise zu überstehen und mit der Stigmatisierung durch die Gesetzgebung kämpft.

KOPFZEILE: In Hamburg fand am 2. Juni eine Demonstration der Sexarbeiter*innen gegen das Sexkaufverbot statt. Ein Monat später, am 11. Juli wurde auf der Reeperbahn wieder protestiert. Die Bundestagsabgeordneten von Union und SPD fordern erneut, dass Sexarbeit nach der Pandemie weiterhin verboten bleiben soll. Josefa, was hältst Du davon?

Ich finde es absolut unsolidarisch und völlig undemokratisch. Von den Mitgliedern des deutschen Staatsapparates habe ich wirklich etwas anderes erwartet. Diese einschränkenden Verordnungen waren und sind dafür da, die Corona-Krise zu managen. Einfach nur zu sagen „aus solchen Verordnungen wollen wir jetzt ein Gesetz machen”, widerspricht allem, was in unserer Verfassung steht.

Das Prostituiertenschutzgesetz existiert in Deutschland seit 2017. Wie hat sich die Sexarbeit seitdem verändert? Haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert?

Dieses Gesetz ist sehr fern von unserer Arbeitsrealität. Man hat schon am Anfang gesehen, wohin das führt. Während des Lockdowns hat zum Beispiel das Übernachtungsverbot in den Bordellen dazu geführt, dass viele Sexarbeiter*innen obdachlos geworden sind.

Empfindest Du das Prostituiertenschutzgesetz als stigmatisierend?

Ja, zum Beispiel durch die Ausweispflicht, auch Hurenpass genannt, und das damit erzeugte Bild, dass Sexarbeiter*innen ja eigentlich registriert sein müssen, weil sie sonst keine Steuern zahlen. Oder dieses Narrativ von Frauen, die sich nicht wehren können oder das Stereotyp der  unbeholfenen Ausländer*innen, die man unbedingt retten muss. Das Gesetz ist auch deswegen stigmatisierend, weil es nicht mal in Betracht gezogen wird, dass unsere Kund*innen weiblich sein können. Es wird wieder deutlich, was für eine Moralvorstellung dahinter steht: Das Gesetz, das uns eigentlich schützen sollte, drängt uns alle nur in die typisch klischeebehafteten Geschlechterrollen.

Inwiefern?

Frauen sind demnach Opfer, Männer die Täter. Mit solchen Plattitüden kann man nichts erreichen, besonders wenn man bestimmte Gruppen komplett ausschließt, zum Beispiel die Trans-Personen. Das wird nicht nach außen abgebildet, weil es das Narrativ komplett ändern würde. Man würde beispielsweise feststellen, dass nicht alle Freier alte eklige Männer sind. Dieses Narrativ ist in dem Gesetz weiterhin enthalten, deswegen kommen da die Männer und Trans-Personen gar nicht vor. Es geht in diesem Narrativ auch immer um die Rumäninnen oder Bulgarinnen, man wird auch als Ausländer*in stigmatisiert. Diese Stereotypisierung nimmt manchmal schon sehr abartige Züge an. Wir reden nie über Engländerinnen oder über die deutschen Frauen, die nach Schweden gehen, um dort mehr Geld zu verdienen. Mir fällt immer wieder auf, dass es genau das Bild ist, das die AfD vertritt. Es ist ein extrem konservatives Bild, das generationsübergreifend reproduziert wird.

Was würdest Du ändern?

Ich würde tatsächlich an dieser Stelle nicht nur vom Prostituiertenschutzgesetz sprechen, sondern auch von vielen anderen Sonderverordnungen, wie zum Beispiel Sperrbezirksverordnungen, die die Prostitution in breiten Teilen Deutschlands kategorisch verbieten. Es ist bei Weitem nicht so, dass jeder jederzeit überall anschaffen darf – ganz im Gegenteil. Diese ganze Gesetzgebung ist diskriminierend. Der Hurenausweis ist vergleichbar mit den Rosa-Listen, die während der NS-Zeiten dazu geführt haben, dass Homosexuelle deportiert und ermordet wurden. Diese Registrierung des sexuellen Verhaltens ist einfach nur Unsinn. Das wird immer wieder missbraucht und liefert gar keinen Schutz, das hat die Geschichte oft genug gezeigt. Wir sehen auch in der Statistik, dass sich ungefähr 33 000 Personen in Deutschland angemeldet haben, aber das stimmt nicht mit den Zahlen überein, wie viele Menschen tatsächlich in dieser Branche arbeiten. Man sollte bei der Gesetzentwicklung die ganzen Verbände, die AIDS Hilfe, die Gesundheitsämter, die Diakonie und die selbstorganisierten Organisationen mit ins Boot holen und ihnen zuhören. Man sollte mit uns einen Kompromiss finden.

Wie kann man dazu beitragen, dass Sexarbeit weniger stigmatisiert wird?

Mit uns reden! Sich ein bisschen reinlesen, sich mit den aktiven Sexarbeiter*innen unterhalten und nicht mit denen, die vor 20 Jahren mal so etwas gemacht haben. Es gibt unter uns Menschen, die gute Arbeitsbedingungen haben und gerne davon erzählen würden. Wir wollen, dass sich das Wissen darüber, wie gute Arbeitsbedingungen für uns aussehen, verbreitet. Wir arbeiten auch daran, aber Politiker*innen machen es immer wieder kaputt. Es sollte im Sinne dieser Menschen sein, unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern und nicht dafür zu sorgen, dass man uns weiterhin verbluten lässt.

Seit 2017 hat Josefa einen YouTube-Kanal. Mit diesem Videoblog versucht sie, Informationen über Sex und Sexwork für alle Menschen leicht verständlich und gut zugänglich zu machen.

In einem Interview in dem Missy Magazin hast Du die verpflichtende Gesundheitsberatung für Sexarbeiter*innen kritisiert. Kannst Du nochmal erklären, warum?

Prinzipiell habe ich nichts gegen Aufklärung. Aber die verpflichtenden Gesundheitsberatungen finde ich irreführend, weil dabei keine branchenrelevanten Informationen weitergegeben werden. Es wird nicht darüber gesprochen, wie man eine sexuelle Dienstleistung sicher anbieten kann, was gute und schlechte Arbeitsbedingungen sind. Für die Branche würde ich mir eher etwas wünschen, das anonym und kostenfrei ist, weil es viel besser aufgenommen werden würde. Und wenn wir da schon antanzen müssen, dann muss das auch einen Mehrwert für uns haben. Am besten sollte man auch gewährleisten, dass die Informationen in verschiedenen Sprachen zugänglich sind. Bis jetzt ist es daran oft gescheitert.

Wäre es sinnvoll,  die Frauen bei diesen Beratungen auf Corona zu testen?

Um auf Corona zu testen, muss man einen körperlichen Eingriff vornehmen und da bin ich absolut dagegen. Damit öffnen wir verpflichtenden gynäkologischen Untersuchungen Tür und Tor. Das ist wie früher, als man in Deutschland noch den Bockschein hatte – in Österreich gibt es solche monatlichen Untersuchungen immer noch. Das alles führt nur zur Stigmatisierung. Ich würde jetzt auch nicht verstehen, warum ausgerechnet wir als Sexarbeiter*innen so etwas machen müssen. Frisör*innen, Lebensmittelverarbeiter*innen und Pfarrer müssen diese Maßnahmen nicht ergreifen. 

Der Bundesverband für Sexarbeit hat wegen des Corona-bedingten Arbeitsverbots ein Hygiene-Konzept entwickelt. Es verbietet Orlaverkehr und sieht eine unterarmlänge Abstand zwischen den Köpfen vor. Zudem ist der Mund-Nasen-Schutz verpflichtend. Bei der Sexarbeit geht es aber nicht nur um die Befriedigung von physischen Bedürfnissen – viele Menschen brauchen einfach nur Berührungen, suchen nach der körperlichen Nähe, die sie sonst nirgends bekommen. Kannst Du Dir Sexarbeit unter diesen Bedingungen überhaupt vorstellen?

Es geht bei diesem Konzept um eine Übergangsphase und es wird die Sexarbeit für eine Weile massiv verändern. Doch der Grund für die Erarbeitung dieses Konzepts ist, dass man uns überhaupt zurück zum Arbeiten bringt. Wir können seit Monaten kein Einkommen mehr generieren. Es ist nicht so, dass wir ganz einfach auf Online oder Video umsteigen können. Es geht einfach darum, dass wir wieder arbeiten wollen und der Staat lässt uns im Stich. Anstatt zu fordern, dass wir irgendwie noch Unterstützung bekommen, fordert man, dass Prostitution jetzt komplett verboten wird. Klar können wir unseren Kunden mit diesem Konzept nicht mehr so viel geben und wir können auch nicht so arbeiten, wie wir es gerne hätten. Aber ein bisschen Arbeit ist besser als gar keine Arbeit, genau so wie etwas Aufmerksamkeit und Berührung für die Kund*innen besser ist als gar nichts. 

Auf Deiner Webseite steht, dass Du inzwischen Fetischpornos drehst, um ein bisschen Geld zu verdienen. Versuchen viele von Deinen Kolleg*innen aktuell auf ein anderes Geschäft umzusteigen, um überhaupt weiter arbeiten zu können?

Es ist sehr unterschiedlich. Es gibt einige, die tatsächlich in Richtung CamSex gehen, manche gehen in den Porno-Bereich. Viele versuchen, eine Alternative zur Prostitution zu finden. Allerdings ist es nicht so einfach, sich in solch einem neuen Markt einzuarbeiten: Dafür muss eine Infrastruktur geschafften werden, man muss sich reinfuchsen und die Konkurrenz analysieren, weil es ja schon vor der Corona-Pandemie Menschen gab, die diese Sachen gemacht haben. Auf der anderen Seite gibt es das finanzielle Problem. Nur sehr wenige Bundesländer, darunter zum Glück auch Hamburg, geben jedem Selbstständigen, der einen deutschen Pass und eine deutsche Steuernummer hat, 2.500 Euro als Soforthilfe. Aber diese Voraussetzungen sind an sich schon eine sehr große Einschränkung. Man hat leider nicht mitbedacht, dass es Branchen gibt, in denen die Menschen ein Startkapital brauchen, um etwas Neues zu schaffen. Diese Soforthilfen beziehen sich auf die Betriebskosten, die die selbstständige Tätigkeit verursacht. Davon kann man keine Miete oder Essen bezahlen, wohl aber die Miete für die Betriebsräumlichkeiten. Das bringt einem*r Sexworker*in in der Krisenzeit auch nicht viel. 

Bist Du weiter mit Deinen Stammkund*innen im Kontakt?

 Ja, sie haben natürlich Verständnis dafür, dass ich aufgrund der aktuellen Corona-Situation nicht arbeiten kann. Ihnen geht es gerade eher darum, wie es mir als Person geht. Sie versuchen auf diese Weise, einen Ersatz für die sexuelle Nähe zu finden. Bei der Sexarbeit geht es nicht nur darum, reinstecken und abspritzen, sondern auch gesehen zu werden, sich mit jemandem zu unterhalten. Wir vergessen immer, wie viele Menschen einsam sind und schon vor Corona kaum Kontakt zu anderen Menschen hatten, geschweige denn körperlichen Kontakt.