Die Welt ist im Wandel, auch wenn die Forderungen nach Diversität und Gleichberechtigung in bestimmten Teilen der Gesellschaft nur wenig Akzeptanz finden. Anta Helena Recke nimmt in ihrer neuen Inszenierung den Abschied von der männlichen, weißen Weltperspektive. Sie liefert eine starke Performance über die größte Kränkung der heutigen Gesellschaft.
Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts hat Sigmund Freud drei große Kränkungen des menschlichen Narzissmus beschrieben: die Entdeckung von Kopernikus, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht, die Theorie von Darwin, dass der Mensch am Ende auch nur ein Affe ist, und seine eigene Entdeckung, dass der Mensch keine Kontrolle über sein Unterbewusstsein besitzt.
Die Inszenierung von Anta Helena Recke setzt an der Stelle an, wo Freuds Analyse endet, und präsentiert die vierte Kränkung der Menschheit: die Erkenntnis des alten weißen, europäischen cis-Mannes, dass sich die Welt nicht nur um ihn dreht und aus ihm besteht.
Von dieser Feststellung ausgehend, begibt sich die Regisseurin in ihrem knapp 70-minütigen Stück auf die Suche nach bildlichen Motiven. Die drei ineinander übergehenden Szenen nähern sich in ihrer Form eher einer Performance, als einem Theaterstück. Das erste Bild im Zyklus sind die sieben Darsteller*innen, die als Menschenaffen die leere Bühne betreten. Es wird laut gekreischt, gekratzt und sehr authentisch äffisch durch den ganzen Bühnenraum gehoppelt, auf die Fingerknöchel gestützt. Als Metapher der europäischen Zivilisation kommt ein Glaskubus mit einem weißen Mann mit Kittel und einer Brille auf die Bühnenmitte. Die Affen versuchen den Glaskasten zu besetzten, der Wissenschaftler scheint aber ganz schnell die Kontrolle über die Primaten zu gewinnen.
Das zweite Bild nimmt die Zuschauer*innen in das Museum einer fiktionalen europäischen Hauptstadt. Sechs Tourist*innen betreten den Glaskasten, tun so, als würden sie die Affen um den Kubus herum gar nicht merken, und beginnen, über ein nicht-sichtbares Bild zu philosophieren. Es handelt sich um das Gemälde von Gabriel Cornelius von Max „Affen als Kunstrichter“ aus dem Jahr 1889. Mit einer subtilen Ironie macht die Regisseurin den Glaskasten zu einem Sinnbild der vermeintlichen westlichen intellektuellen Überlegenheit, jedoch scheinen die Touristen selbst in diesem Augenblick nicht mehr als Kulturaffen zu sein.
Die lange Ruhe in dem sterilen Museumsraum wird im dritten Bild endlich durchgebrochen. Eine Prozession von Women of color in bunter ethnischer Kleidung zieht durch den Raum, die Frauen reden aufgeregt miteinander und lachen. Nur im Hintergrund hört man immer noch die äffischen Geräusche – ein Echo der veralteten rassistischen Vorstellung, dass die Menschen je nach Ethnie einen unterschiedlichen Wert für die Gesellschaft haben. Mit dieser Inszenierung schafft Recke es zumindest für einen Abend zu zeigen, dass der alte weiße Mann definitiv nicht mehr allein im Zentrum des Universums steht.
Auch wenn die Inszenierung teilweise zu passiv wirkt und nicht unbedingt für Theater-Anfänger geeignet ist, bleibt Anta Helena Recke die Meisterin des Konzepttheaters. Sehr abstrakt, aber bildlich faszinierend stellt sie ihre Gesellschaftskritik zur Schau. Mit dem Stück „Die Kränkungen der Menschheit” wurde sie zum zweiten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Nun nimmt auch das größte deutschsprachige Theaterfestival nach der Einführung einer Frauenquote den Abschied von der männlich dominierten Welt.