An Umweltschulen sollen Schüler*innen nachhaltiges Handeln lernen und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten. Gelerntes wird aber nicht in der Praxis umgesetzt, sagt die Wissenschaft. Hat das Programm seinen Bildungsauftrag verfehlt?
Jeden Freitagmittag wird auf dem Schulhof des Gymnasiums Buckhorn fleißig gehämmert und geschraubt. Statt mit Stift und Papier im stickigen Klassenraum zu sitzen, geht es für die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse hinaus auf den Schulhof. Ihre Werkzeuge: Hammer, Schaufel und jede Menge Baumaterial. Gebaut wird ein Schulgarten, der im Frühjahr mit Gemüse bepflanzt werden soll. „Aber nicht mit Fertigpflanzen“, betont Christoph Schlegel, Lehrer am Gymnasium.
Das Schulgarten-Projekt ist ein Wahlkurs. Noten wird es trotzdem geben. „Es liegt in der Verantwortung der Schüler*innen, die Beete zu planen und zu bepflanzen“, sagt Schlegel, der den Kurs betreut. Er gab den Anstoß für das Gartenbauprojekt, der Kontakt mit Natur und Nachhaltigkeit liegt ihm sehr am Herzen.
Auszeichnung für nachhaltige Bildungseinrichtungen
Was sich für den ein oder anderen nach klassischem Waldorfschul-Unterricht anhört, ist an Grundschulen, Gymnasien, sogar an Berufsschulen mittlerweile ein Trend geworden. Immer mehr Bildungseinrichtungen in Deutschland und weltweit bieten Projekte an, die sich mit Umwelt und Nachhaltigkeit beschäftigen. Energie-Scouts schalten in leeren Klassenzimmern das Licht aus, Schüler*innen diskutieren in Klimakonferenzen, Umwelträten und bei Stammtischen über den Klimawandel und erarbeiten nachhaltige Projekte. In Kooperation mit lokalen Umweltverbänden finden Projekttage statt, der schuleigene Anbau von Gemüse und die Bienenzucht boomen. Das Ziel: die Auszeichnung als Umweltschule. Allein in Hamburg wurden letzten Sommer wieder 69 der 412 Hamburger Schulen für ihr umwelt- und klimafreundliches Engagement ausgezeichnet.
Ins Leben gerufen wurde das internationale Programm bereits 1994 von der Foundation for Environmental Education (FEE). Die Organisation möchte damit das Bewusstsein der Schüler*innen für den Klimawandel steigern, sie dazu motivieren, sich selbst aktiv für den Umweltschutz einzusetzen und auf lange Sicht das Bildungssystem reformieren. Die Vision: Schüler*innen, die nachhaltige Zukunftsentscheidungen treffen und einschätzen können, wie sich ihr Handeln auf die Umwelt auswirkt. Angesichts der aktuellen weltklimatischen Lage und der Vielzahl politischer Debatten und Bewegungen, die nach Veränderungen und Lösungen rufen, erscheint das Programm vielversprechend.
Knapp 60.000 Schulen nehmen Teil
Glaubt man den Aussagen, die das FEE anlässlich des 25-jährigen Umweltschulen-Jubiläums im vergangenen Jahr in einem Dokument veröffentlicht hat, gilt das Programm als weltweit führendes und erfolgreiches Konzept, das maßgeblich zur Lösung der Klimaproblematik beiträgt. Gemessen an der stetig steigenden Zahl der teilnehmenden Schulen, mag das Programm tatsächlich erfolgreich erscheinen. Waren es Mitte der 90er Jahre um die 100 Schulen, so stieg die Zahl laut FEE bis heute auf knapp 60.000 teilnehmende Schulen aus über 68 Staaten. Angaben des Landesinstituts für Lehrerbildung zufolge nehmen in Deutschland mehr als 900 Schulen aus acht Bundesländern an dem Programm teil.
Der stellvertretende Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung (DGU), Robert Lorenz, rechnet sogar mit einer erheblich höheren Dunkelziffer. Allerdings müssten noch mehr Kinder erreicht werden, räumt Kumar Sharma von der FEE ein, denn allein in Ländern wie Indien gebe es 1,3 Millionen Schulen. „Weltweit sind wir mit 60 000 Schulen das größte Netzwerk dieser Art, doch wir müssen uns auch vor Augen führen, dass das noch nicht ausreicht.“ Doch kann allein die Zahl der teilnehmenden Schulen Erfolgsparameter eines global agierenden Projektes sein?
„Die Förderung von nachhaltigem Konsum beinhaltet auch die Vermittlung von Informationen. An dieser Stelle spielen solche schulischen Programme eine sehr wichtige Rolle.“
Maike Gossen, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
Um das Programm zu verbessern führt die Organisation eigenen Angaben zufolge Folgenabschätzungen durch. Da sich die Schulsysteme weltweit unterscheiden, könne der Erfolg des Programms jedoch nicht einheitlich gemessen werden. Die Auszeichnung allein sei schon ein Parameter, der den Erfolg einer Umweltschule bestätige. Lorenz sagt: „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Schüler, die Teil des Programms sind, dem Umweltschutz gegenüber eine positive Einstellung haben und sich durch Partizipation eine Verhaltensänderung herbeiführen lässt.“
Die Lücke zwischen Wissen, Einstellung und Verhalten
Tatsächlich belegen Studien, dass Schüler*innen von Umweltschulen dem Umweltschutz gegenüber tendenziell positiver eingestellt sind, als diejenigen, deren Schulen nicht an dem Programm teilnehmen. Ein Forscherteam der Universität Haifa und des Beit Berl College in Israel hat herausgefunden, dass Schüler*innen, deren Schulen ausgezeichnet wurden, ein breiteres Umwelt-Wissen aufwiesen. Allerdings zeigt die Studie aus dem Jahr 2018 auch, dass die Schüler*innen keinen Zusammenhang zwischen ihrem materiellen Konsum und den Konsequenzen für die Umwelt herstellen. Die Forschenden merken kritisch an, dass sich das Wissen nur dann in ihrem Verhalten niederschlägt, wenn sich die außerschulischen Strukturen nachhaltig verändern. Ansonsten bliebe der Erfolg marginal.
„Mit dieser sogenannten Einstellungs-Verhaltenslücke beschäftigt sich die Sozialforschung schon seit langem“, weiß Maike Gossen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Ihrer Ansicht nach habe diese Diskrepanz mit gesellschaftlichen Barrieren zu tun.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen niederländische Forschende der Universität Antwerpen. Sie stellten bereits 2013 fest: Schüler*innen von Umweltschulen verfügen zwar über ein umfassendes Wissen zu Umweltthemen, in der außerschulischen Praxis werden die Kompetenzen jedoch nicht angewendet. Die Autoren der Studie schlussfolgern deshalb, dass die Umweltschulen das Ziel, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein als Lebensstil zu implementieren, verfehlen.
” Schüler*innen können Botschafter für zuhause sein.”
Susette Fabig, Lehrerin auf Helgoland
Für Angelika Gellrich, die selbst für das Umweltbundesamt zum Umweltbewusstsein und Umweltverhalten in Deutschland forscht, sind die Erkenntnisse nichts Neues. „Das ist kein Phänomen, das Umweltschulen-spezifisch ist“, sagt sie. Es müsse strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft geben, damit sich das Umweltwissen der Schüler*innen auch in ihrem Verhalten niederschlägt. Gossen sieht die Politik in der Pflicht. „Es müsste Rahmensetzungen geben, die nachhaltigen Konsum unterstützen.“
In den Schulen selbst spalten sich die Meinungen. „Ich habe schon das Gefühl, das sich etwas geändert hat, seit wir eine Umweltschule sind“, sagt eine Schülerin, die an dem Gartenbauprojekt teilnimmt. In der Cafeteria werde seit einiger Zeit vermehrt darauf geachtet, dass jede*r Schüler*in nur eine Serviette mitnimmt und in den Klassenräumen werde jetzt der Müll getrennt. „Außerdem gibt es jede Woche eine Challenge, zum Beispiel eine Woche auf KFC oder McDonalds zu verzichten oder Stoffbeutel beim Einkaufen zu benutzen.“ Die Challenges seien nicht sonderlich schwer, auf die meisten Dinge werde ohnehin bereits seit längerem im Alltag geachtet. Problematisch sei, dass im Unterricht kaum darüber gesprochen wird. „Man könnte reflektieren, wie die Challenges gelaufen sind. Was war gut, was hat nicht funktioniert. Das passiert aber nicht“, kritisiert ein Schüler.
Lehrkräfte, wie Susette Fabig von der Inselschule Neuwerk, glauben trotzdem an die Wirksamkeit der Umweltschulen. Sie und ihre Schüler*innen haben sich mit den Themen regionale Lebensmittel und Verpackungen auseinandergesetzt. Fabig ist überzeugt, dass ihre Schüler*innen eine Menge aus der Schule mitgenommen haben. Sie könnten so „Botschafter*innen für zuhause“ sein. Auch Schlegel hofft auf diesen Multiplikator.
Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Lehrplänen verankern
Expert*innen und Lehrkräfte sind sich einig: Bildung für nachhaltige Entwicklung ist eine Notwendigkeit. Schließlich gelte es immer noch, die Schüler*innen für das Thema zu sensibilisieren. „Die Förderung von nachhaltigem Konsum beinhaltet auch die Vermittlung von Informationen. An dieser Stelle spielen solche schulischen Programme eine sehr wichtige Rolle“, sagt Gossen. Allerdings stelle sich die Frage, wie sinnstiftend die Projekte sind. Vor allem müssten die Themen fächerübergreifend behandelt werden, sagen die Experten. Wenn es in Erdkunde um Menschenrechte geht und im Sportunterricht Fußball gespielt wird, müsse eine Verbindung hergestellt werden. Die Schüler*innen müssten sich dann fragen, wo der Ball herkommt und unter welchen Bedingungen er hergestellt wurde. In Fachkreisen spricht man vom ‚whole school approach‘. Themen rund um Nachhaltigkeit müssten demnach in allen Fächern behandelt werden.
Ein Ziel, das auch die Bundesregierung mit ihrem Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verfolgt. Sie möchte Nachhaltigkeitsthemen fest in allen Lehrplänen verankern. Doch Bildung ist Ländersache, wie die Themen im Lehrplan integriert werden, hängt von den jeweiligen Behörden ab.
Die Verantwortung liegt immer noch bei der Politik
Lehrer*innen könnten an dieser Stelle der Schlüssel zum Wandel sein, ist Lorenz überzeugt. „Das Programm lebt maßgeblich vom Engagement der Lehrkräfte, wenn es um den Einstieg einer Schule in die Zertifizierung geht“, sagt Lorenz. „Auf Dauer braucht es ebenso engagierte Schülerinnen und Schüler.“ Der bürokratische Mehraufwand, der bei der Anmeldung für die Lehrkräfte entsteht, wirke oft abschreckend. Damit bleiben Projekte wie die Bienenzucht oder Schulgärten weiterhin Herzensprojekte engagierter Lehrkräfte.
Den Schüler*innen am Gymnasium Buckhorn reicht das nicht. „Man hat das Gefühl, sich zu dem Thema positionieren zu müssen, weiß aber gleichzeitig nicht wirklich, was die Probleme sind. Man müsste lernen, an welchen Stellen Handeln einen Unterschied macht.“ Denn beim Mittagessen eine, statt zwei Servietten mitzunehmen und trotzdem jeden Tag mit dem SUV zur Schule gefahren zu werden, mache keinen Sinn und widerspreche der Vision der Umweltschulen und Gartenprojekte helfen dem Klima wenig. Ein eigenes Fach fänden die Schüler*innen zielführender. „Sich eine Doppelstunde aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, könnte schon helfen“, sagt ein Schüler. Und: Es brauche klare Richtlinien und Rahmenbedingungen von der Politik. Bis dahin wird erst einmal fleißig weiter am Schulgarten gearbeitet. Immerhin ist es eine gute Abwechslung zum Frontalunterricht.