Die verschworene Minderheit

Aluhut tut selten gut – das unfreiwillige Symbol der Verschwörungsmystiker.

Unsere Aufmerksamkeit haben Menschen verdient, die wirklich unter der Corona-Krise leiden, und nicht paranoide Narzissten wie Ken Jebsen, Xavier Naidoo und Attila Hildmann. Ein Plädoyer gegen den medialen Voyeurismus.

„Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Kacke liegt.“ Wer hätte gedacht, dass diese Worte des verstorbenen Fußballprofis Rudi Assauer mal so zutreffend beschreiben werden, was in Deutschland momentan vor sich geht. Ein zweites Virus scheint das Land zu befallen: Verschwörungsmythen und diejenigen, die sie verbreiten, haben Konjunktur wie nie zuvor. 

Es ist vor allem der medialen Aufmerksamkeitsökonomie geschuldet, dass verwirrte Starköche und Soulsänger mit ihren abstrusen Botschaften nun im Mittelpunkt der Lockerungsdebatte stehen. Wieso schenken wir diesen „Theoretikern“ so viel Aufmerksamkeit? Es gab ihre „Theorien“ vor der Pandemie und es wird sie auch nach der Pandemie geben. Es wird auch immer Menschen geben, die hinter jeder Unerklärlichkeit eine „höhere Macht“ vermuten; die stets mit dem Finger auf andere Leute zeigen, am liebsten auf „die da oben“. Das ist alles nichts Neues. Neu ist lediglich das mediale Interesse, das Spinnern wie Attila Hildmann entgegengebracht wird. Er glaubt, dass Bill Gates das Coronavirus nutze, um die globale Bevölkerung auf weniger als 500 Millionen Menschen zu reduzieren und eine neue Weltordnung zu errichten. Alles klar. 

Es grenzt schon an Voyeurismus, wie in den täglichen Nachrichtensendungen dem nächstbesten Wirrkopf ein Mikrofon unter die Nase gehalten wird. Markus Feldenkirchen hat es im SPIEGEL sehr zutreffend beschrieben: „Nicht jeder, der laut brüllt und trotzig aufstampft, muss mit Aufmerksamkeit belohnt werden.“ Mittlerweile hat man fast den Eindruck, halb Deutschland vermute hinter dem Coronavirus eine unsichtbare Macht, ein allumfassendes System der globalen Elite, eine Weltverschwörung. In Wahrheit halten 70 Prozent der Menschen in Deutschland die Maßnahmen für angemessen. 9 Prozent wünschen sich sogar strengere Regeln. Die große Mehrheit hält sich an die Kontaktbeschränkungen und verweilt in den eigenen vier Wänden – leider lässt sich das im Fernsehen nicht so gut abbilden. Pöbelnde Widerständler, die vor dem Bundestag mit Pappschildern rumfuchteln und Journalisten angreifen, sind da schon spannender.

Ein Vakuum für einfache Wahrheiten

In der Corona-Krise gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Konsens, wie gefährlich das Virus tatsächlich ist und welche Maßnahmen angemessen oder überzogen sind. Hier entsteht also ein Vakuum für einfache Wahrheiten, die angeblich alles erklären können – ein gefundenes Fressen für Verschwörungsideologen. Es ist nicht überraschend, dass sich momentan Viele an jene einfachen Wahrheiten klammern. Allerdings sollte man diesen Effekt nicht noch verstärken, indem man Ken Jebsen, Xavier Naidoo & Co. so viel Raum im öffentlichen Rampenlicht gibt. Das gilt nicht nur für die Medien, sondern auch für ihr Publikum. Denn ohne Nachfrage gibt es auch kein Angebot. 

In Deutschland findet eine lebhafte Debatte statt, wie mit der Corona-Pandemie umgegangen werden sollte. Und das ist gut so. Es geht nicht darum, berechtigte Kritik an staatlichen Maßnahmen als plumpes Verschwörungsgehabe abzutun. Lasst uns doch lieber wieder denjenigen zuhören, die wirklich unter der Pandemie leiden: Krankenpfleger*innen, Kunstschaffende, Alleinerziehende und vor allem chronisch Kranke. Ihre Belange und auch ihre Kritik an den Einschränkungen sollten im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen – nicht die vom Narzissmus getriebenen Verschwörungsmystiker, die unsere Gesellschaft spalten wollen.