Danke, Deutschland #1

über die Vielfalt im Journalismus

Nobody is perfect. Auch Deutschland nicht. In der Kolumne „Danke, Deutschland“ schreibt unsere Redakteurin Anastasia über ihre geliebte Wahlheimat und die zahlreichen Fragen, die das Leben in Deutschland bei einer Person mit Migrationshintergrund aufwerfen kann.

Als eine ambitionierte angehende Journalistin, war ich am Anfang meines Werdegangs sehr vom deutschen Journalismus begeistert. In meinem Heimatland Russland wird dieser Beruf meistens nur mit Propaganda assoziiert und ist teilweise auch wirklich lebensgefährlich. Vor fünf  Jahren, als ich nach Berlin gezogen bin und die deutschen Medien in mein Leben traten, war ich von der Pressefreiheit fasziniert – es gibt Meinungsfreiheit, Vielfalt und sehr viele Ausdrucksmöglichkeiten, selbst für Minderheiten! Aber verzeiht mir meine kindliche Naivität – ich komme doch aus dem Osten, da kennt man so was gar nicht.

Die ernüchternde Realität hat mich erst Jahre später eingeholt, als ich meinen ganzen Mut zusammengenommenen und mich entschieden habe, dass ich jetzt ausreichend gut Deutsch sprechen und schreiben kann, um im journalistischen Bereich zu arbeiten. Wie sehr habe ich mich damals geirrt, dass es genug sei. Die Vielfalt im Journalismus, von der ich so geschwärmt habe, war im Grunde nichts anderes als eine Seifenblase, die zerplatzte, sobald ich sie berühren wollte. Ich war nicht schlecht, aber angeblich waren  für potenzielle Arbeitgeber*innen kleinere Fehler oder verwechselte Artikel eine riesige Hürde. Doch sobald es darum ging, einen Text mit Bezug auf mein Heimatland zu schreiben, waren solche Dinge plötzlich völlig egal – Hauptsache ich hatte spannende Ideen.

Damit meine Thesen nicht komplett unbegründet wirken, gucken wir uns am besten die Zahlen an. Laut dem statistischen Bundesamt hat jede vierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund, das entspricht etwa 20,8 Millionen Menschen. Im Idealfall sollte man einen ähnlichen prozentuellen Anteil auch in den Redaktionen sehen. So ist es aber nicht.

Die Debatte darüber, dass man mehr Stimmen von Menschen mit einem nicht-deutschen Hintergrund in den Medien braucht, existiert schon länger. Diskussionen und wissenschaftliche Arbeiten über strukturelle Probleme des Journalismus sind nicht neu, es gibt beispielsweise den Verein der neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM), der sich seit 2008 für die thematische und personelle Diversität in Medien einsetzt. Geändert hat sich seitdem leider nur sehr wenig – die Statistiken zeigen, dass lediglich knapp fünf Prozent der Journalist*innen einen Migrationshintergrund haben. Nach den Ergebnissen der letzten Studie hat der NdM erstmals Daten für die reichweitenstärksten 122 Medien vorgestellt. Daraus geht hervor, dass lediglich 6 Prozent der Chefredakteur*innen einen Migrationshintergrund haben. Die größten Einwanderer-Gruppen aus der Türkei, Polen und Russland sowie andere besonders von Rassismus und Diskriminierung betroffene Gruppen sind darunter nicht vertreten. Diese Thesen, dass die Diversität in den Redaktionen die Chance erhöht, ausgewogen zu berichten und die Demokratie zu fördern, bleiben nach wie vor nur eine theoretische Behauptung. 

Die meisten Chefredakteur*innen bewerten nach der Studie des NdM die Diversität in Redaktionen grundsätzlich positiv. Doch kaum jemand ist bereit, sich mehr dafür einzusetzen und die Quoten sind in dem Fall auch keine Lösung. Menschen mit Migrationshintergrund werden nur dann in den Redaktionen gebraucht, wenn man über ihr Heimatland berichten muss. Aber solange ich als Russin nur dafür da bin, Putin zu kritisieren, über die Tiefe der russischen Seele zu philosophieren und die Top-5 der russischen Wodkamarken aufzuschreiben, habe ich nicht das Gefühl, die Berichterstattung großartig zu bereichern. Versteht mich nicht falsch, das mache ich auch gerne, natürlich habe ich den Vorteil, die Sprache zu können und vielleicht habe ich sogar eine andere Sichtweise auf die Situation in Russland, als die Deutschen. Aber ich bin kein blasses Abbild meiner kulturellen Identität – ich bin ein Mensch.

Letztes Jahr bin ich auf das Buch „Eure Heimat ist unser Alptraum” gestoßen. Dieser Sammelband besteht aus 14 Essays über Alltagsrassismus und Diskriminierung von Autor*innen mit Migrationshintergrund. Fatma Aydemir beschreibt in ihrem Essay „Arbeit” genau das, was mir immer wieder durch den Kopf geht – ihren „German Dream“: den Deutschen ihre Arbeit wegzunehmen. Damit meint sie, dass man als eine Person mit Migrationshintergrund nicht immer die Jobs für Migrant*innen machen will: „Ich will nicht die Jobs, die für mich vorgesehen sind, sondern die, die sie für sich reservieren wollen“. Auch ich möchte nicht extra beweisen müssen, dass ich andere Sachen machen kann, außer über die Missstände in einem Heimatland „aus der Perspektive einer Russin” zu berichten. Liebe Redaktionen, ich will genau das gleiche Recht haben, ein Teil von euch zu werden. Ich möchte nicht meine Meinung sagen, nur weil ich dank meiner Kultur eine „ganz andere Sicht auf das Problem habe“. Ich will als Individuum angesehen werden, ohne dabei in eine Schublade voller Klischees und Vorurteile gesteckt zu werden. In einer Welt, in der Migrant*innen nur als Abbild ihrer kulturellen Identität wahrgenommen werden, ist auch die journalistische Vielfalt eine Utopie.

In diesem Sinne: Danke, Deutschland, dass du meine Träume so greifbar nah und gleichzeitig so herausfordernd fern machst.