Vorlesungen gemütlich vom Bett aus verfolgen oder sich in den überfüllten Hörsaal quetschen? Vor einem Jahr wäre die Antwort noch eindeutig ausgefallen. Doch das Corona-Semester weckt eine tiefe Sehnsucht nach dem typischen Studentenleben und die Sorge, dass nichts mehr so wird wie früher.
Das Sommersemester ist letzte Woche zu Ende gegangen, vergangenen Montag begann die vorlesungsfreie Zeit. Normalerweise wäre jetzt in ganz Deutschland ein kollektives Aufatmen der Studierendenschaft zu hören. Endlich Sommer, endlich reisen, endlich entspannen – Hausarbeiten und Prüfungen hin oder her. Doch in diesem Jahr mag sich diese ausgelassene Stimmung nicht einstellen, dass kollektive Aufatmen hat sich in einem langanhaltenden Stillstand verloren. Das Coronavirus hat dem pulsierenden Campusleben die Luft abgeschnürt.
Wegen des Virus begann das Sommersemester 2020 zwei Wochen verspätet – ohne das altbekannte Gewusel auf der Suche nach dem richtigen Seminarraum, ohne überfüllte Hörsäle und Bibliotheksräume. Stattdessen häufte sich eine unüberschaubare Zahl an Einladungen zu digitalen Zoom-Meetings in den überquellenden Mailpostfächern und Lehrmaterialien wurden wie beim Geocatching auf verschiedenen Plattformen verteilt. Der Beginn des Semesters erinnerte an eine virtuelle Schnitzeljagd.
Es lebe das Campusleben!
Anfang Mai hat die KOPZEILE-Redaktion in einer Kurzumfrage Studierende verschiedener Universitäten zu ihren ersten Erfahrungen mit Online-Veranstaltungen und Distant learning befragt. Das Stimmungsbild fiel überraschend optimistisch aus, dennoch sprach aus allen Antworten der Wunsch, das Campusleben schnellstmöglich wieder aufleben zu lassen.
Tatsächlich fehlte die soziale Komponente am meisten. Während manch einer allein in seinem Studentenzimmer saß, konnten sich diejenigen glücklich schätzen, die in einer WG wohnten oder für dieses Semester wieder in das Elternhaus gezogen waren.
Doch selbst dort erinnerte das eigene Zimmer häufig an eine Isolierstation, denn der Arbeitsaufwand erschien in diesem Semester enorm. Corona verwandelte das Lernen im studentischen Homeoffice schnell in einen hektischen, aber einsamen Trott. MS Teams, OpenOlat, LectureToGo und Co. ersetzten mit der Zeit die besten Unifreunde. Aufstehen – essen – Schreibtisch – essen – schlafen: Aus der anfänglichen Schnitzeljagd wurde eine gewissenhafte Routine.
Startschuss für den digitalen Lerneffekt
Doch auch wenn das analoge Campusleben in eine Art Dornröschenschlaf verfallen ist, so war dieses Semester nicht verloren. Womöglich wird das Sommersemester 2020 sogar als eines der lehrreichsten der letzten Jahre in die Unigeschichte eingehen. In mancherlei Hinsicht erinnern die letzten Wochen an einen digitalen Crashkurs – der eigentlich längst überfällig gewesen wäre.
Auch in Sachen Eigenverantwortung haben einige dazugelernt. Plötzlich wird vielen die Bedeutung von Anwesenheitspflicht und stattfindenden Seminaren wieder bewusst. Studierende suchen vermehrt freiwillig, ja beinahe verzweifelt, den Kontakt zu Dozierenden und Professor*innen, wenn diese ihre Schützlinge in dem digitalen Chaos vergessen.
Und das Internet? Von dem dürften einige in nächster Zeit freiwillig Abstand nehmen. Womöglich hat sich der eine oder die andere sogar geschworen, nie wieder auch nur ein Seminar oder eine Vorlesung zu schwänzen, sollte das Campusleben irgendwann wieder seinen gewohnten Gang gehen.
Die schrittweise Öffnung der Universitätsbibliothek lässt auf eine Rückkehr ins gewohnte Studentenleben hoffen. Und trotzdem bleibt eine Frage in den kommenden 15 Wochen vorlesungsfreier Zeit bestehen: Quo vadis Campusleben?