Welcome to the Metaverse

Corona revolutioniert die Gaming-Szene (Foto: Soumil Kumar/Pexels)

Das Videospiel Fortnite nutzte die Lücke, die die geschlossenen Kulturinstitutionen hinterlassen haben, um sich vom Begriff des Spiels zu emanzipieren. Jetzt entwickelt es sich zu einem virtuellen Raum des Alltags.

Konzerte und Festivals wurden abgesagt, die Kinosäle zugesperrt und die Fußball-Bundesliga pausiert. Während Kinos langsam wieder unter strengen Auflagen öffnen und die Bundesliga bereits ihren diesjährigen Abschluss gefunden hat, bleiben Konzerthallen nach wie vor verschlossen, die Bühnen verwaist und die Fans und Besucher*innen zuhause in den eigenen vier Wänden.

Ambitionierte Versuche über ZOOM, Facebook oder andere digitale Plattformen alternative Konzepte aufzustellen, konnten zwar den tiefen Sturz für einige leicht abfedern, aber das Gefühl und auch die finanziellen Einnahmen eines konventionellen Konzertes kaum kompensieren.

Julia Staud, Mitbegründerin von Culture Quarantaine, einer zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen ins Leben gerufenen Online-Plattform zur Unterstützung der lokalen Kunst- und Kulturszene, sagte: „Auch wenn es in der Anfangsphase darum ging, den abgesagten Live-Events eine Bühne für die bereits vorbereiteten Kreationen zu bieten und durch Spenden den wegfallenden Einnahmequellen bei Konzerten ein wenig entgegenzuwirken, wurde uns bereits nach wenigen Wochen klar, dass der Bedarf für unsere Plattform weit darüber hinausgeht.”

Nachdem durch die Auftritte kaum Spenden im sogenannten “virtual hat” – also eine Art virtueller Spendenhut – gelandet sind, zeigten Umfragen unter Künstler*innen jedoch, dass die Teilnahme an den Events von Culture Quarantaine in erster Linie dadurch motiviert war, sichtbar zu bleiben und ein neues Publikum zu finden. Außerdem sei es laut Julia Staud für viele ein Gefühl der Selbstermächtigung, endlich wieder vor Publikum spielen zu können und neue kreative Formen ihrer Arbeit zu entwerfen, wenn dem beruflichen, kulturellen und persönlichen Alltag sonst nur die Macht- und Hilflosigkeit der Pandemie gegenüberstünde.

Der neue Place-to-be für Popkultur?

So wichtig diese neuen digitalen Plattformen vor allem für kleinere Künstler*innen sind, die sich nicht auf Tantiemen und weitere finanzielle Standbeine, wie beispielswiese dem Online-Verkauf von Merchandise, verlassen können, so wenig stellen diese Plattformen eine Bühne für internationale Stars dar. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich Fortnite, eines der erfolgreichsten und einflussreichsten Videospiele der Gegenwart, dazu entschied, ein Event der digitalen Superlative auf die Beine zu stellen.

Bereits im Februar des Vorjahres konnte das Team von Epic Games, dem Entwicklerstudio des Spiels, beim Konzert des US-DJs Marshmello Erfahrungen zu digitaler Kunst- und Kulturvermittlung sammeln. An fünf Terminen Ende April gab US-Rapper Travis Scott ein Konzert , das von 12 Millionen Spieler*innen live mitverfolgt wurde. Dass es sich dabei um eine überaus kluge und wohl auch wirksame Marketingstrategie handelt, tut dabei recht wenig zur Sache. Die Vereinnahmung des digitalen Raumes durch die popkulturelle Musik-Szene hat damit einen weiteren großen Schritt getan.

Ende Juni kam es bereits zum nächsten Akt auf der Kulturbühne Fortnite, als der DJ Diplo live im Spiel sein aktuelles Album präsentierte. Und das Entwicklerstudio Epic Games denkt auch gar nicht daran, sich dahingehend zurückzuhalten und auf die Musik-Szene zu beschränken.

Bereits im Dezember letzten Jahres bot Fortnite J.J. Abrams, unter anderem Regisseur der siebten und neunten Episode der Skywalker-Saga aus dem Star Wars Universum, eine Bühne, um einen Trailer zum damals kurz bevorstehenden letzten Film der Reihe zu zeigen –als exklusive Erstausstrahlung für Fortnite-Spieler*innen. Ende Mai kam es erneut zu einem Trailer-Reveal, dieses Mal zu Christopher Nolans neuem Film Tenet. Dies sollte jedoch nur der Auftakt sein zu einer neuen Kooperation.

Neben Konzerten fiel auch das Kinoerlebnis der Pandemie zum Opfer, was Epic Games mit seinem Spiel mit noch ungewissem Ausgang für sich zu nutzen versuchte, indem sie Kino- und Konzertbesuche virtuell zugänglich gemacht haben. Am 26. Juni nahmen Spieler*innen weltweit beim wohl ersten Versuch in dieser Größenordnung eines digitalen Kinobesuches teil und konnten abhängig vom jeweiligen Land entweder Batman Begins, Prestige oder Inception im Spiel sehen. Bei allen drei Filmen wurde von Christopher Nolan Regie geführt.

Der nächste Schritt in der Spieleentwicklung

Die üblichen Spielmechaniken des Battle-Royal Modus, bei dem sich 100 Spieler*innen solange gegenseitig bekämpfen und dadurch die Zahl der Konkurrent*innen reduzieren bis die alleinigen Sieger*innen feststehen, sind während dieser Events selbstverständlich deaktiviert, um andere Spieler*innen beim Konsum dieser kulturellen Angebote nicht zu beeinträchtigen.

Das Spiel selbst tritt dabei also in den Hintergrund und wird zu einem digitalen Raum, in dem sich Avatare treffen und austauschen können. Denn Fortnite zu spielen, bedeutet nicht zwangsläufig im Battle-Royal Modus mit 99 anderen Spieler*innen zu kämpfen. Das Spiel entwickelt sich viel mehr zu einem digitalen Hub, in dem einige eine Schnittstelle von der analogen zur digitalen Welt sehen. Die genannten Events spielten bei der Entwicklung dieser Schnittstelle zu einer Kulturinstitution der virtuellen Welt eine entscheidende Rolle.

Die Inszenierungen von Künstler*innen und das Zeigen von Kinofilmen erinnert dabei aber auch ein bisschen an das aus der Zeit gefallene Konzept des Fernsehens, wo selten das Gefühl von Konzerten oder Kino aufkommt. Denn während auf Streamingportalen aktuellere und vielfältigere Angebote jederzeit zu finden sind, ist das Kulturangebot bei Fortnite mit größerem Aufwand verbunden – sei es durch das Finden der jeweiligen Location im Spiel oder die Notwendigkeit zu einem gewissen Zeitpunkt an diesem Ort sein zu müssen. Aber die Spieler*innen scheinen dem Flair dieser Events zu erliegen und sich gern der Illusion hinzugeben, durch ihren Avatar das Gefühl eines Konzert- oder Kinobesuches wieder erleben zu können.

Snow Crash als Vorlage


Allerdings produziert die digitale Infrastruktur, die für die Konzerte und Kinobesuche im Spiel genutzt wird, eine Sphäre, die bei steter Weiterentwicklung ein virtuell geteilter Raum werden kann, der mehr darstellt als nur ein Videospiel. Es könnte ein Ort werden, an dem online gelernt, gearbeitet, die Freizeit verbracht wird – und letztlich auch Kultur in jeder bekannten oder noch unbekannten Form konsumiert werden kann.

Der 1992 erschienene Science-Fiction Roman Snow Crash skizzierte genau dieses Szenario und prägte in der Folge das Konzept des Metaverse. Seitdem immer häufiger reale Ereignisse wie Konzerte und Kinotrailer in den virtuellen Raum von Fortnite verlagert werden, nähert sich das Spiel dem theoretischen Konzept des Metaverse an.

Am 17. Juni startete Staffel 3 von Fortnite nach einer Serie von Events. Die inoffizielle Begrüßung lautete: Welcome to the Metaverse!