gefragt: Spiegel-Korrespondent in Istanbul

Seit 2016 lebt Maximilian Popp in Istanbul und berichtet für den SPIEGEL aus der Türkei (Foto: Severin Pehlke)

In der Türkei wird die Pressefreiheit mit Füßen getreten: Journalist*innen müssen ständig damit rechnen, ihren Job zu verlieren oder sogar hinter Gittern zu landen. Auslandskorrespondent Maximilian Popp glaubt trotzdem, in Istanbul seinen Traumberuf gefunden zu haben.

KOPFZEILE: Was ist die Aufgabe eines Auslandskorrespondenten? Wie verstehst du deine Arbeit?

Maximilian Popp: Man muss sich das so vorstellen: Wir Korrespondenten kommen in ein fremdes Land, wir versuchen es zu durchdringen, zu begreifen, es uns zu erarbeiten und es dann den Leserinnen und Lesern zu vermitteln und zu erklären – also zu übersetzen. Wir schreiben ja nicht für ein türkisches Publikum, sondern wir schreiben vor allem für ein Publikum im Ausland, in Deutschland. Insofern ist die Arbeit als Korrespondent immer auch die Arbeit eines Übersetzers. Wir versuchen den Dingen, die hier passieren, einen Sinn zu geben. Das ist immer auch eine Anmaßung, weil man ein Urteil über ein Land fällt, in dem man erst seit ein paar Jahren, manchmal nur ein paar Monaten lebt. Insofern bleibt das Bild auch immer ein Stück weit unvollständig.

KOPFZEILE: Wie sieht dein Alltag als Auslandskorrespondent aus?

Maximilian Popp: Es gibt hier sicherlich weniger Alltag, als es in der Redaktionszentrale der Fall wäre. Dort sind die Tage durch Konferenzen und dergleichen einfach viel strukturierter. Ein Großteil meiner Arbeit besteht wirklich darin, Informationen zusammenzutragen, zu recherchieren, mit Leuten zu sprechen, Eindrücke zu sammeln und verschiedene Perspektiven zu bekommen auf die Themen, die die Menschen hier bewegen, die in diesem Land gerade relevant sind. Und dann eben versuchen zu übersetzen und zu beschreiben, was hier in der Türkei gerade vor sich geht. Ich verbringe wenig Zeit am Schreibtisch. Stattdessen bewege ich mich sehr viel im Freien: auf der Straße, in Cafés, in Büros und Konferenzräumen oder sonst wo im Land. Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb wir hier sind: dass wir möglichst alles aufsaugen, was man so aufsaugen kann. 

Maximilian Popp absolvierte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und studierte Politikwissenschaft in Istanbul. Seit 2010 arbeitet er für den SPIEGEL, zunächst als Redakteur im Deutschlandressort in Dresden, Hamburg und Berlin, seit 2016 als Korrespondent in Istanbul. Seit April 2019 ist er stellvertretender Ressortleiter Ausland. Für seine Türkei- Berichterstattung wurde er mit dem Journalistenpreis der Südosteuropa-Gesellschaft ausgezeichnet.

Foto: Charlotte Schmitz

KOPFZEILE: Was liebst du am meisten an deinem Job hier? 

Maximilian Popp: Ich finde es einfach faszinierend: Journalismus ist ja ein unglaublich guter Vorwand, um einfach mit den verschiedensten Menschen in Kontakt zu kommen, um Einblicke in Parallelwelten zu bekommen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Wenn man ein bisschen neugierig ist, dann ist das schon ein sehr, sehr guter Job. Man trifft spannende Menschen, kommt auf neue Ideen, auf neue Gedanken und kann das dann aufschreiben und anderen mitteilen. Das macht schon viel Spaß. 

KOPFZEILE: Klingt, als wäre es dein Traumberuf, den du dir hier ermöglicht hast. Doch gerade in der Türkei hat man es als Journalist nicht immer leicht, oder?

Maximilian Popp: Die Rahmenbedingungen, unter denen man hier in der Türkei als Journalist arbeitet, sind natürlich anstrengend. Viele türkischen Kolleginnen und Kollegen leiden unter den Repressionen des Regimes. Das ist schon beunruhigend und da ist es auch schwer, nicht zynisch zu werden. Die Richtung, die dieses Land unter Erdoğan vor einiger Zeit eingeschlagen hat, ist einfach sehr bedenklich, viele Menschen leiden hier. Da ist es nicht immer ganz einfach, trotzdem weiterzumachen und hoffnungsvoll zu bleiben, wenn man eben mitverfolgen und beschreiben muss, wie ein Land Stück für Stück in eine Diktatur abgleitet. Das setzt einem schon zu.

KOPFZEILE: Du hast mal in einem Interview gesagt: “Ich habe nicht vor als Märtyrer im Knast zu landen”. Was meintest du damit?

Maximilian Popp: Ich glaube was ich damals gemeint habe, war dieses Spannungsfeld: Kritisch berichten in einem Land, das ganz sicher keine Demokratie mehr ist, das schon sehr viel mehr Diktatur als Demokratie ist. In dem mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis sitzen. Wie macht man das? Was für mich nicht geht, ist in irgendeiner Weise Kompromisse in der Berichterstattung einzugehen. Zum Beispiel, die türkische Regierung nicht für Dinge zu kritisieren, die kritikwürdig sind, weil ich die persönlichen Konsequenzen fürchten würde. Wäre das der Fall, dann müsste ich das Land verlassen und, wie es manche getan haben, aus dem Ausland über die Türkei berichten. Ich glaube nicht, dass es jetzt schon so weit ist, aber wir sind da auf relativ dünnem Eis unterwegs.

KOPFZEILE: Wie schaffst du es, eine Balance zu finden zwischen Selbstschutz und knallharter, kritischer Berichterstattung? Die ist bestimmt auch für dich mit gewissen Risiken verbunden.

Maximilian Popp: Keine Kompromisse zu machen bedeutet im Umkehrschluss nicht, es jetzt irgendwie darauf anzulegen. Es geht mir nicht darum, irgendwen zu provozieren. Es geht mir auch nicht darum, irgendjemanden schlecht zu machen, sondern ich versuche möglichst wahrhaftig über das zu berichten, was in der Türkei vor sich geht. Wenn es nun mal eine Regierung gibt, wie das Erdoğan-Regime, die systematisch Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit verletzt und abbaut und auslöscht, dann fände ich es einfach unverantwortlich, das nicht so auszusprechen und zu benennen. Gleichzeitig versuche ich natürlich auch die Perspektive der Regierung darzustellen. Das klappt nicht immer, weil die Bereitschaft, mit kritischen Medien zu sprechen, innerhalb der türkischen Regierung nicht so groß ist. Es ist ehrlicherweise gar nicht so fürchterlich kompliziert, diese Balance zu finden. Ich glaube, es geht gar nicht um Balance, ich glaube es geht darum, den Job hier jeden Tag so gut zu machen wie es geht, so wie ich ihn auch in Deutschland machen würde, und nicht darüber nachzudenken, was das für Konsequenzen haben könnte. Gleichzeitig aber wachsam zu sein und wenn es Anzeichen gibt, dass die Regierung beispielsweise gegen mich vorgehen würde, die Konsequenz zu ziehen und das Land zu verlassen.

KOPFZEILE: Steht man als Journalist*in in der Türkei immer entweder auf der Seite der Regierung oder mit einem Bein im Gefängnis?

Maximilian Popp: Es kommt leider dieser extremen Situation schon relativ nahe. Die Mehrheit der Medien ist gleichgeschaltet, das kann man nicht anders sagen. Die sind im Besitz von Freunden der Regierung. Dort findet man wenig Kritik, da findet man wenig objektive Berichterstattung. Es gibt ein paar verbliebene oppositionelle Medien, die sind aber natürlich massiv unter Druck. Mit einem Bein im Gefängnis – das ist natürlich sehr deutlich und hart ausgedrückt, aber nicht ganz falsch. Ich glaube, wer heute wirklich präzise und tiefergehend recherchiert zu kontroversen, heiklen Themen, wie Korruption oder die Kurdenfrage, der muss damit rechnen, dass es Konsequenzen gibt. Die Konsequenz ist leider eben oft, dass man die eigene Freiheit verliert. Insofern ist Deine Formulierung nicht falsch. 

KOPFZEILE: Was würdest du uns Nachwuchsjournalist*innen mit auf den Weg geben für unsere berufliche Zukunft?

Maximilian Popp: Journalismus lernt man, indem man als Journalist arbeitet. Das heißt, dass man eben so früh wie möglich, wo immer man kann, schreibt, sendet, in welcher Form auch immer, dass man Erfahrungen sammelt. Das muss nicht sofort bei ganz großen Medien sein, das kann genau so gut bei der Schülerzeitung, dem Studentenmagazin oder der Lokalzeitung sein. Sogar eher dort, weil man da eben mehr Freiräume hat, mehr Platz und Raum, um zu schreiben und als Journalist zu arbeiten. Ich glaube, das ist die absolute Grundvoraussetzung, alles andere kommt dann. Ich finde Journalismus ist eben in weiten Teilen Handwerk und dieses Handwerk lernt man, indem man es ausübt. Dazu kann ich nur jeden ermutigen, weil es ein fantastischer Job ist, nach wie vor. Die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt sind nicht mehr ganz so einfach, wie vielleicht vor 15 oder 20 Jahren. Aber trotzdem: Es gibt nach wie vor Jobs im Journalismus, und es ist der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Wenn man diesen Weg für sich wählt, dann kann ich darin nur jeden bestärken und eben raten, möglichst viel journalistisch zu arbeiten, wie und wo auch immer.

Das komplette Interview gibt es bei «KÖNIGSWEG» – der Podcast für alle Journalist*innen von morgen.