gefragt: Erste Erfahrungen mit dem Online-Semester

Distant Learning: Besuche in der Bib bleiben vorerst aus. Dafür findet nun der heimische Schreibtisch endlich Verwendung (Foto: Anastasia Klimovskaya)

Mit zwei Wochen Verspätung sind Deutschlands Universitäten ins Sommersemester gestartet. Doch nichts ist wie gehabt: Anstelle von Vorlesungen in überfüllten Hörsälen, reihen sich nun Zoom-Konferenzen aneinander. Studierende berichten, welche Hürden aber auch Freiheiten das neue Semester mit sich bringt.

„Mehrere Teilnehmer tippen …“

Marvin studiert Lehramt an der Leibniz-Universität in Hannover

Liebes Online-Semester, du bist jung, du bist unerfahren. Doch bisher läuft es technisch besser als erwartet. Trotzdem: Du untermalst umso mehr diese unpersönliche Komponente, die das Jahr 2020 prägt. Zumeist erklingt nur die Stimme des Dozenten aus den zweitklassigen Lautsprechern meines Laptops. Kommilitonen schalten sich nur selten in Tonformat ein. Bisherige Semesterbilanz: Die Webcam hatten wir einmal an – auf Wunsch der Dozentin. Wir kamen dem nach. Trotz abstehender Haare, trotz des Schlafshirts, das mal wieder gewaschen werden dürfte (hä, für wen denn?) und trotz der unheimlich frühen Uhrzeit an einem Freitagmorgen. Es war 10:15 Uhr. Es wurde Mimik überliefert. Wow! Und wir haben tatsächlich auch zusammen gelacht. Es ging um unsere Tanzerfahrung, die das Gros des Kurses höchstens in der Disco machte. Wir schwelgten in Erinnerungen und lachten darüber, dass wir in den Clubs von Hannover Bewegungen unter Alkoholeinfluss als Tanzen betitelten. Wie erfrischend. Trotzdem oder vielmehr deshalb wünschen wir uns das zurück. Das war die semantisch, romantische Ebene.

Jedenfalls: Von diesen Sitzungen gibt es nicht viele. Kommunikation hat sich verändert. Zwar müssen wir die Atemschutzmaske im Online-Meeting nicht tragen, aber irgendwie hat jeder buchstäblich die Hand vor dem Mund. Schriftsprache ist mehr denn je das Werkzeug – wir haben jahrelang mit WhatsApp trainiert. Der öffentliche Chat ist eines Studenten Freund und alle wichtigen Belange finden dort ihren Ort. Der Dozent stellt Fragen in die Runde und muss dann daran erinnern, dass eine Antwort im virtuellen Raum möglich ist. Erst dann erbarmen sich eine Handvoll Leute, dieser Idee nachzukommen. „Mehrere Teilnehmer tippen“, ist ein Satz, den ich wohl nie wieder vergessen werde. Manchmal reagieren gar so viele, dass der Lehrende die Studierenden einfangen muss. Überraschung: Eine Antwort reicht beinah immer. Das Corona-Semester ist anders. Nicht nur, weil wir online lernen, sondern weil diese Eigenverantwortung so gewachsen ist, dass sie den grauen Alltag, genährt von Isolation und „Aufstehen – Kaffee – Schreibtischstuhl“, zusätzlich müßig gestaltet. Dafür können die Universitäten nichts. Sie tun wirklich viel, um diese Situation zu bewältigen. Aber wir könnten vielleicht das Lernen lebhafter machen, denn das, was uns die aktuelle Situation streitig macht, holen wir uns in der virtuellen Realität auch nicht zurück. Damit sind nicht 600-Teilnehmer-Vorlesungen gemeint, vielmehr jegliche Seminare, die ihr Gesicht verloren haben. Im wahrsten Sinne. Wenn auch nur in 640 x 380 Pixel überwältigender Bildqualität und dem Sound einer Blechbüchse – wie könnten wir besser aus dem nötigen Abstand die meiste Nähe gewinnen?

„Dieser Kurs sollte mich auf ein Studium in Deutschland vorbereiten.“

Marie studiert an der LMU in München

Ich studiere im zweiten Semester am Studienkolleg München, das ist eine Einrichtung für ausländische Studierende, die als Vorbereitungskurs auf das Studium dient. Ich bin erst seit Oktober 2019 in Deutschland und dieser Studienvorbereitungskurs sollte mir die deutsche Kultur, Sprache und Bildung näher bringen – nun darf ich nur online lernen.

Das Lernangebot wurde jetzt auf eine selbstständige Prüfungsvorbereitung reduziert. Ich schätze es als ein sehr großes Problem für mich ein. Das Studium an dem Studienkolleg hatte für mich vor allem das Ziel, meine Sprachkompetenz zu verbessern. In der Quarantäne fehlt mir die Möglichkeit, meine mündliche Sprache zu verbessern, weil ich die Aufgaben nur schriftlich mache. Die Zoom-Konferenzen sind auch keine große Hilfe, es ist nur möglich, kurz Fragen zu stellen, ohne einen richtigen Dialog mit dem Dozenten und den Kommilitonen beginnen. Natürlich muss man bedenken, dass das Online-Studium für die Dozenten auch komplett neu ist. Aber kein ausführliches Feedback zu meiner Arbeit zu bekommen, enttäuscht und macht mich nervös, denn im Sommer habe ich meine Abschlussprüfungen, von deren Ergebnissen meine Zukunft in Deutschland abhängt. Dieser Kurs sollte mich auf ein Studium in Deutschland vorbereiten, jetzt bin ich aber nur noch verwirrt und weiß manchmal gar nicht, ob ich in meinem Selbststudium das Richtige mache.

„Einige Dozenten sind technik-affiner als andere.“

Bela studiert Medizin an der RWTH in Aachen

Unsere Universität hat es nach einer zweiwöchigen Orientierungsphase, in der nichts gelaufen ist, relativ zügig geschafft, die digitalen Angebote so auszubauen, dass Seminare und Vorlesungen vollständig online stattfinden können. Einige der Dozenten hatten am Anfang noch Schwierigkeiten mit der Technik, aber es hat soweit geklappt, und die meisten Veranstaltungen finden jetzt regelmäßig statt. Heute Abend soll ich eigentlich eine Vorlesung sehen, ich bin gespannt ob das funktioniert. Letzte Woche hat es nicht geklappt. Aber wenn man jetzt mal von kleineren Probleme in der ersten Sitzung absieht, läuft es ganz gut. Einige Dozenten sind technikaffiner als andere. Mir hat der Online-Semesterstart die Freiheit gegeben, dass ich in Hannover sein und im Behelfskrankenhaus arbeiten kann. Diese Freiheit hätte ich sonst nicht. Normalerweise würde ich jetzt in der Uni hocken. Aber momentan wird alles, was im Krankenhaus stattfindet, als Studienleistung anerkannt. Nächste Woche bin ich wieder in Aachen, aber im Moment erzeugt das digitale Semester eher Freiheit. Unterm Strich würde ich sagen, bin ich ganz gut in das Semester gestartet.

„Das Sozialleben ist sehr eingeschränkt, deswegen lässt auch die Motivation stark nach.“

Christina studiert Lehramt an der Universität Innsbruck

Dieses Semester habe ich mit meinem Master angefangen. Die erste Woche fand noch im Real Life statt, danach sind wir aber auf Distant Learning umgestiegen und es ist nicht leicht, die Inhalte nur virtuell zu erfassen. Es gibt viele Herausforderungen.

Das Unileben leidet sehr: Man sieht seine Kommilitonen nicht mehr, kann sich nicht mehr persönlich austauschen. Das Sozialleben ist sehr eingeschränkt, deswegen lässt auch die Motivation stark nach. Ich finde es sehr anstrengend den ganzen Tag vor dem Laptop zu sitzen und weil man auch sonst nicht viel tun kann, hängt man auch in der Freizeit mehr am Handy und am Laptop und ist fast ausschließlich in dieser digitalen Welt unterwegs.

Richtige Diskussionen online zu führen, ist nicht ganz einfach. Viele Professor*innen tendieren dazu nur Literatur ins Netz zu stellen. Dann muss man dazu einen Essay schreiben oder Aufgaben lösen. Das ist dann sehr trocken und alles andere als kommunikativ.

Das Distant Learning hat aber auch Vorteile für mich. Einer ist eindeutig, dass ich fünf Minuten bevor die virtuelle Lernveranstaltung losgeht, aufstehen und mich im Pyjama direkt vor den Laptop setzen kann. Auch die Zeiteinteilung ist relativ flexibel. Die Hälfte aller Kurse findet zur ursprünglich geplanten Uhrzeit per Livestream satt, bei den anderen bekomme ich wöchentlich Aufgaben oder andere Studierende halten Präsentationen mit Audiodateien und stellen ein paar Übungen, die man dann über die Woche hinweg bearbeitet. Man hat genug Zeit, sich alles einzuteilen.

Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass man Distant Learning und das normale Unileben mehr zusammenbringt, zum Beispiel größere Vorlesungen streamen, damit die sich nicht mit Seminaren überschneiden, wo man hingehen muss.

„Keiner muss jetzt Profi sein – dieses Semester muss nicht perfekt ablaufen.“

Lena studiert Ethnologie und Soziologie an der Universität Konstanz

Für mich ist dieses „Corona-Semester“ gleichzeitig auch das erste Semester an einer neuen Uni. Neben dem Chaos der digitalen Lehre kam noch die übliche Aufregung als Ersti dazu. In der ersten Woche wurde viel ausprobiert und es gab nicht wirklich klare Linien, das hat mich ziemlich verunsichert. Die Situation, niemandem in Persona gegenüber zu stehen, sondern warten zu müssen, bis sich im virtuellen Gespräch eine Gelegenheit bietet, Fragen zu stellen, finde ich im Moment schwierig. Ich mache mir auch ein bisschen Sorgen um mein Home-Office. Bisher habe ich viel in der Bibliothek gearbeitet. Jetzt muss ich erst mal lernen, mich zu Hause zu motivieren und dann auch zu konzentrieren, obwohl überall Ablenkungen lauern. Was hilft, ist der Trost der Leitung der Universität: Keiner muss jetzt Profi sein – dieses Semester muss nicht perfekt ablaufen.

„Nach kleineren Startschwierigkeiten an Tag Eins hat sich im Unialltag erstaunlich schnell eine Routine entwickelt.“

Nikolas studiert Psychologie an der Universität in Tübingen

Ich bin ehrlich gesagt überrascht. Überrascht darüber, wie gut etwas doch funktionieren kann, wenn es funktionieren muss. Nach kleineren Startschwierigkeiten an Tag Eins hat sich im Universitätsalltag erstaunlich schnell eine Routine entwickelt. Professoren*innen nehmen sich Zeit, bieten Hilfe an und versuchen gemeinsam mit ihren Studierenden, das Beste aus der Situation zu machen. Der Vorlesungsbetrieb selbst erfolgt im Grunde genommen zentral über eine Plattform. Was allerdings wirklich fehlt, ist die soziale Interaktion. Man blickt zwar tagtäglich in viele Gesichter, hat sich aber seit Wochen nicht mehr gesehen. Das ist auf der einen Seite notwendig, wenn wir unserer Verantwortung in der aktuellen Situation gerecht werden wollen. Auf der anderen Seite mache ich mir Sorgen über die Auswirkung dieser Isolation auf bestimmte psychische Erkrankungen wie etwa Depression.