In der Corona-Pandemie sind Podcasts zum Format der Stunde geworden. Die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse liegt im Trend – der NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ mit dem Virologen Christian Drosten gilt als einer der erfolgreichsten. Jetzt wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Moderatorin Korinna Hennig über Wissenshäppchen und feierliche Beerdigungen.
KOPFZEILE: Frau Hennig, ist Ihr Beruf als Wissenschaftsjournalistin derzeit Fluch oder Segen?
Korinna Hennig: Ein Segen! Das Interesse an Wissenschaft ist selten so groß. Am Drosten-Podcast sehen wir, dass die Leute nicht vor komplizierten Zusammenhängen zurückschrecken: Über 80 Prozent hören bis zum Ende durch, zumindest deuten einige Zahlen das an. Das beweist, wie wichtig wissenschaftliche Themen für unsere Gesellschaft sind. Ich habe das Gefühl, wir tun gerade etwas sehr Wichtiges und das merkt man in der Wissenschaft – außer man beschäftigt sich mit dem Klimawandel – nicht jeden Tag.
Sind Podcasts die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus?
Das wäre ein bisschen verengt, gerade in den Zeitungen gibt es viele gute Beiträge. Allerdings ist die Schriftsprache komplizierter und zum Lesen braucht man Zeit. Beim Fernsehen braucht es ein langes Format, um wirklich Wissenschaft und nicht Wissenshäppchen zu vermitteln. Podcasts sind leichter zugänglich. Das erhöht die Bereitschaft, sich auf komplexe Themen einzulassen. Allerdings haben sie auch ihre Grenzen.
Zum Beispiel?
Dort, wo eine Grafik helfen könnte, um statistische Dinge zu erklären.
Wie hat sich Ihre Arbeit in diesem Jahr verändert?
Als Journalistin einer kleinen Wissenschaftsredaktion habe ich bisher meistens mitrecherchiert, Beiträge in Auftrag gegeben und abgekauft oder erklärende Gespräche im Programm geführt. Die vergangenen Monate habe ich mich nur noch mit dem Coronavirus beschäftigt und bringe das Thema jetzt selbst an die Hörer.

Wer hat mehr Arbeit mit dem Podcast, Christian Drosten oder Sie?
Christian Drosten wählt oft Studien selbst aus und erklärt die Sachverhalte, trotzdem muss ich mich vorbereiten, mich einlesen und Quellen suchen. Das erscheint in dieser Corona-Zeit einfach, aber gerade gibt es viele Studien, die noch nicht peer-reviewed sind, also noch nicht begutachtet wurden. So werden Themen auch für Wissenschaftsjournalisten zur Herausforderung. Meine Arbeitstage sind momentan – und das ist leider keine Übertreibung – 12 bis 14 Stunden lang.
Lohnt es sich?
Es gibt mehr positives Feedback als Kritik, das kennen wir so gar nicht. Normalerweise stehen Kritiker schnell auf der Matte. Gerade bedanken sich aber viele Leute bei uns. Zwar hat Christian Drosten nicht immer gute Nachrichten, aber trotzdem sagen viele Hörer, dass er sie beruhigt, weil er die Sachverhalte unaufgeregt und rational darstellt und offene Fragen klar benennt. Zu Beginn haben wir schon einmal darüber nachgedacht, öfter einen Gast einzuladen. Allerdings haben wir die Idee zunächst wieder verworfen, weil der Charme des Podcasts darin besteht, wie Christian Drosten die Dinge erklärt.
Kritik gibt es also nicht?
Es gibt die übliche Kritik, die ich aber nicht unbedingt als solche bezeichnen würde. Das sind Leute, die draufhauen, Christian Drosten verantwortlich machen und in ihren Mails erst einmal einen Kübel Dreck über uns auskippen. Manche Hörer*innen bemängeln, dass nur Christian Drostens Einschätzung im Podcast vorkommt. Dann frage auch ich mich, ob ich in der engen Zusammenarbeit genug journalistische Distanz wahre. Die Pandemie ist ein spezielles Thema, bei dem wir uns auf eine Seite begeben. Wir zweifeln nicht an, dass es dieses Virus gibt. Christian Drosten selbst thematisiert im Podcast immer wieder seine fachlichen Grenzen, und wir bestimmen beide die Themen, über die wir sprechenDeswegen finde ich, dass diese Distanz immer noch da ist.
Trotzdem sehen einige Drosten als Sündenbock für alles, was ihrer Meinung nach im Umgang mit der Krise falsch läuft. Er wird beschimpft und sogar bedroht. Das schreckt einige Expert*innen von Interviews ab. Wie erleben Sie das?
Ich höre das von Kollegen. Die Wissenschaftspressekonferenz hat dazu sogar einen offenen Brief verfasst. Abgesehen von den Drohungen hatten Wissenschaftler sicherlich schon vorher die Sorge, verkürzt dargestellt zu werden oder dass ihre Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen werden. Dann äußern sie sich lieber gar nicht. Im Podcast kürzen wir zwar auch, aber meistens aus Gründen der Verständlichkeit und um Redundanzen zu vermeiden. Als Journalist muss man hier sehr vorsichtig sein und sollte ja ohnehin nie von anderen abschreiben, ohne die Ursprungsquelle oder den Text gelesen zu haben.
Das gilt für alle Ressorts.
Eigentlich schon. Trotzdem werden Aussagen immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen. Im Wissenschaftsjournalismus ist das ein besonders gravierendes Problem. Der entscheidende Unterschied besteht immer noch darin, dass die Wissenschaft zunächst nur Informationen und keine Botschaften liefert. Die zu verkürzen ist problematischer als in anderen Bereichen, denn wenn man sie aus dem Kontext reißt, entsteht der Eindruck, als würde jemand eine Erkenntnis darstellen, die aber keine ist. In der Berichterstattung über Christian Drosten passiert das immer wieder. Er hält das aus, aber beklagt das im Podcast auch.
Hätte es einen Plan B für das „Coronavirus-Update“ gegeben, wenn Christian Drosten wegen der Bild-Affäre abgesprungen wäre?
Wahrscheinlich hätten wir über einen Ersatz nachgedacht, weil wir die Sache an sich so wichtig finden und weil der Podcast keine Personality-Show von Herrn Drosten ist. Allerdings hätten wir es vermutlich sehr schwer gehabt, weil wir im Publikum sehr viele Drosten-Fans haben, die uns wahrscheinlich abgesprungen wären. Spontan würden mir aber Virologinnen einfallen. Zum Beispiel Marylyn Addo aus Hamburg.
Der Podcast ist jetzt in der Sommerpause. Wie lange wird er danach noch zu hören sein?
Solange die Pandemie andauert, hängt es von Christian Drosten ab, ob wir weitermachen. Insgesamt liegen wir jetzt bei mehr als 55 Millionen Abrufen, aber natürlich sehen wir mittlerweile, dass die Leute auch wieder anderes im Kopf haben. Es lohnt sich zwar auch für 20.000 Zuhörer, aber spätestens wenn der Impfstoff da ist und wir uns alle in die Normalität zurückbegeben, werden wir den Podcast bestimmt feierlich beerdigen.