Werden Innovationen wie regenerative Treibstoffe und effizientere Flugzeugantriebe ausreichen, um die Klimabelastung zu senken? Oder ist er bald aus, der Traum vom Fliegen?
Das Summen der Motoren – bei Reinhard Mey löste es einst grenzenlose Freiheitsgefühle aus, doch von sorgenloser Flugzeugromantik kann heute keine Rede mehr sein. Das schlechte Gewissen fliegt stets mit, die sogenannte Flugscham ist in aller Munde. Wer in Frankfurt abhebt und in Singapur landet, hat schon über drei Tonnen CO2 auf dem Gewissen – so sprengt man mal eben sein persönliches Klimabudget für ein ganzes Jahr. Denn laut Weltklimarat sollte eine Person jährlich nicht mehr als 2,3 Tonnen CO2 verursachen, damit die Klimaerwärmung noch auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Fliegen ist die mit Abstand klimaschädlichste Art zu reisen, trotzdem ist unsere globalisierte Welt ohne ständige Flugverbindungen nach New York, Tokio oder Moskau nicht mehr vorstellbar. Werden technologische Fortschritte ausreichen, um die Fliegerei mit der Ökologie zu versöhnen? Oder müssen wir bald auf die Freiheit über den Wolken verzichten?
Hamburg trägt bei dieser Frage große Verantwortung: Branchenriesen wie Airbus und Lufthansa Technik mit insgesamt 300 regionalen Zulieferern, Institutionen und Forschungszentren machen Hamburg weltweit zum drittgrößten Standort der zivilen Luftfahrtindustrie – neben Toulouse ist es der wichtigste Europas. Über 40.000 Menschen sind hier in der Flugzeugbranche beschäftigt. Lukas Kaestner von Hamburg Aviation, der Netzwerkorganisation für den Luftfahrtstandort Hamburg, blickt trotz aller Herausforderungen selbstbewusst in die Zukunft: „Wer, wenn nicht wir sollte die Klimafrage in der Branche angehen? Wir haben hier tolle Voraussetzungen.“ Kaestner denkt dabei vor allem an das Potenzial von regenerativen Treibstoffen. Der Einsatz von reinen Elektroantrieben bei Passagiermaschinen sei auf absehbare Zeit schlicht utopisch – selbst tonnenschwere Akkus könnten eine Boeing 747 nur für ein paar Minuten in der Luft halten. Daher setzt man in Hamburg auf die Verwendung von synthetischem Kerosin, auch in der Politik: Der Klimaplan, den der rot-grüne Senat im vergangenen Jahr vorgelegt hat, sieht vor, „dass in Hamburg Flugzeuge so bald wie möglich weitgehend mit nachhaltigem Treibstoff in Form von synthetischem Kerosin betankt werden.“
In Schleswig-Holstein soll bald regeneratives Kerosin produziert werden
In Heide, einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, arbeitet man momentan unter Leitung des Advanced Energy Systems Institute der Universität Bremen an der Umsetzung dieses ambitionierten Vorhabens. Hier soll bis 2021 eine Pilotanlage zur Herstellung von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff entstehen, Lufthansa hat im vergangenen Jahr bereits eine Absichtserklärung zur Abnahme des grünen Kerosins unterzeichnet. „Ziel des Projektes ist die Herstellung von regenerativem Kerosin durch die Nutzung von überschüssiger regional erzeugter Windenergie“, sagt Jürgen Wollschläger, Geschäftsführer der Raffinerie Heide GmbH. „Unser Standort ist perfekt für die Umwandlung von Strom in regenerativen Treibstoff geeignet.“ Die vielen Windräder an der Nordseeküste Deutschlands produzieren oft mehr Strom, als die Netze überhaupt aufnehmen können und dienen der Raffinerie daher als günstige Energiequelle. Das Herstellungsverfahren funktioniert im Prinzip wie ein Chemiebaukasten: Der Windstrom wird durch Wasser geleitet und spaltet so die H2O-Moleküle auf. Anschließend vermischt man den getrennten Wasserstoff mit Kohlenstoff, der beispielsweise als Abfallprodukt in Kohlekraftwerken entsteht oder sehr energieaufwendig aus der Umgebungsluft gefiltert werden kann. Bei der Vermischung bildet sich ein Synthesegas, das sich verflüssigen lässt – sogenanntes Kerosyn. Die enthaltenen Kohlenwasserstoffketten haben genug Energie, um sogar die „Königin der Lüfte“, die Airbus A380, abheben zu lassen – ohne technologische Aufrüstung der bestehenden Flugzeugflotten. Und der Clou: Bei der Verbrennung des synthetischen Treibstoffs gelangt nur so viel CO2 in die Atmosphäre, wie auch vorher für die Herstellung herausgezogen wurde. Deshalb fliegt eine Maschine mit Kerosyn CO2-neutral.
„Für mich sind synthetische Kraftstoffe kein Bestandteil des umweltschonenden und gesunden Fliegens“
Sebastian Altmann, Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung
Doch das Verfahren ist nicht unproblematisch: „Für mich sind synthetische Kraftstoffe kein Bestandteil des umweltschonenden und gesunden Fliegens“, kritisiert Sebastian Altmann vom Hamburger Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL). Der Flugzeugingenieur hat Bedenken, ob die angepriesene Treibstoffalternative auf Dauer wirklich so nachhaltig ist. Trotz der ausgeglichenen CO2-Bilanz entstehen bei der Verbrennung des Kerosyns giftige Stickoxide. Altmann vermutet hier Zündstoff für eine weitere Feinstaub-Debatte: „Jedem muss doch klar sein, dass das die nächste Sau ist, die durchs Dorf getrieben wird. Jetzt auf eine Technologie zu setzen, die dieses Stickoxid-Problem nicht angeht, ist aus meiner Sicht einfach zu kurz gedacht.“ Er hält die Verwendung von wasserstoffbetriebenen Elektroflugzeugen langfristig für vielversprechender: Bei dieser Technologie wird der Strom nicht in Batterien gespeichert, sondern an Bord durch Brennstoffzellen erzeugt. Dabei werden nur Wärme und Wasserdampf freigesetzt, keine Schadstoffe und kein CO2. Wasserstoffflugzeuge seien allerdings bisher nur im Kleinflugzeugsegment und Nahverkehr einsetzbar, entgegnet Lukas Kaestner von Hamburg Aviation. Das Problem: Auch im flüssigen Zustand ist das Volumen von Wasserstoff noch viermal größer als das von Kerosin. Im Langstreckenbereich werde man deshalb in den nächsten 30 Jahren nicht auf die hohe Energiedichte von Kerosin verzichten können. Kaestner hält die Verwendung von synthetischem Treibstoff für den richtigen Schritt, doch auch er äußert Bedenken: „Zum derzeitigen Rohölpreis zahle ich für synthetisches Kerosin ungefähr vier bis fünf Mal so viel, wie für fossiles Kerosin. Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist das bisher relativ unattraktiv“. Eine höhere Besteuerung von fossilen Treibstoffen könnte nachhaltige Alternativen attraktiver, und das Fliegen insgesamt teurer machen – die Kosten trüge der Verbraucher.
Der Rebound-Effekt
Momentan geht der Trend allerdings in die andere Richtung: Fliegen wird immer billiger und dementsprechend steigen die Passagierzahlen. Zwar werden die Maschinen fortlaufend effizienter, energiesparender und dadurch auch umweltfreundlicher. Doch ein Anstieg des gesamten Verkehrsaufkommens führt zu immer mehr Emissionen. Der Passagierwachstum macht so jegliche technologischen Fortschritte zunichte. Der internationale Branchenverband IATA, ein Zusammenschluss von rund 290 Fluggesellschaften aus 120 Ländern, schätzt, dass sich die Passagierzahlen bis 2040 weltweit mehr als verdoppeln werden – auf über acht Milliarden Flugreisende im Jahr. Forscher wie Dieter Scholz von der HAW Hamburg sprechen hier von einem typischen Rebound-Effekt – die Effizienzsteigerung wird durch den Gesamtanstieg des Energieverbrauchs komplett aufgehoben. Scholz ist daher im Hinblick auf umweltfreundliche Innovationen in der Luftfahrtindustrie eher desillusioniert: Man könne noch so sparsame Flugzeuge bauen oder regenerative Treibstoffe erfinden, wenn sich das Konsumverhalten der Verbraucher nicht ändere, dann helfe auch keine Effizienzsteigerung. Sein Vorschlag: ein Ökolabel für Flugzeuge, ähnlich wie man es bereits von Kühlschränken kennt. Der ehemalige Airbus-Ingenieur beklagt, dass die Reisenden im internationalen Flugverkehr nicht ausreichend über den jeweiligen Verbrauch und die exakten ökologischen Folgen eines Fluges Bescheid wüssten. „Mir geht es darum, den Verbraucher, der das Flugticket zum Schluss kauft, möglichst gut und objektiv zu informieren“, erklärt der HAW-Wissenschaftler. Von seinem Ökolabel verspricht er sich ein Umdenken beim Ticketkauf: Mehr Transparenz solle zu einer nachhaltigeren und umweltbewussteren Kaufentscheidung führen.
„Wir erleben einen Trend, dass Fliegen immer billiger und dadurch geradezu alltäglich wird. Diesen Trend muss man brechen“
Jürgen Oßenbrügge, Universität Hamburg
Der Wirtschaftsgeograph Jürgen Oßenbrügge von der Universität Hamburg hält ein solches Label für einen eher „symbolischen Akt, der strukturell eigentlich nichts verändert.“ Für ihn ist ein anderer Aspekt entscheidend: „Der Hauptpunkt sind die Preise für Flugzeugbenzin. Wenn die in die Höhe gehen, dann gibt es natürlich eine starke Nachfrage nach effizienteren Motoren oder auch anderen Flugzeugtypen.“ Oßenbrügge sieht hier die Politik in der Verantwortung: Kerosin müsse sehr viel höher besteuert werden, um das Fliegen auch insgesamt unattraktiver zu machen. „Wir erleben einen Trend, dass Fliegen immer billiger und dadurch geradezu alltäglich wird. Diesen Trend muss man brechen“, fordert Oßenbrügge und fügt hinzu: „Es muss wieder zur Ausnahme werden, wir müssen weg von diesen rasanten Wachstumsraten.“ Der Zeitpunkt für einen solchen Bruch sei aktuell recht günstig, der anhaltende politische Höhenflug der Grünen und die Jugendbewegung Fridays for Future würden der Debatte schließlich eine neue Dimension geben: Nie war der gesellschaftliche Druck auf Industrie und Politik so groß, in der Klimafrage Nägel mit Köpfen zu machen.
Jetzt ist die Politik gefordert
Die Arbeit des im Februar diesen Jahres wiedergewählten rot-grünen Senats wird für Hamburg richtungsweisend sein: Die Hansestadt habe jetzt die Chance, findet Oßenbrügge, in der Flugzeugbranche eine Vorreiterrolle für nachhaltige Luftfahrttechnik einzunehmen. Die Forschungszentren, das technische Know-How und auch die nötige Wirtschaftskraft seien vorhanden – schlussendlich sei die Politik gefordert, bei der Ökologisierung des Flugverkehrs für die notwendigen Rahmenbedingungen zu sorgen. Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) möchte Hamburg zur „Modellstadt für den Klimaschutz“ machen. Ob dies lediglich ein leeres Wahlkampfversprechen ist, oder eine ernsthafte Kehrtwende in der Hamburger Klimapolitik ankündigt, bleibt abzuwarten. Damit nachhaltige Flugzeugtreibstoffe auf dem Markt langfristig eine Chance haben, und nicht nur grünes Feigenblatt der Flugzeugindustrie bleiben, sollten jedenfalls die Steuern für fossiles Kerosin steigen. Dann läge es auch am Verbraucher, die höheren Kosten zu tragen – oder einfach gleich am Boden zu bleiben.